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Zuwanderer an der Urne

Naomi Conrad21. September 2013

Mehr als fünf Millionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte werden bei der Bundestagswahl ihre Stimme abgeben können. Wen und ob sie wählen, hängt auch mit ihrer Einwanderungsbiografie zusammen.

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Stimmzettel Bundestagswahl Nahaufnahme
Stimmzettel ausfüllenBild: Fotolia/MaxWo

Der Liebe wegen, sagt Juan Diaz und grinst, sei er nach Berlin gezogen. Er habe sich sofort auch in die Stadt verliebt, in der sich die vielen Nationalitäten der Berliner wie ein bunter Flickenteppich zusammenfügen. Juan Diaz ist Amerikaner, seine Eltern Kubaner, die vor Fidel Castros Regime nach Miami flohen: "Eine komplexe Identität", so fasst er es zusammen. Seit sieben Jahren ist Diaz außerdem noch Deutscher. "Ich habe den Pass beantragt, weil ich ein Mitspracherecht wollte. Ich wollte mitentscheiden, wer Kanzler wird und wer ins Parlament zieht."

Knapp 16 Millionen Menschen wie Diaz lebten nach den letzten Erhebungen des Statistischen Bundesamtes 2011 in Deutschland - Menschen mit Migrationshintergrund also, die selber ihre alte Heimat verlassen haben oder deren Eltern oder Großeltern eingewandert sind. Ein Großteil von ihnen ist entweder zu jung, um zu wählen oder nicht im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft. Denn nur wer einen deutschen Pass besitzt, darf seine Stimme abgeben. Eine Ausnahme sind EU-Bürger: Diese dürfen auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft bei Kommunal- und Europawahlen ihre Stimme abgeben, nicht aber bei Bundestagswahlen.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wird etwa ein Drittel der Menschen mit Migrationshintergrund ihre Stimme bei der Bundestagswahl im September abgeben dürfen. Tendenz steigend: 2011 haben sich mehr als 100.000 Menschen einbürgern lassen.

Berlin: Ankunft deutschstämmiger Aussiedler mit Gepäck und großen Taschen auf dem Berliner Flughafen Schönefeld. (Foto: Projekt Destination Europe)
Potenzielle CDU-Wähler: Spätaussiedler, die Mitte der 1990er in Berlin ankommenBild: picture alliance/ZB

Partei-Präferenzen je nach Herkunftsland

Nicht alle von ihnen werden aber wohl ein Wahllokal aufsuchen: Aus einer Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2012 geht hervor, dass Menschen mit ausländischen Wurzeln im Schnitt weniger oft wählen gehen: Demnach gaben 72,3 Prozent von ihnen an, bei den Bundestagswahlen 2009 gewählt zu haben. Bei der sonstigen Bevölkerung lag der Anteil bei 81,5 Prozent.

Nicht wählen? Juan Diaz schüttelt den Kopf. Für den amerikanisch-kubanischen Deutschen schlicht unvorstellbar: "Ich finde es immer wieder fantastisch, wenn meine Wahlbenachrichtigung im Postkasten landet." Die Wahlberechtigung sei ein wertvolles Grundrecht. Darauf will er nicht verzichten: Als Mediator zwischen Konfliktparteien reist er viel, ist immer wieder auf dem Balkan unterwegs. Dann, sagt er, wähle er einfach im Vorfeld per Briefwahl.

Wer wie Diaz wählen geht, wird oft der SPD oder der CDU seine Stimme geben - zumindest laut Wahlforschung: Einwanderer bevorzugten in ihrer Mehrheit eine der beiden großen Parteien, sagt Ingrid Tucci vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Die Sozialwissenschaftlerin hat die Parteiloyalität von Menschen mit Migrationshintergrund untersucht: Demnach tendieren Menschen, die in den fünfziger und sechziger Jahren als Gastarbeiter aus Südeuropa, Jugoslawien und der Türkei angeworben wurden, eher zur SPD. Diese Einwanderer seien dem "traditionellen Arbeitermilieu" zuzurechnen. Spätaussiedler, Menschen also mit deutschen Wurzeln, die nach dem Ende des Kalten Krieges aus der Sowjetunion nach Deutschland eingewandert sind, neigen eher zur CDU/CSU.

Ingrid Tucci, Sozialforscherin am DIW (Foto: privat)
Ingrid Tucci, Sozialforscherin am DIWBild: privat

Migrationserfahrung wichtig

Tucci glaubt, dass diese Parteiloyalitäten sehr stark mit der Migrationserfahrung zusammenhängen. So habe sich die CDU dafür stark gemacht, Spätaussiedlern die Einwanderung zu ermöglichen und gezielt Eingliederungsmaßnahmen unterstützt. Allerdings hätten sich einige Unionspolitiker mit einer oft abweisenden Haltung gegenüber Gastarbeitern hervorgetan. Religion, sagt Tucci, spielt dahingegen eine relativ geringe Rolle: Ihre Forschung hat ergeben, dass Religion, Bildungsniveau oder berufliche Stellung nur "einen minimalen Einfluss auf die Parteipräferenz haben."

Sie vermutet eine direkte Verbindung zwischen Wahlverhalten und Migrationserfahrung, die allerdings noch besser erforscht werden müsse. Denn die klare Präferenz für CDU und SPD weiche in den darauffolgenden Generationen auf: Daten von 2011 zufolge würden sich 18 Prozent der zweiten Generation, also Kinder von Einwanderern, für die Grünen aussprechen - und nur zu jeweils knapp 40 Prozent für die CDU oder SPD. Somit unterscheiden sie sich kaum mehr von Menschen ohne Migrationshintergrund, erklärt Tucci.

CDU Mitglied Cemile Giousouf (Foto: Caroline Seidel/dpa)
Auch die CDU öffnet sich für Muslime: Bundestagskandidatin Cemile GiousoufBild: picture-alliance/dpa

Wem Diaz seine Stimme geben wird, lässt er offen. Er hat in der Vergangenheit für einen CDU-Politiker gearbeitet, bei mehreren Sitzungen der Grünen mitgewirkt und besucht immer wieder politische Diskussionsrunden aller Parteien in Berlin. Früher, erzählt er, hätten ihm Deutsche in Gesprächsrunden oft gesagt: "Du bist Ausländer. Du hast nicht das Recht, was zu sagen." Das habe ihn wütend gemacht. Jetzt aber hat er ein Mitspracherecht - ganz offiziell.