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Weißrussische Exil-Uni

7. August 2010

Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko ließ die European Humanities University 2004 schließen, weil sie ihm zu unabhängig war. Seitdem lehrt man an der Universität im litauischen Exil.

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Studenten an der European Humanities University in Litauen (Foto: DW/Ute Zauft)
Die EHU regt die Studenten an - auch zu einem ComedyclubBild: DW/Ute Zauft

Die weißrussische Hauptstadt Minsk ist nur zwei Zugstunden entfernt, und obwohl Litauen und Weißrussland aneinander grenzen, liegen Welten zwischen den Ländern. Während Litauen seit 2004 EU-Mitglied ist, wird Weißrussland seit 16 Jahren autoritär von Alexander Lukaschenko regiert. Er war es auch, der die European Humanities University (EHU) geschlossen hat. Nun schauen sich weißrussische Abiturienten am Tag der offenen Tür die Uni im Exil an.

Kunststudenten im Hörsaal an der European Humanities University in Litauen (Foto: EHU)
Mitmachen, mitreden, mitdenkenBild: EHU

Maxim studiert bereits an der EHU und führt die Schüler durch die Uni. In seiner Stimme schwingt Stolz mit, wenn er ihnen von der Geschichte der EHU erzählt. Die litauische Regierung hat der Uni ein Gebäude am Stadtrand von Vilnius zur Verfügung gestellt, nachdem die Universität ihren Lehrbetrieb in Weißrussland abrupt eingestellt hatte.

In der Sporthalle erklärt Maxim, wie wichtig die außeruniversitären Aktivitäten an der EHU sind. Die kleine Uni hat eine eigene Zeitung, mehrere Sportclubs und ein Wahlbeobachterteam, das dieses Jahr zu den Parlamentswahlen nach Bosnien-Herzegowina fahren wird - alles organisiert von Studenten. "Gibt es Fragen?", ruft Maxim in die Runde. Keiner reagiert. "Fragt, fragt, fragt, das ist wichtig", betont er. Später erklärt er, dass die weißrussischen Abiturienten es einfach noch nicht gewohnt seien, Fragen zu stellen - andere Fragen als die offiziell erwünschten.

Insel außerhalb staatlicher Kontrolle

Rektor der EHU, Anatoli Michailow (Foto: EHU)
Rektor der EHU, Anatoli MichailowBild: EHU

Kurz nach dem Ende der Sowjetunion gründeten zwei weißrussische Professoren in Minsk die European Humanities University. "Wir wollten die jahrzehntelange Abschottung unseres Landes von Europa durchbrechen und endlich eine ideologiefreie Wissenschaft etablieren", erklärt Anatoli Michailow, der heute noch Rektor der Uni ist. Die neu gegründete Universität knüpfte schnell internationale Kontakte und wurde innerhalb Weißrusslands für ihre streitbaren Studenten bekannt.

Als es nach der ersten Wiederwahl von Alexander Lukaschenko 2001 zu Demonstrationen kam, zeigte sich, dass die Studentenschaft der EHU praktisch geschlossen gegen Lukaschenko eingestellt war. Der Druck auf die Uni wuchs, 2004 entzog ihr das Bildungsministerium schließlich die Lehrerlaubnis. Formale Gründe wurden angegeben, doch Rektor Michailow sieht dahinter politische Motive. "Die Rektoren der staatlichen Universitäten wurden damals schon von Lukaschenko persönlich ernannt. Alles stand unter staatlicher Kontrolle, nur wir waren eine Insel", erklärt er. "Ich denke, sie haben uns als Gefahr für die gesamte Studentenschaft betrachtet."

Raum für Diskussionen

Fotos hängen im Flur der European Humanities University (Foto: EHU)
In den Fluren hängen wechselnde AusstellungenBild: DW/Ute Zauft

Seit 2004 gewährt Litauen der Universität Asyl, sie wird außerdem von der Europäischen Kommission, weiteren EU-Ländern und den USA unterstützt. Formal ist sie eine litauische Universität, doch 97 Prozent der rund 2000 Studenten kommen aus Weißrussland. Sie pendeln zwischen ihrer Heimat und Litauen hin- und her oder machen ihren Abschluss per Fernstudium. Tatsiana Chulitskaya ist Politik-Dozentin an der EHU und pendelt auch. "Manche Studenten kommen sicherlich aus ganz pragmatischen Gründen an die EHU", sagt Chulitskaya. Die EHU ist die einzige weißrussische Universität, die einen europäischen Abschluss anbietet. Der Bachelor-Abschluss wird zwar nicht in Weißrussland anerkannt, doch öffnet er das Tor zu weiterführenden Abschlüssen in Europa und den USA. "Unser Grundansatz ist es, alle Studenten dazu anzuregen zu diskutieren und Dinge zu hinterfragen", betont die Dozentin.

Katerina ist 20 und studiert Kunst an der EHU. Als sie hier anfing, war sie politisch wenig motiviert, erinnert sie sich. "Gleich am ersten Seminartag haben uns die Dozenten gefragt: 'Welche Fragen habt ihr?' Das hat uns damals sehr schockiert. Wir waren es einfach nicht gewohnt." An der EHU lerne sie, Informationen zu sammeln und sich auf Grundlage dieser Informationen ihre eigene Meinung zu bilden. Inzwischen denke sie praktisch den ganzen Tag, sagt sie lachend. Doch dadurch entfernt sie sich auch von ihren Freunden in Weißrussland. "Sie sehen keine Alternativen, schauen alle durch die gleiche schwarz-weiß-Brille und sind zufrieden, solange es keinen Krieg gibt", erklärt Katerina. Sie will noch ihren Master machen, vielleicht an der EHU, vielleicht auch in einer anderen europäischen Stadt. Langfristig will sie aber zurück nach Weißrussland, die Kunst des Hinterfragens im Gepäck.

Autorin: Ute Zauft
Redaktion: Beatrix Beuthner/ Nicole Scherschun