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Lea Fauth
30. März 2017

Die Franzosen haben es seit Januar, die Spanier denken darüber nach: Das Recht auf Offline nach der Arbeit. Was spricht dafür, was spricht dagegen?

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Sonniger Maitag am Meer
Bild: picture-alliance/dpa/Ingo Wagner

Wer diesen Artikel nicht im Büro bei der Arbeit liest, hat vermutlich gerade Feierabend. Man kann den Alltagsstress hinter sich lassen und sich verabreden, einen Film gucken, lesen, abschalten. Theoretisch zumindest. Denn manchmal meldet sich das Arbeitshandy: Eine Mail vom Chef kommt rein, ein Kunde ruft an, ein wichtiger Termin wird angekündigt. Dann ist es meistens vorbei mit dem Feierabend - man muss die Lektüre oder das Gespräch unterbrechen und wird wieder zurück in den Arbeitsalltag geworfen, von dem man sich doch gerade erholen wollte.

Sogar wenn kein Anruf kommt, können viele sich am Ende des Tages nicht entspannen, weil sie auf Abruf bereit sein müssen. "Ständige Erreichbarkeit ist ein Stressfaktor, der letztlich mit der Digitalisierung des Alltags einhergeht", sagt Facharzt Mazda Adli der Deutschen Welle. "Das kann natürlich auch krankheitsrelevant sein", fügt er mit Blick auf Burnout-Erkrankungen hinzu.

Gesetzliches Offline

In Spanien hat die sozialistische Opposition deshalb ein Recht auf Offline gefordert und einen entsprechenden Gesetzesentwurf gemacht.  Demnach sollen Angestellte das Recht haben, nach der Dienstzeit unerreichbar zu sein – ob per Telefon oder per Mail.

In Frankreich wurde ein solches Offline-Gesetz bereits im Januar verabschiedet. Es gilt für alle Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern und soll "die Respektierung der Ruhe- und Urlaubszeit und des persönlichen und familiären Lebens gewährleisten", so heißt es in dem Gesetzestext. Die aktuelle Debatte in Spanien wurde genau damit angestoßen. "Spanien darf bei diesen europäischen Initiativen kein Nachzügler sein", mahnte der Sprecher der oppositionellen PSOE-Partei Óscar Galeano im Parlament an.

Kodex statt Verpflichtung?

Und Deutschland? 2011 und 2012 haben viele Unternehmen einen eigenen Kodex festgelegt, der den Stress der Angestellten reduzieren soll. Der Autohersteller Volkswagen etwa leitet eine halbe Stunde nach Dienstschluss vom internen Server keine Mails mehr auf Smartphones weiter. Allerdings gibt es auch Unternehmen, die auf solche Maßnahmen verzichten - als Angestellter ist man somit dem gutem Willen der Chefetage ausgeliefert.

Burnout-Experte Wolfgang Spitta sieht die freiwilligen Erklärungen von Unternehmen auch aus einem anderen Grund kritisch. Der Kodex gelte oft nur für eine bestimmte Gruppe. "Die Telekom zum Beispiel hat groß erzählt: Wir fahren den Server runter, und unsere Mitarbeiter brauchen am Wochenende keine Mails zu checken. Das gilt aber nur für Tarifmitarbeiter", weiß der Facharzt für Psychiatrie. Von den anderen Mitarbeitern werde erwartet, auch am Wochenende erreichbar zu sein, erzählt Spitta der DW. 

Trotzdem bezweifelt der Facharzt, dass eine gesetzliche Regelung die Lage der Angestellten verbessern würde. Von seinen an Burnout leidenden Patienten weiß Spitta, dass ständige Erreichbarkeit allein nicht zu Überbelastung führt. "Ich höre Leute, die sagen: dann werde ich am Montag mit 40 Mails überfallen, die bis mittags abgearbeitet werden sollen. Denen ist es lieber, das am Wochenende zu machen", erzählt er. Spitta glaubt deshalb, dass Unternehmen ganz generell das Arbeitspensum ihrer Mitarbeiter besser managen müssen.

Stress durch Freiwilligkeit

Arbeitsrechtlich gesehen wäre ein Offline-Gesetz in Deutschland wohl ohnehin überflüssig. Denn theoretisch ist niemand dazu verpflichtet, länger zu arbeiten, als vertraglich festgelegt wurde. Das Problem sei vielmehr, dass nicht alle dieses Recht wahrnehmen, weiß Rechtsanwalt Johannes Klassen von der Kanzlei Klassen&Partner in Bonn. "Die meisten Arbeitnehmer sorgen sich, dass der Arbeitgeber mit einer Kündigung reagiert, wenn man abends offline geht", sagt der Fachanwalt für Arbeitsrecht der DW.

Der Jurist betont zwar, dass es die rechtliche Möglichkeit gebe, sich zu wehren - auch gegen eine Kündigung. Aber so weit wollen viele Arbeitnehmer es gar nicht erst kommen lassen. Facharzt Spitta berichtet, dass es den Angestellten oft an Selbstbewusstsein mangelt, um ihre Rechte gegenüber den Chefs geltend zu machen. "Sich als Einzelner dagegen zu stellen, dafür braucht man eine enorme Kraft", gibt er zu bedenken.

Das ist auch die Kritik, die viele an dem französischen Gesetz "Recht auf Offline" geäußert haben: solange der Einzelne sein Recht einklagen muss, gebe es keinen flächendeckenden Schutz. Der allgemeine Gewerkschaftsbund in Frankreich bemängelt außerdem, dass das dortige Gesetz keine Konsequenzen vorsieht, wenn der Arbeitgeber gegen das Recht auf Unerreichbarkeit verstößt.