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Zahl der Analphabeten in Deutschland sinkt

7. Mai 2019

Auch einfache deutsche Texte sind für viele Menschen in Deutschland eine unüberwindbare Hürde. Rund 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. Ein Lichtblick: es werden weniger.

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Analphabeten-Grundkurs an der Volkshochschule
Bild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Die Betroffenen können nur einzelne Sätze lesen und schreiben, aber keine zusammenhängenden Texte. Das sind insgesamt 12,1 Prozent der Menschen zwischen 18 und 64 Jahren in Deutschland. Mit 52,6 Prozent hat mehr als die Hälfte dieser sogenannten funktionalen Analphabeten in der Kindheit Deutsch als Muttersprache gelernt, das sind 3,3 Millionen Erwachsene. Rund 2,9 Millionen haben zunächst eine andere Sprache als Deutsch erlernt. Das sind zentrale Ergebnisse einer Studie der Universität Hamburg, die mit Fördermitteln des Bundesbildungsministeriums entstand.

Bei der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2011 hatte die Zahl der Menschen mit geringen Lese- und Schreibfähigkeiten noch bei 7,5 Millionen gelegen. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek wertete diesen Rückgang als Erfolg der Bildungspolitik. Die Enttabuisierung des Themas und geeignete Selbstlernangebote hätten dazu beigetragen, sagte die CDU-Politikerin. Durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung habe sich "das Verständnis für die Betroffenen erhöht, die Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben haben". Karliczek fügte hinzu: "Damit wird mehr Menschen eine bessere Teilhabe am öffentlichen und beruflichen Leben ermöglicht." Auch für schon länger in Deutschland lebende Migranten würden die Lernangebote kontinuierlich weiterentwickelt.

Paris Anja Karliczek deutsche Bildungsministerin
Bildungsministerin Anja Karliczek sieht Fortschritte Bild: picture-alliance/AP/E. Laurent

Großer Leidensdruck

Für sogenannte funktionale Analphabeten - die Studie spricht von "gering literalisierten Erwachsenen" - sind Dinge des alltäglichen Lebens wie Bedienungsanleitungen, Automaten oder Behördenschreiben eine Herausforderung. Scham und Leidensdruck seien oft groß.

Das Leben der Betroffenen sei "mit Ausgrenzungen und großen Unsicherheiten im Alltag verbunden", erklärte die Hamburger Wissenschaftlerin Anke Grotlüschen. Zwar sind 62,3 Prozent der Menschen mit deutlich eingeschränktem Lese- und Schreibvermögen laut Studie erwerbstätig und haben Familie. Meist sind sie jedoch Geringverdiener. Jeder Zweite ist demnach finanziell nicht in der Lage, eine Woche Urlaub außerhalb der eigenen Wohnung zu machen. Zwei Drittel haben zudem große Schwierigkeiten, politische Fragen zu verstehen und einzuschätzen. Mehr als jeder Fünfte hat gar keinen Schulabschluss, rund 40 Prozent nur einen geringen.

Noch ein Fortschritt

Auch bei der Gruppe Erwachsener, die nicht mehr als sogenannte "funktionale Analphabeten" gelten, gebe es einen beachtlichen Fortschritt, hieß es. Diese Menschen können zusammenhängende Texte verstehen, aber dennoch nicht gut lesen oder schreiben. Hier sei die Zahl der Betroffenen um 2,8 Millionen auf etwa 10,6 Millionen gesunken.

Für die aktuelle Studie wurden im Sommer 2018 rund 7.200 Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren befragt. Für die Befragung mussten sie ausreichend Deutsch sprechen, um einer etwa einstündigen Befragung folgen zu können. Die Forscher stellten ihre Studie "LEO 2018 - Leben mit geringer Literalität" auf der Jahreskonferenz der Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung 2016-2026 (AlphaDekade) in Berlin vor. Das Bundesbildungsministerium hatte die "AlphaDekade" vor drei Jahren gestartet, um die Lese- und Schreibkompetenz von Erwachsenen zu steigern. Die Projekte werden mit rund 180 Millionen Euro gefördert.

Lesefördreung Kinder Teenager lesen Buch Bücher
Die Stiftung Lesen versucht mit Förderseminaren wie hier in Wiesbaden Teenagern das Lesen schmackhaft zu machen Bild: picture-alliance/dpa

Experte warnt

Mit Blick auf die jüngste Studie mahnte der Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen, Jörg Maas, ein Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Lesefähigkeit in Deutschland an. Dazu zähle das tägliche Vorlesen im Elternhaus, eine bessere Kooperation von Bund und Ländern bei der Leseförderung sowie mehr Geld und Personal für Kitas und Schulen, sagte er im Zweiten Deutschen Fernsehen. "Bildung und Einkommen, wirtschaftliches Wachstum in Deutschland, hängen wahrscheinlich stärker mit Leseförderung zusammen, als wir das normalerweise annehmen", sagte Maas.

"Im internationalen Durchschnitt werden etwa 160 Stunden pro Grundschuljahr für Leseförderung investiert, in Deutschland sind es gerade mal 90", kritisierte der Experte. Für den Bildungsstandort Deutschland seien bessere Finanzmittel vom Bund, aber auch eine Vereinheitlichung der Leseförderung in den Bundesländern notwendig. "Die sehen wir im Moment noch nicht, sondern wir sehen 16 unterschiedliche Standards, in jedem Bundesland ein anderer Standard", sagte Maas. In Frankreich und anderen europäischen Ländern sieht das besser aus als in Deutschland.

kle/uh (afp, kna, dpa)