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Literatur

Zsuzsa Bánk: "Der Schwimmer"

7. Oktober 2018

Ungarn 1956: Ohne ein Wort verlässt eine Mutter ihren Mann und ihre zwei Kinder – um im Westen zu arbeiten. Zsuzsa Bánk erzählt anrührend, was die Härte des Erwachsenenlebens in der Seele der Kinder anrichtet.

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Frankfurter Buchmesse 2012 - Zsuzsa Bank, Schriftstellerin
Bild: picture-alliance/dpa/U. Zucchi

Bevor das Buch überhaupt gedruckt war, wurde Zsuzsa Bánk schon für das Manuskript ausgezeichnet. Die junge, talentierte Schriftstellerin bekam 2002 den renommierten Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung. Als ihr Debütroman "Der Schwimmer" dann im Herbst vorn in den Buchhandlungen lag, konnte sie ihr Glück kaum fassen: "Als ich das Buch das erste Mal fertig sah, dachte ich, das kommt nicht von mir", sagte sie damals im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Ich habe nur jemandem geholfen, dass es entstehen konnte."

Verlust der inneren Heimat

Erzählt wird in dem Roman ein Familiendrama: Die Mutter ist in den Westen gegangen - ohne sich zu verabschieden. Kata, die alle ein mutiges Mädchen nennen, versteht die Welt nicht mehr. "Mein Vater sagte, sie ist mit dem frühen Zug gefahren, ihr habt noch geschlafen. Ich wußte, es gab keinen so frühen Zug, und ich wußte, etwas war anders, etwas hatte sich verschoben, an diesem Morgen und in dieser Nacht davor."

"Der Schwimmer" von Zsusza Bánk

Aus der Perspektive von Kata wird der ganze Roman erzählt. Die beiden Geschwister verlieren nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihre Heimat, ihr soziales Bezugssystem. Ständig sind sie von nun an mit dem Vater unterwegs, der in bedrohliches Schweigen versinkt und kaum ein Wort sagt. Mal werden sie tageweise, mal für Monate bei Verwandten oder Freunden des Vaters untergebracht. Aber niemand kümmert sich wirklich um sie.

"Obwohl es zu kalt war, ließen sie mich im Hof sitzen, auf einer Bank, die naß war vom letzten Regen. Ich wischte mit den Fingern übers Wasser, wartete auf den nächsten Regen, der meinen Mantel, meine Strümpfe, meine Stiefel durchweichte, und ich wünschte mir, er könnte mich genauso durchweichen, der Regen, vielleicht auflösen, und ich, ich könnte mit dem Wasser weggleiten – irgendwohin."

Totale Hoffnungslosigkeit

Zsuzsa Bánk, geboren 1965, wollte keinen historischen Roman schreiben, eher ein Roadmovie als Panoramabild der 1950er Jahre. Eindrucksvoll erzählt sie - aus der Perspektive der beiden Kinder - von der merkwürdigen Stimmung nach dem gescheiterten Ungarn-Aufstand 1956. Nichts hat mehr seinen Wert, alle warten wie gelähmt, was als nächstes geschieht.

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Nach dem gescheiterten Aufstand 1956 fliehen viele Ungarn ins AuslandBild: picture-alliance / IMAGNO/Barbara Pflaum

"Ich wußte, was ich liegengelassen hatte, würde im nächsten Moment weggeräumt, eine schmutzige Tasse, ein Messer - lange bevor wir wieder aus einem Zug, aus einem Bus steigen würden. Von uns gab es keine Spuren. Wir hinterließen nichts." 

Die Folgen der brutalen Niederschlagung des Aufstandes eines ganzen Volkes erfasst alle Lebensbereiche: Eine totale Hoffnungslosigkeit bemächtigt sich der Menschen in Ungarn. Diese politischen Zeitumstände tauchen nur im Hintergrund des Familiendramas auf, wie mit Blitzlicht erhellt: der Einmarsch der sowjetischen Truppen, die massenhafte Flucht über die grüne Grenze nach Österreich, die politische Stagnation im Land, die völlige Entmutigung. Auch die Ich-Erzählerin Kata wird davon erfasst.

"Es war, als habe jemand alle Uhren zum Stehen gebracht, als liefe die Zeit für uns nicht weiter. So, als habe man Isti und mich in Sirup fallen lassen und dort vergessen."

Als die Kinder von der Großmutter in brutaler Offenheit die wahren Fluchtgründe der Mutter erfahren, bricht die angeknackste kleine Welt von Katas Bruders Isti vollends zusammen. Er versinkt in verstörten Tagträumen, stumm, den leeren Blick nur noch zu Boden gesenkt. Das Drama nimmt seinen Lauf.

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Der Plattensee im ungarischen Balaton - Kata und Isti gehen oft "im See" baden Bild: AFP/Getty Images

Literarische Schöpfungskraft

"Von mir ist nur der Blick auf die Dinge", erklärt Bánk auf die Frage, wie viel biografisches Leben in ihrem Roman steckt. Geboren ist sie in Frankfurt am Main,  aber ihre Eltern flüchteten 1956 aus Ungarn nach Deutschland. Die Autorin hat die in ihrer Familie erzählten Geschichten akribisch recherchiert, neu geordnet, mit hochpoetischer Energie aufgeladen - und zu einem Roman verdichtet.

Als junge Frau fuhr Zsuzsa Bánk später oft über die Grenze zu Verwandten, auch an den Plattensee, der im Roman eine zentrale Rolle spielt: Nur wenn die Kinder mit dem Vater schwimmen gehen dürfen, und sie ihn mit kräftigen Zügen das Wasser durchgleiten sehen, stellt sich für kleine Momente Glück in ihrem Leben ein.

 

Zsuza Bank: "Der Schwimmer" (2002), S. Fischer Verlag

Die Autorin Zsuzsa Bank ist 1965 in Frankfurt am Main geboren. Als Tochter ungarischer Eltern, die nach dem blutig niedergeschlagenen Ungarn-Aufstand 1956 nach Westdeutschland flüchteten, wuchs sie zweisprachig auf. Nach einer Ausbildung zur Buchhändlerin studierte sie in Mainz und Washington D.C. Literatur und Politik. Als TV-Journalistin drehte sie später Filme fürs Fernsehen. Für ihren ersten Roman "Der Schwimmer" erhielt sie 2002 den Aspekte-Literaturpreis.