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Zuflucht im Krankenhaus

Karen Leigh, Antakya /db24. Juli 2012

Die Krankenhäuser im türkisch-syrischen Grenzgebiet haben es mit einer steigenden Anzahl syrischer Flüchtlinge zu tun. Neben Frauen und Kindern sind darunter immer mehr Deserteure der syrischen Armee.

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Eine syrische Flüchlingsfamilie
Bild: Reuters

Der ehemalige Soldat der syrischen Armee sitzt unter einer Leuchtstoffröhre im Flur vor der Patientenaufnahme im staatlichen Krankenhaus in Antakya. Unruhig zerrt der 29-Jährige an dem rosafarbenen Handtuch um seinen Hals.

Quer über seinen kahlgeschorenen Kopf verläuft eine Narbe, einen Zentimeter breit, von seinem linken zum rechten Ohr. Es sind frühere Kameraden bei der Armee, die ihn so zugerichtet haben als er desertierte, um sich den syrischen Oppositionellen anzuschließen. Es gibt noch einen Grund für seine Nervosität. Er sei doch Soldat der Regierung gewesen, sagt er leise: "Ich habe Menschen erschossen."

Da er in Syrien keine medizinische Hilfe fand - ein Schicksal, das allen syrischen Fahnenflüchtigen blüht - machte er sich auf den Weg zur türkischen Grenze, in der Hoffnung auf Behandlung im staatlichen Krankenhaus in Antakya.

Drei Mitglieder der freien syrischen Armee
Die Rebellen fühlen sich sicher im GrenzgebietBild: Reuters

Täglich suchen hier Hunderte syrische Flüchtlinge medizinische Hilfe. Sie ist umsonst, der türkische Staat übernimmt die Kosten. Der weitläufige Komplex in einer bürgerlichen Gegend nahe dem Stadtzentrum ist ein Zufluchtsort für verwundete Syrer geworden, ein Treffpunkt für eine Gemeinschaft von Vertriebenen, die versuchen in dieser neuen Welt, die ihrer Heimat so nah ist, Fuß zu fassen.

Besucher erscheinen, um Verwandte nach einem Arzttermin abzuholen. Geschichten machen die Runde, es treffen immer wieder Flüchtlinge aus den belagerten Städten Latakia und Hama und aus der Provinz Idlib, einer Hochburg der Aufständischen, ein.

Neben dem Soldaten sitzt Samir. Der 25-Jährige Student aus Homs hat eine Granatsplitterwunde am Fuss. "In der Türkei fühle ich mich sicher", meint er. Er spielt mit seinem Feuerzeug und erzählt seine Geschichte. "Manchmal haben Assads Truppen Leute angezündet", sagt er. "Ich brachte die verkohlten Körper ins Stadtzentrum, um sie den Leuten zu zeigen."

Anstieg der Flüchtlingszahlen

Die Gewalt in Syrien eskaliert, und die Flüchtlingswelle rollt über die türkische, libanesische und jordanische Grenze. Nach türkischen Regierungsangaben flohen bis zum 17. Juli mehr als 42.000 Flüchtlinge über die Grenze in die Türkei. Dort leben sie in großen Flüchtlingslagern. Bisher sind mehr als 112.000 Syrer vor der Gewalt in die Türkei, den Libanon und nach Jordanien geflohen.

Das staatliche Krankenhaus in Antakya ist ein Anlaufpunkt für die Menschen, und gleichzeitig ein Zeichen der langsamen Integration in die türkische Gesellschaft, denn wie lange der Bürgerkrieg zwischen Assad und den Aufständischen, der sogenannten Freien Syrischen Armee, andauern wird lässt sich nicht vorhersagen.

Geschätzte 30.000 Menschen sind am vergangenen Wochenende aus Damaskus geflohen; die Kämpfe dort waren derart heftig, dass bereits über den Zusammenbruch des Assad-Regimes spekuliert wurde.

"Damaskus ist ein neues Kapitel, aber nicht das letzte Kapitel", warnt Ausama Monajed. Der führende syrische Dissident und Mitglied des syrischen Nationalrats erklärte gegenüber der Deutschen Welle, es werde noch ein paar Monate dauern, bis es eine weitere entscheidende Entwicklung gibt. "Das hängt davon ab, was in Damaskus passiert - wenn die Regierung mit biologischen Waffen droht, könnte das große Teile der Bevölkerung vertreiben. Viele Viertel sind schon zerstört worden, Gegenden dem Erdboden gleich gemacht. Aber das ist die Hauptstadt, sie können nicht so viel machen ohne ihre eigene Sicherheit aufs Spiel zu setzen."

Ein sicherer Hort 

In der Zwischenzeit ist Antakya mit seinem Angebot kostenloser medizinischer Betreuung zu einem Zufluchtsort geworden. Für Syrer, die im Grenzgebiet lebten oder Verwandte in der Türkei haben und daher etwas türkisch sprechen war es nicht schwierig, sich rasch zu integrieren. "Die Landschaft, die Kultur, das Klima - es ist so ziemlich wie in Syrien", erklärt Monajed. Aber für Syrer aus weiter entfernten Städten wie Homs, Hama und Damaskus - die Heimat vieler fahnenflüchtiger Assad-Kämpfer - ist es schwieriger.

Ein patient in einem Krankenhaus
Die Krankenhäuser müssen sich um Hunderte von Flüchtlinge kümmernBild: DW/Tanios

"Sie sind frustriert", sagt Monajed. "Die türkische Regierung tut ihr Bestes, aber die Leute können nicht zurück in ihre Häuser und Geschäfte und das beeinträchtigt die Stimmung in den Flüchtlingslagern."

Übereinstimmend sagen die Syrer im Krankenhaus, sie fühlten sich in der Türkei sicherer als in der Heimat. Mit "nichts als Stöcken" bewaffnet hätten sich viele Syrer gegen Assad erhoben, meint der Student Samir.

Halab ist aus Idlib geflohen und lebt seit einem Monat in Antakya. Er hat sich auf den Weg ins Krankenhaus gemacht, um ein Medikament abzuholen. "Alle meine Freunde und Verwandte kommen hierher", meint er, und greift in eine Tüte mit Früchten, die er an die Wartenden im Flur verteilt. "Die meisten Syrer kommen in dieses Krankenhaus weil es nichts kostet und weil in Syrien der Hund die Krankenhäuser zerschossen hat, also müssen wir für medizinische Hilfe in die Türkei kommen", sagt er. Wie so viele syrische Flüchtlinge bezeichnet er Assad als "den Hund."

Adil aus Latakia wartet auf Neuigkeiten von Verwandten, deren Granatsplitterwunden versorgt werden. Der 40-Jährige ist einer der wenigen, die sich über die Behandlung beschweren. "Einem meiner Verwandten floss Blut aus dem Mund; stundenlang saß er nur so da", lamentiert der Mann.

Hass auf Assad

Im Bus zurück ins Stadtzentrum von Antakya hört man mehr arabisch als türkisch. Hamas Zacharia, 21, und sein Freund Sofi, 22, gesellen sich dazu. Beide sind fahnenflüchtige Soldaten Assads, die sich den Aufständischen angeschlossen haben und dafür büßen mussten: Zacharia wurde in den Arm geschossen, Sofi hat zwei Bauchschüsse.

Mitglieder der freien syrischen armee zerreißen eine assad fahne
Deserteure sagen, in syrischen Krankenhäusern würde man sie tötenBild: Reuters

Syrische Krankenhäuser weigerten sich, Sofi zu behandeln, also fuhr der verwundete junge Mann von Idlib nach Antakya. "In Syrien sind Krankenhäuser richtig gefährlich, vor allem die staatlichen", meint Sofi. "Wenn wir uns da blicken lassen, köpfen sie uns weil wir fahnenflüchtig sind. Verwundete Deserteure kommen jetzt alle nach Antakya ins Krankenhaus, 20 oder 30 pro Monat."

Der Gemeinschaftssinn wird durch einen gemeinsamen Nenner noch verstärkt - sie alle hassen ihren Präsidenten. "Schreiben Sie auf jeden Fall, dass er 'der Hund' ist'", sagt Halab, und schlenkert mit der Obsttüte. "Das ist sehr, sehr wichtig."