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Zurück aus dem Kaukasus

Darius Cierpialkowski, Moskau28. August 2002

Es geht nach Hause, nach Moskau, nach vier Tagen im Kriegsgebiet Tschetschenien. Aber auf dem Flughafen in der kleinen benachbarten Kaukasusrepublik herrschen eigene Gesetze. DW-Korrespondent Darius Cierpialkowski.

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Der Flieger geht angeblich um fünf Uhr nachmittags. Als weit vorausblickende Passagiere stehen wir schon drei Stunden früher am Schalter. Am Tag zuvor sind wir nicht mitgekommen, der Flug war überbucht. Die Warteschlange ist erstaunlich kurz. Vor uns fünf freundlich dreinblickende Menschen. Wir sind Nummer sechs und sieben, das Abendessen in Moskau wartet schon.

Innerhalb von einer Stunde ändert sich die Lage jedoch schlagartig. Jeder der fünf Fluggäste hat eine große Familie mit ebenso großen Koffern, Tüten und Paketen. Leute tauchen auf, die angeblich einen Platz in der Schlange reserviert hatten. Um fünf Uhr nachmittags drängeln sich 160 Menschen um einen kleinen Schalter. Die gute alte Tupolew hat aber nur 148 Sitzplätze.

Die Durchsage ist kaum verständlich, doch ein Mann hört die Hiobsbotschaft genau: der Flieger aus Moskau hat sechs oder sieben Stunden Verspätung. Ob er noch am selben Abend zurück fliegt vermag niemand zu sagen.

Die Menschentraube wird unruhig. Hinter dem Schalter erscheinen in beliebiger Reihenfolge: Putzfrauen, Stewardessen, Männer in weißen Hemden oder Arbeitskleidung, eine kleine Katze, Milizionäre und Flughafenangestellte. Um 19 Uhr soll das Einchecken beginnen. Zwei Stunden später drängeln sich 160 Menschen um ein kleines Loch in der Scheibe und schreien wild durcheinander. Jeder will der erste sein.

Einige versuchen am Nebenschalter ihre Tickets, angereichert mit Dollar- und Rubelscheinen durchzuschieben. Eine stimmgewaltige Frau wirft sich dazwischen. Die Schlägerei beginnt Punkt 21:30 Uhr. Fausthiebe, Kindergeschrei, philosophische Vorträge zum Thema Korruption, einige entspannen sich beim Zeitungslesen. Am Ende bleiben 12 Leute auf der Strecke, sie bekommen trotz Flugticket keine Bordkarte. Pech gehabt.

Viele Gepäckstücke fangen an unangenehm zu riechen, die hohe Anzahl der Fliegen verrät den Inhalt, Trockenfisch und Schmuggelkaviar, in Moskau eine heißbegehrte Ware. Zum Fischgeruch gesellt sich ein strenger Toilettenduft.

Mittlerweile ist es kurz vor Mitternacht. In dem winzigen Flughafengebäude werden notwendige Schweißarbeiten durchgeführt. Die Menschentraube beginnt zu kochen. Während ein Passbeamter seelenruhig 148 Pässe kontrolliert, werden in der wogenden Menge kleine Kinder beinahe erdrückt, Gepäckstücke zertrampelt und Schläge angedroht. Ein Mann verliert völlig die Fassung. Sein Nachbar, ein Zwei-Meter-Koloss beruhigt ihn mit den Worten: "Du wirst ja wohl fünf Minuten leiden können."

Um 0:30 Uhr wird die Herde von Passagieren auf das Flugfeld gelassen, Frauen und Kinder zuerst bitte. Zehn kräftige Männer besteigen die Maschine als erste. Punkt drei Uhr nachts landet die Tupolew 154 in Moskau Domededowo, genau rechtzeitig zum Kaviarfrühstück.