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"Zurück an den Autor"

23. Januar 2002

Die russische Jugendorganisation "Gemeinsam gehen" wollte Werke unbequemer junger Schriftsteller aus dem Verkehr ziehen. Nun wurde die fragwürdige Aktion erst einmal gestoppt.

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Viktor Pelewins Roman "Generation P"

Unbequemes mundtot machen – per Büchertausch

Den bekanntesten zeitgenössischen Schriftstellern Russlands sollte das Fürchten gelehrt werden – wäre es nach der Jugendorganisation "Gemeinsam gehen" gegangen. Sie versuchten jüngst Veröffentlichungen international renommierter junger Schriftsteller wie Viktor Pelewin, Wladimir Sorokin und Viktor Jerofejew zu unterbinden. Die Gruppe bezeichnet die Literaten als "Autoren, die Russland am meisten geschadet haben". Um dieser Aussage Taten folgen zu lassen, hatten sie sich einen kruden Tausch ausgedacht: Sie wollten - kostenlos - jedes Buch der verfemten Autoren in Werke des Sowjet-Klassikers Boris Wassiljew umtauschen. Junge Russen sollten "in der Literatur wieder moralische Nahrung finden", so die Begründer der Konformisten. Wassili Jakemenko, Führer der Organisation und früherer Kreml-Mitarbeiter, bezeichnet die Bücher von Pelewin, Sorokin sogar als "Schund, der aus dem Verkehr gezogen werden müsse".

Wirklichkeitsschilderungen - anti-russisch?

Einer der betroffenen Autoren, Viktor Jerofejew, fühlte sich durch die Aktion der Putin-Jugend an die Bücherverbrennung der Nazis 1933 erinnert. "Das ist der erste Grad des Faschismus", sagte er zu den Angriffen. Er verglich die Hetzkampagne mit der gnadenlosen sowjetischen Hetze gegen Schriftsteller wie Boris Pasternak, Alexander Solschenizyn oder Anna Achmatowa.

Die Romane von Pelewin wie "Buddhas kleiner Finger" oder "Der himmelblaue Speck" von Sorokin werden im Westen als wichtige Versuche gewertet, das Chaos der Umbruchszeit in Russland literarisch zu verarbeiten. Das war den selbsternannten Saubermänner von "Gemeinsam gehen" zuviel. Der Inhalt sei völlig richtungslos - zu viel Sex und Gewalt obendrein. Ihrer Meinung nach seien Form und Inhalt der postmodernistischen Werke respektlos gegenüber allen russischen literarischen und politischen Traditionen. Doch die Umtauschaktion wurde gestoppt, so melden russische Agenturen am Dienstag (22.01.2002). Wassili Jakemenko hatte sich doch gegen die Aktion entschieden. Russische Bürger waren empört über die eigenwillige Zensur.

Selbsternannte Hüter der Zensur

Die selbsternannten Literaturwächter sind erstmals im November 2000 mit Großdemonstrationen für Präsident Putin bekannt geworden. Die enge Verbindung zum Kreml wird zwar geleugnet, doch "Gemeinsam gehen" verfügt über einige Finanzmittel. Deren Herkunft ist unbekannt. Im Mai 2001 gaben die Demonstranten nach russischen Presseberichten zu, mit Internetfreiminuten, Pagern, CDs oder T-Shirts mit Putins Konterfei entlohnt zu werden. Dafür vertreten sie ideologisch Anstand und Moral, sind gegen das Rauchen und Trinken.

Schriftsteller Jerofejew sah die Aktion als einen weiteren Versuch, die erst vor 15 Jahren errungene Meinungsfreiheit in Russland zurückzudrehen: "Erst hat keiner den Druck auf das Fernsehen ernst genommen, aber jetzt ist das Fernsehen in die Knie gezwungen."

Den Vater des Kommunismus, Karl Marx, setzte der Putintreue Verband ebenfalls auf die Schwarze Liste. Der lebe zwar nicht mehr, "aber auch ihm schicken wir die Bücher in seine Heimat nach Karl-Marx-Stadt", verkündete Jugendführer Jaûemenko. Dass Marx in Trier geboren wurde und Karl-Marx-Stadt heute wieder Chemnitz heißt, wusste er nicht. (dpa/pt)