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Vorbildliche Initiative

Svenja Üing14. Februar 2013

In Deutschland studieren derzeit so viele junge Menschen wie nie. Doch nicht jeder macht auch einen Abschluss. Das deutsche Handwerk wirbt jetzt speziell um diese Abbrecher. Aber ist das wirklich sinnvoll?

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Dr. Gerd Zika, Arbeitsmarktexperte im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg (Foto: privat)
Dr. Gerd ZikaBild: Gerd Zika

In Deutschland streben immer mehr Jugendliche einen Hochschulabschluss an. Laut OECD-Schätzung nehmen 42 Prozent aller jungen Menschen in Deutschland im Laufe ihres Lebens ein Studium auf. Doch nicht alle Studierenden machen auch ihren Abschluss. In manchen Fächern bricht jeder dritte Student sein Studium vorzeitig ab. Das deutsche Handwerk sieht darin eine Chance für sich - und wirbt jetzt gezielt um diese Studienabbrecher. Zum Beispiel mit der Initiative "Karriereprogramm Handwerk" der Handwerkskammer in Unterfranken und der Universität Würzburg. Dr. Gerd Zika, Arbeitsmarktexperte im Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, hält die aktuelle Initiative im DW-Interview für vorbildlich.

DW: Herr Zika, Sie erforschen den Arbeitsmarkt in Deutschland und den Fachkräftebedarf. Das Handwerk wirbt mit speziellen Programmen gezielt um Studienabbrecher. Ist das aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Gerd Zika: Ja, das kann ich eindeutig befürworten. Diese Initiative ist sogar vorbildlich zu nennen. So wie ich es verstanden habe, wurde vom Handwerk erkannt, dass wir in Deutschland langfristig gerade auf einen Fachkräfteengpass zusteuern und dass frühzeitig dagegen vorgegangen werden muss. Und die Idee, das Handwerk für Studienabbrecher interessant zu machen, ist für beide Seiten eine Win-win-Situation. Zum einen bekommen die Handwerksfirmen gut ausgebildete Personen, und auf der anderen Seite werden den Studienabbrechern neue berufliche Perspektiven eröffnet. In diesem Sinne ist die Initiative in meinen Augen wirklich vorbildlich.

Werden denn Haupt- und Realschüler, die ja in der Regel in die Ausbildungsgänge des Handwerks gehen, dadurch nicht ins Abseits manövriert?

Das glaube ich nicht. Denn bei den Studienabbrechern soll ja frühzeitig darauf hingearbeitet werden, dass sie Führungsverantwortung übernehmen. Also ich denke nicht, dass es zu größeren Verdrängungsproblemen kommen wird.

Lassen Sie uns einen Blick auf die Hochschulen in Deutschland werfen. Dort gibt es derzeit so viele Studierende wie nie zuvor. Ist denn der Bedarf an Akademikern auf dem Arbeitsmarkt überhaupt gestiegen?

Ja, er ist in der Vergangenheit schon gestiegen. Aber tatsächlich ist es so, dass die Zahl der Studierenden in Deutschland so stark gestiegen ist, dass dies über den künftigen Bedarf an Hochschulabsolventen hinausgeht, den wir projizieren.

Otto Kentzler, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, geht sogar noch einen Schritt weiter. Es sagte im Januar der "Saarbrücker Zeitung", der "Trend zur Akademisierung" im deutschen Bildungswesen sei "fatal". Würden Sie das unterschreiben?

Fatal ist vielleicht ein bisschen zu stark oder zu negativ ausgedrückt. Natürlich kann es aus gesamtwirtschaftlicher Sicht nicht sein, dass jeder studiert. Es kann nicht jeder Führungsverantwortung übernehmen. Und unsere Ergebnisse zeigen ja auch, dass es gerade in diesen mittleren Qualifikationssegmenten die nächsten Jahre sehr eng werden wird. Fatal wäre es nur, wenn da keine Substitutionsprozesse stattfinden könnten zwischen den Akademikern und der mittleren Qualifikationsebene.

Was sind in diesem Fall "Substitutionsprozesse"?

Wenn in Zukunft nicht mehr genügend Arbeitskräfte auf der mittleren Qualifikationsebene zur Verfügung stehen, könnte es sein, dass Umstrukturierungsprozesse stattfinden werden. Dass also Arbeitsplätze, die bislang von Personen mit mittleren Qualifikationsabschlüssen wahrgenommen werden, aufgewertet und dafür von Bachelor-Absolventen übernommen werden. Das könnte darauf hinauslaufen, dass praktisch in beide Richtungen - von der mittleren Qualifikationsebene und vom tertiären Bereich, also den Bachelor-Absolventen - ein Austausch stattfinden kann.

Was würden Sie jungen Menschen in Deutschland, die die Möglichkeit haben, ein Studium aufzunehmen, raten? Sollten sie studieren oder eine Ausbildung machen?

Aus individueller Sicht würde ich immer raten, erst ein Studium auszuprobieren, wenn man ein Faible dafür hat. Wenn man dann nach ein, zwei Semestern feststellt, das Studium ist doch nichts für mich, dann kann man eine Ausbildung machen und hat damit trotzdem gute Chancen, weil wir einen Fachkräftemangel in Deutschland haben. Wenn man sich die qualifikationsspezifischen Arbeitslosenquoten anschaut auf dem Markt, ist es allerdings immer noch so, dass die Akademiker mit Abstand die niedrigsten Arbeitslosenquoten haben.

Das Interview führte Svenja Üing.