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"Zschäpe ist eine manipulative Frau"

Peter Hille4. August 2015

Seit mehr als zwei Jahren steht sie vor Gericht: Beate Zschäpe, Hauptangeklagte im NSU-Prozess. Ihre Rolle bei den Morden der Terrorbande wird geklärt. Prozessbeobachter Holger Schmidt zieht eine Zwischenbilanz.

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Beate Zschäpe, Hauptangeklagte im NSU-Prozess in München (REUTERS/Michael Dalder)
Bild: Reuters/M. Dalder

DW: Herr Schmidt, nach 224 Verhandlungstagen geht der NSU-Prozess in München zum dritten Mal in die Sommerpause. Sie haben den Prozess als ARD-Berichterstatter intensiv beobachtet. Welche Zwischenbilanz können Sie ziehen - ist die Beweisaufnahme voran gekommen?

Holger Schmidt: Ich denke, die Beweisaufnahme neigt sich sogar dem Ende zu. Wesentliche Fragen wurden inzwischen vor dem Oberlandesgericht München besprochen. Es sind eigentlich nur noch die so genannten losen Enden einzusammeln - so hat das eine Gerichtssprecherin genannt. Es fehlen also noch einzelne Zeugen, die bislang nicht gehört werden konnten, weil sie zum Beispiel erkrankt waren.

Wie lange denken Sie, wird der Prozess noch dauern? Das Gericht hat heute Terminpläne an die Beteiligten verteilt, die bis zum Herbst 2016 reichen.

Es ist schwer zu sagen, wie lange der Prozess noch dauern wird, weil noch viel Raum für Beweisanträge ist und für die Eskapaden von Frau Zschäpe.

ARD-Terrorexperte Holger Schmidt (Photo: SWR)
ARD-Terrorexperte Holger SchmidtBild: SWR

Zschäpe steht als Hauptangeklagte im Zentrum des NSU-Prozesses. Was hat man bisher über sie erfahren können?

Lange Zeit haben wir überhaupt nichts von ihr erfahren. Als das Verhältnis zu ihren alten Anwälten noch einigermaßen intakt war, da ist von Beate Zschäpe überhaupt nichts zu hören gewesen. Aber seit sie sich mit ihren Verteidigern Stück für Stück überworfen hat, hat Beate Zschäpe meinem Eindruck nach ganz entscheidende Fehler gemacht. Sie hat nämlich in diesem Streit mit ihren Anwälten Dinge nach außen getragen, die einen tiefen Blick in ihre eigene Persönlichkeit geben. Wir haben jetzt ein relativ deutliches Bild von ihr.

Wie sieht dieses Bild aus? Was ist das für eine Frau?

Nach meinem Eindruck ist das eine sehr taktisch denkende, manipulative Frau, die ganz genau weiß, was sie will. Wenn es vorher die Strategie gab, sie als Mitläuferin darzustellen oder als jemanden, der gar nicht so genau wusste, was um ihn herum passiert ist, dann ist das jetzt nicht mehr aufrecht zu halten. So, wie sie dem Vorsitzenden Richter gegenüber die Entpflichtung ihrer Anwälte begründet hat, so wie sie schreibt, gewinne ich das Bild einer Frau, die gezielt und skrupellos vorgeht, die Leute vor den Kopf stößt, die zwei Jahre lang für sie gearbeitet haben - ihre Verteidiger nämlich. Im Grunde haben wir genau das Bild von Beate Zschäpe übermittelt bekommen, dass die Bundesanwaltschaft bei ihrer Anklage unterstellt hat.

Beate Zschäpe und ihre Anwälte (Photo: REUTERS/Michaela Rehle)
Einer mehr: Beate Zschäpe (ganz links im Bild) wird jetzt von vier Anwälten vertreten.Bild: Reuters/M. Rehle

Hat das Theater um ihre Anwälte den eigentlichen Inhalt des Prozesses, die Mordserie des NSU, in den Hintergrund gedrängt?

Das ist sicher so gewesen. Und das haben am Anfang viele Angehörige der Opfer und Vertreter der Nebenkläger sehr beklagt. Ich habe allerdings den Eindruck, dass sich langsam auch bei den Opfern und ihren Anwälten der Eindruck durchsetzt, dass sich Beate Zschäpe überhaupt keinen Gefallen mit diesem Theater getan hat und man in gewisser Weise froh darüber sein kann, weil man ein klareres Bild von ihr bekommt und deutlicher sieht, welche Persönlichkeit sie hat. Das könnte auch im Urteil helfen.

Man erhofft sich vom NSU-Prozess ja nicht nur Aufklärung über Beate Zschäpe und ihre mögliche Tatbeteiligung, sondern auch allgemein über die extrem rechte Szene in Deutschland. Konnte der Prozess da Licht in die dunkelsten Ecken bringen?

Die Nebenklage versucht immer wieder mit viel Engagement, die rechtsextreme Musikszene, Neonazi-Kameradschaften und die Entstehungsgeschichte des NSU zu thematisieren. Aber der Vorsitzende Richter und teilweise auch die Bundesanwaltschaft weisen dann immer wieder darauf hin, dass es in einem Strafprozess darum eigentlich nicht gehen kann. Er ist eigentlich nur dazu da, die Schuld der fünf Angeklagten festzustellen und darf nicht ein erweiterter Untersuchungsausschuss oder gar eine Wahrheitskommission werden. Das ist ein ganz schwieriger Spagat, der häufig zu Streit führt. Ich glaube, dass es am Ende viel Unzufriedenheit geben wird, weil die Nebenkläger immer sagen werden, dass die politische und gesellschaftliche Dimension im Prozess zu kurz kommt.

Bei all diesen Erwartungen, auch aus der Öffentlichkeit, steht der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ja unter viel Druck. Er leitet den vielleicht wichtigsten Strafprozess der jüngeren deutschen Geschichte - macht er seine Sache gut?

Er hat das bislang meinem Eindruck nach sehr gut gemacht. Er ist sehr beharrlich, akribisch vorbereitet, und geht geschickt mit den Beteiligten um. Das ist mehr als zwei Jahre lang unter seiner Leitung sehr gut gelaufen. Ob er jetzt zum Schluss in der Krise um die Verteidigung von Beate Zschäpe richtig glücklich agiert hat, das werden wir erst mit einiger Distanz sehen. Ich persönlich vermute, dass die Bestellung eines vierten Verteidigers für Beate Zschäpe falsch war, weil das viel Unruhe und Aufregung hineingebracht hat, die unnötig war. Aber das wird man fairerweise erst am Ende beurteilen können.

ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt leitet beim Südwestrundfunk die Redaktion Reporter und Recherche. Er hat den NSU-Prozess in München von Beginn an beobachtet und darüber gebloggt.