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EU-Finanzminister Baustellen

22. Januar 2012

Das erste Treffen im neuen Jahr bringt für die EU-Finanzminister die alten Probleme. Sie arbeiten auf diversen Baustellen gegen die Schuldenkrise an. Ist ein Loch zugeschüttet, klafft das nächste. Ein Überblick.

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Lübecker Hütchen, gestreift auf frischem Asphalt (Foto: fotolia)
Hier wird noch gearbeitet: SchuldenkriseBild: Fotolia/emmi

Wenn sich die Finanzminister der 17 Euro-Staaten und der übrigen zehn EU-Mitglieder am Montag (23.01.2012) und Dienstag turnusmäßig zu ihrem Ministerrat versammeln, haben sie die gleichen Probleme auf der Tagesordnung wie im letzten Jahr: Schuldenkrise in Griechenland, Fiskalpakt für Europa, Umschuldungsverhandlungen mit den Banken, drohende Kreditklemme, Herabstufung der Bonität von EU-Mitgliedern und Banken, Ausstattung der Rettungsfonds. Dagegen versuchen die Finanzminister an mehreren Fronten gleichzeitig vorzugehen. Dabei hängen viele Probleme miteinander zusammen. In einer Woche wollen sich dann die EU-Staats- und Regierungschefs erneut auf einem Sondergipfel mit der europäischen Dauerkrise beschäftigen.

Der griechische Patient

Derzeit prüft die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds wieder einmal, ob Griechenland seine Ziele erreicht und die Auszahlung der nächsten Hilfskredite verantwortet werden kann. Schon jetzt ist klar, dass das griechische Defizit zu hoch und das Wirtschaftswachstum zu niedrig ist. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in einem Hörfunkinterview, sie gehe davon aus, dass Griechenland erst im Jahr 2020 wieder auf eigenen Füßen stehen, also Geld an den Finanzmärkten aufnehmen kann. Sollte Griechenland bis Mitte März kein frisches Geld von EU und IWF bekommen, wäre der Staat zahlungsunfähig.

Schuldenschnitt für Griechenland

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (Foto: dapd)
Einer der letzten mit AAA: Finanzminister SchäubleBild: dapd

Die Verhandlungen zwischen dem internationalen Bankenverband und der griechischen Regierung laufen äußert schleppend und sollten schon längst abgeschlossen sein. Die Banken sollen auf 103 Milliarden Euro verzichten. Das entspricht 50 Prozent ihrer Forderungen. Dafür erhalten sie die Garantie, dass die restlichen 50 Prozent auf jeden Fall zurückgezahlt werden. Die Laufzeiten und Zinssätze für diese restlichen Anleihen sind umstritten. Außerdem haben einige Gläubiger gar kein Interesse mehr an einem freiwilligen Schuldenschnitt, weil sie gut gegen Zahlungsausfälle Griechenlands versichert sind. Sie spekulieren lieber auf eine Pleite Griechenlands. Hedgefonds spekulieren mit Staatsanleihen, die sie für 40 Prozent des Nominalwertes gekauft haben und jetzt gegen neue Anleihen mit 50 Prozent Wert eintauschen könnten. Satter Gewinn von zehn Prozent lockt. Unklar ist, ob am Ende die gewünschten 103 Milliarden Euro an Schuldenerlass tatsächlich zustande kommen.

Zweites Hilfspaket für Griechenland

Der Schuldenschnitt ist aber Teil eines zweiten Sanierungspakets, das Griechenland aus dem Schuldensumpf führen soll. Solange der Verzicht der privaten Gläubiger nicht geregelt ist, wollen sich die Euro-Staaten nicht auf ein zweites Hilfspaket festlegen. Ursprünglich waren noch einmal 130 Milliarden Euro an Krediten in den nächsten Jahren vorgesehen, die aus dem europäischen Rettungsfonds fließen sollen. Das erste noch laufende Hilfspaket für Griechenland wird aus einem Sondertopf gezahlt, der extra für Griechenland geschaffen wurde. Über die Auszahlung weiterer Tranchen entscheidet derzeit die Troika in Athen.

Rettungsfonds EFSF und ESM

Streikende mit Transparenten in Athen (Foto: AP/dapd)
Proteste gegen Sparpakete in GriechenlandBild: dapd

Um die neuen Hilfen für Griechenland und weitere Zahlungen an Portugal und Irland zu finanzieren, verhandelt die Euro-Zone über den Vertrag für einen permanenten Rettungsfonds (ESM). Dieser ESM, in den die Eigentümer, also die Staaten der Euro-Zone, echtes Geld einzahlen werden, soll bereits von Juli 2012 an arbeiten. Er soll ein Jahr vorgezogen werden, die Verhandlungen stehen deshalb unter großem Zeitdruck, weil noch die Parlamente der Mitgliedsstaaten zustimmen müssen. Mit den Bareinlagen der Euro-Staaten sollen Schlagkraft und Bonität des ESM erhöht werden. Er könnte sich mutmaßlich leichter Geld am Kapitalmarkt besorgen als der im Moment arbeitende EFSF, der vorläufige Rettungsfonds. Dieser verfügt nur über Kreditbürgschaften der Euro-Staaten, mit denen er sich selbst Geld an den Märkten leiht. Da die Bonität des EFSF gerade von der Ratingagentur Standard and Poor's auf AA+ gesenkt wurde, ist unklar, wie hoch die Feuerkraft des EFSF noch ist. Experten gehen davon aus, dass allein durch die Herabstufung Frankreichs das Ausleihe-Volumen von 440 Milliarden auf 270 Milliarden Euro gesunken ist. Deutschland müsste als letzter großer Inhaber des AAA-Ratings in der Euro-Zone seine Garantien für den EFSF deutlich aufstocken, um das Volumen zu halten. Davon will aber Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nichts wissen. Der Fonds habe bis zum Sommer genug Geld, so Schäuble in verschiedenen Interviews vergangene Woche.

Fiskalpakt für alle außer Großbritannien

Die große Mehrheit der EU-Staats- und Regierungschefs hatte im Dezember auf Druck aus Berlin und Paris beschlossen, einen neuen völkerrechtlichen Vertrag auszuhandeln. Dieser Fiskalpakt soll für eine strikte und einheitliche Haushaltspolitik in der Euro-Zone und darüber hinaus sorgen. Die Finanzminister sollen den Text des Vertrages billigen. Bundeskanzlerin Merkel will den Vertragtext bereits beim Sondergipfel am 30. Januar billigen. Allerdings gibt es noch Streit um einzelne Bestimmungen. Der Bundesregierung sind manche Passagen zu lasch abegefasst, andere Staaten wehren sich gegen mögliche massive Eingriffe in ihre Hoheit über den eigenen Haushalt. Nur wenn der Fiskalpakt geschlossen wird, soll auch der Vertrag für den dauerhaften Rettungsfonds unterschrieben werden. Mit diesem Junktim will die Bundesregierung Druck ausüben. Der euroskeptische Präsident Tschechiens hat bereits angekündigt, er werde den Pakt nicht unterschreiben.

Italien, Spanien und andere Krisenkandidaten

Italiens Premier Monti und Kanzlerin Merkel (Foto: REUTERS)
Italiens Premier Monti und Kanzlerin MerkelBild: Reuters

Derzeit liegen die Zinsen, die Italien und Spanien für Staatsanleihen zahlen müssen, auf einem noch erträglichen Niveau. Neue Spekulationswellen gegen diese fragilen Staaten sind jederzeit möglich. Der italienische Regierungschef Mario Monti fordert Solidarität von den übrigen Euro-Staaten, aber käme Italien tatsächlich ernsthaft in Schieflage, wäre der derzeitige Rettungsschirm EFSF wohl zu klein, um eine Ansteckung weiterer Länder mit dem "Krisen-Bazillus" zu verhindern. Deshalb wird an einer möglichst schnellen Errichtung des dauerhaften Rettungsfonds ESM gearbeitet. Der ESM soll über 500 Milliarden Euro verfügen, wahrscheinlich muss diese Summe aber im März noch einmal erhöht werden, um die Kapitalmärkte zu beruhigen.

Banken in der Krise

Eng verbunden mit der Staatsschuldenkrise ist die Lage der Banken in Europa. Bis zum 1. Juli müssen sich die Banken rund 100 Milliarden an zusätzlichem Eigenkapital besorgen, um für künftige Ausfälle von Staatsanleihen gewappnet zu sein. Manche Banken werden staatliche Hilfen brauchen. Viele Banken misstrauen anderen Banken und leihen sich gegenseitig kein Geld mehr. "Die Kreditklemme ist bereits da," verkündete der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, in der "Süddeutschen Zeitung". Der Bundesverband deutscher Banken wies diese Einschätzung umgehend zurück. Die Europäische Zentralbank hatte den Banken kurz vor Weihnachten etwa 400 Milliarden Euro fast zum Nulltarif geliehen, um das System flüssig zu halten.

Europäische Zentralbank

Letzter Rettungsanker in der rauen Krisensee ist de facto die Europäische Zentralbank. Sie kauft massiv Staatsanleihen überschuldeter Länder auf und stellt den kriselnen Banken Geld in unbegrenzter Höhe zur Verfügung. Dieser Kurs, der letztlich eine Geldentwertung befördern könnte, wird vor allem von der Deutschen Bundesbank kritisch gesehen. Andere Euro-Länder, wie Italien, Spanien oder Frankreich fordern eine noch aktivere Rolle der EZB. Der Präsident der Zentralbank, Mario Draghi, lehnt es aber noch ab, die Märkte mit Geld zu fluten und einfach Euro zu drucken. Nach diesem Rezept verfahren die Federal Reserve in den USA und die Bank of England.

Geld für den IWF

Da die Rettungsschirme der Euro-Zone für große Staaten wie Italien im Moment zu klein sind, soll der Internationale Währungsfonds in Washington notfalls inspringen. Die EU-Staats- und Regierungschefs sagten dem IWF deshalb zu, 200 Milliarden Euro einzusammeln, die der IWF-Chefin Christine Lagarde zur Aufstockung ihrer Reserven zur Verfügung gestellt werden sollen. Doch das Auftreiben dieser Mittel gestaltet sich schwieriger als gedacht. Der deutsche Anteil an dieser Kreditlinie soll von der Bundesbank gestellt werden, die jedoch mit dem Bundestag über ein klares Mandat streitet. Die Finanzminister müssen einen Kassensturz machen, denn das Geld sollte schon vor Weihnachten geflossen sein.

Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Sonila Sand