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Zwei-Drittel-Mehrheit für ESM und Fiskalpakt in Sicht

Bernd Gräßler29. Juni 2012

Eine Zwei-Drittel-Mehrheit für europäische Verträge zeichnet sich bei der entscheidenden Abstimmung ab. Doch viele Abgeordnete sind irritiert durch die jüngsten Brüsseler Gipfelbeschlüsse.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gibt am Freitag (29.06.2012) im Bundestag in Berlin eine Regierungserklärung ab. Am Abend stimmt das Parlament über den Fiskalpakt und über den Europäischen Rettungsschirm ESM ab. Foto: Maurizio Gambarini dpa/lbn
Bild: picture alliance / dpa

Die als physisch robust bekannte Kanzlerin wirkte angestrengt wie selten, als sie im Bundestag für Zustimmung zu Fiskalpakt und Rettungsschirm warb. Der Ruf, in durchverhandelter Brüsseler Nacht von Spanien und Italien über den Tisch gezogen worden zu sein, war ihr nach Berlin vorausgeeilt.

Besonders die Gipfel-Vereinbarung, dass Geld aus dem dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM künftig auch direkt an marode Banken fließen sollte, trug ihr Häme der Opposition ein. Das sei eine 180-Grad- Wende der Kanzlerin, erklärte der Haushaltsexperte der oppositionellen SPD, Carsten Schneider. Die Linken-Politikerin Dagmar Enkelmann verlangte zu Beginn der Bundestagssitzung die Absetzung der entscheidenden Abstimmung über beide europäischer Vertragswerke. Sie warf Bundeskanzlerin "Arroganz der Macht" vor und sagte wörtlich: "Das ist eine Verarschung des Parlaments".

Die jüngsten Brüsseler Beschlüsse stellten kurzzeitig den mühsam ausgehandelten Kompromiss zwischen Opposition und Regierung in Frage, der die gemeinsame Annahme von ESM und Fiskalpakt durch den Bundestag ermöglichen soll. In einer 20-minütigen Regierungserklärung verteidigte Kanzlerin Merkel ihre Zustimmung zur direkten Rekapitalisierung von europäischen Banken durch Steuergelder mit dem Hinweis, dass dies erst möglich sein werde, wenn eine gemeinsame Bankenaufsicht für den Euroraum geschaffen worden sei, was erst "in mehreren Monaten oder einem Jahr aktuell werden dürfte".

"Schönheitsoperation am ungeborenen Kind"

Den Chef der Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, überzeugte dies nicht. Eine solche Bankenaufsicht reiche laut dem zur Abstimmung vorliegenden Gesetz über den ESM-Vertrag nicht aus. Dort sei vorgesehen, dass die Banken Auflagen erfüllen müssten. "Wenn Sie das anders machen wollen, müssen Sie zurück in den Bundestag", warnte Gabriel die Kanzlerin vor neuen schwierigen innenpolitischen Auseinandersetzung.

Unter vielen Abgeordneten im Bundestag, nicht nur der Opposition, machte sich bereits vor der für den Freitagabend vorgesehenen Abstimmung über ESM und Fiskalpakt das Gefühl breit, dass sie wieder einmal über Gesetze abstimmen sollten, die von den Zwängen der Märkte bereits in Frage gestellt werden. "Das Kind ist noch nicht geboren, da wird bereits über Schönheitsoperationen gesprochen" kritisierte der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch.

Die für Kanzlerin Merkel entscheidenden Frage, ob sie eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament erhalten wird, schien am frühen Freitagabend allerdings insofern geklärt, als nicht nur die Sozialdemokraten sondern auch die Grünen ankündigten, für die Gesetzespakete zu ESM und Fiskalpakt zu stimmen.

Sozialdemokraten und Grüne dafür, Linke dagegen

"Wir stimmen zu, weil wir nicht wollen, dass die Spekulationen an den Finanzmärkten immer mehr europäische Mitgliedsstaaten erfassen und am Ende Europa vor dem sozialen und wirtschaftlichen Ruin steht", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Dass die Bundesregierung ein europäisches Wachstumspaket von über 120 Milliarden Euro mittrage und die Finanzmarkttransaktionssteuer mit auf den Weg gebracht habe, sei ein Verdienst des Drucks durch Sozialdemokraten und Grüne, sagte Gabriel.

Als einzige Fraktion kündigte die Linke an, geschlossen sowohl ESM als auch Fiskalpakt abzulehnen. Die Linken-Abgeordnete Sarah Wagenknecht sagte, die Regierungspolitiker handelten wie Marionetten, die Puppenspieler seien die Banker und heraus kämen Verträge, wo die Bürger über den Tisch gezogen würden, um die Vermögen der Reichsten zu retten. Die Linke will unmittelbar nach der Abstimmung Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen und versuchen, damit die Unterzeichnung der Gesetze durch den Bundespräsidenten zu stoppen.