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Vor den Gewehrläufen

22. Mai 2009

Der Sportstudent Zhang Jian organisierte im Juni 1989 die studentische Schutzgarde auf dem Tiananmen-Platz, rechnete nur mit dem Einsatz von Schlagstöcken. Bis er den ersten Toten im Arm hielt.

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Zhang JianBild: Shi Ming

Im Juni 1989 war Zhang Jian gerade einmal 18 Jahre alt. Er hatte sich dank guter sportlicher Leistungen an der Pekinger Sporthochschule für Pädagogik einschreiben können. Eigentlich wartete er auf den Beginn des Semesters, als die Protestbewegung begann. Die erreichte Mitte Mai einen ersten kritischen Höhepunkt: Am 19. Mai verhängte die chinesische Regierung das Kriegsrecht über Peking. Der Sportstudent Zhang Jian war zunächst nur aus Neugier eingestiegen. Stattdessen übernahm er bald große Aufgaben.

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Ende Mai konnten Bürger die Soldaten noch vom Schießen abhaltenBild: picture-alliance/ dpa

Prügeln und Rennen

Als einfacher Ordner trat er zunächst in das studentische Schutzgarde ein. Nachdem sich seine Vorgesetzten nach und nach zurückzogen, bekam er die Aufsicht über Teile des studentischen Selbsschutzes. Die Lage spitzte sich immer weiter zu. Die radikale Studentenführerin Chai Ling übertrug ihm schließlich die Oberaufsicht über die studentischen Schutzgarden. Die Armee stand da bereits in ihren Positionen. "Meine Vorstellung bezüglich der Verteidigung war simpel: Ich dachte, die Truppen würden uns umzingeln und uns mit Schlagstücken verprügeln", erinnert er sich. "Und wir würden eben abhauen.“

Schlagstöcke aber kamen in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni nur vereinzelt zum Einsatz. An ihre Stelle traten Kalaschnikows und Panzer. Besonders an der zentralen Ost-West-Achse Pekings, der Chang-An-Straße, kam es zu blutigen Auseinandersetzungen. Neben Zhang Jian fiel ein Kommilitone zu Boden. Zhang packte ihn am Kragen. "Du kommst hoch!"- rief er ihm zu. Doch der Kommilitone kam nicht mehr hoch. "Ich spürte an seinem Hinterkopf eine klebrige Flüssigkeit, die mit hohem Druck heraus spritzte." Der Kommilitone war innerhalb von Sekunden tot. "Ein Menschenleben ist so zerbrechlich", beschreibt Zhang seine Gedanken . "Überhaupt nicht zäh, stabil, wie ich mir das vorgestellt hatte. Es dauerte nur einen kurzen Augenblick. Schon fiel er, und sein Blut floss - in aller Stille."

"Wie Unkraut, das man niedermäht"

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Doch in der Nacht zum 4. Juni wurde scharf geschossenBild: AP

Wie andere Pekinger Bürger reagierte der unbewaffnete Student mit dem Mut der Verzweiflung. Er ergriff nicht die Flucht. Stattdessen stellte sich Zhang Jian der Macht der Gewehrläufe. Er erinnert sich, wie er sein T-Shirt hochriss und brüllte "Schieß hierhin, schieß!" Er erinnert sich, dass er in dem Moment bereit war, sein Leben zu opfern. "Warum? Weil wir für die anderen keine Menschen mehr waren! Absolut! Wir sind für die Unkraut, das man niedermäht!" Außer sich stand er vor den Truppen, schrie auf die Soldaten ein. "Ein Offizier zielte auf meine Stirn. Ich sagte ihm: Schieß doch! Peng! Er schoß mir in den Oberschenkel."

Mit einer großen Portion Glück überlebte Zhang Jian die Nacht. Er wurde zwar mit drei Schüssen verwundet, aber später wieder gesund. Zwölf Jahre lang lebte er im Untergrund mit falschem Namen in China. 2001 gelang ihm die Flucht ins Ausland, nach Paris. Von dort aus organisiert er regelmäßig Internet-Konferenzen mit Andersdenkenden in China. Er will den friedlichen Widerstand gegen das chinesische Regime fortsetzen.

Autor: Shi Ming
Redaktion: Mathias Bölinger