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Politik

Zweiter Anlauf im Luxleaks-Prozess

12. Dezember 2016

Sie hatten skandalöse Steuerdeals in Milliardenhöhe öffentlich gemacht - und wurden dafür verurteilt. Die drei Franzosen, die die Luxleaks-Affäre lostraten, stehen jetzt im Berufungsverfahren erneut vor Gericht.

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Luxemburg Prozess LuxLeaks
Bild: Reuters/V. Kessler

Luxemburg ist normalerweise ein ruhiger Ort diskreter Geschäfte, vor allem: diskreter Geldgeschäfte. An diesem Montag aber wird es ungewöhnlich laut werden im Stadtzentrum. Vor dem Gerichtsgebäude werden Demonstranten sein, angereist vor allem aus Frankreich. Sie wollen Antoine Deltour, Raphael Halet und Edouard Perrin unterstützen.

Die drei hatten vor zwei Jahren aufgedeckt, wie große Unternehmen Steuern vermeiden - der sogenannte Luxemburg-Leaks-Skandal. Antoine Deltour und Raphael Halet hatten als Mitarbeiter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) Zugang zu entsprechenden Informationen. Sie hatten rund 30.000 Dokumente an den investigativen Journalisten Edouard Perrin weitergegeben. 

Price Waterhouse Coopers in Frankfurt Flash-Galerie
Aggressive Steuervermeidung am Rande der Legalität, aufgedeckt durch die LuxleaksBild: picture alliance/dpa

Die drei Franzosen müssen sich jetzt im Berufungsprozess erneut wegen der Luxleaks-Affäre verantworten. Die zwei ehemaligen PwC-Angestellten Deltour und Halet waren am 29. Juni 2016 in erster Instanz zu zwölf beziehungsweise neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden sowie zu Geldstrafen in Höhe von 1500 und 1000 Euro. Sie kämpfen für einen Freispruch. Perrin wiederum muss seinen Freispruch verteidigen, den die Luxemburger Justiz anficht.

Steuersatz: ein Prozent

Die Luxleaks-Enthüllungen waren explosiv: Sie zeigten, wie über 300 internationale Unternehmen mit geheim verhandelten Steuervorbescheiden, sogenannten Tax Rulings, ihre Steuern drückten - auf manchmal unter ein Prozent. Verurteilt wurden aber nicht der Limonadenhersteller Pepsi, die Möbelkette Ikea, der Energieversorger Eon, der Technologieriese Apple oder der Ketchup-Produzent Heinz.

Hunderte Milliarden Euro an Gewinnen aus anderen europäischen Ländern haben diese Firmen trickreich durch den Finanzplatz Luxemburg geschleust - und dabei den Gemeinwesen in Europa Milliarden an Steuern entzogen. Anja Osterhaus von der Nichtregierungsorganisation Transparency International ist empört: "Vor Gericht stehen müssten diejenigen, die die Steuervermeidung möglich machen: Die Firmen wie auch die Politiker", betont Osterhaus gegenüber der Deutschen Welle. Die Politikwissenschaftlerin fordert mit Blick auf Deltour und Halet europäische Mindeststandards zum Schutz von Whistleblowern. "Man kann es nicht einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen, ob sie Whistleblower schützen wollen oder nicht."

Druck auf die Pressefreiheit

Das Luxemburger Gericht hatte in erster Instanz anerkannt, dass Deltour und Halet als Whistleblower gehandelt haben. Das Gericht hat auch das allgemeine öffentliche Interesse am Vorgehen der beiden Ex-PcW-Mitarbeiter anerkannt. Dennoch mussten Deltour und Halet im Sommer den Gerichtssaal als vorbestrafte Männer verlassen. Das motiviert Deltour zur Berufung, wie er kürzlich einem Luxemburger Medienunternehmen sagte. Motiviert hat ihn auch die Unterstützung der Zivilgesellschaft. Über 200.000 Menschen haben eine Petition für Antoine Deltour unterschrieben. Aktivisten haben Geld gesammelt für die Prozesskosten.

Luxemburg Prozess LuxLeaks Unterstützer
Whistleblower sind schlecht geschützt, aber nicht allein: Über 200.000 Unterschriften für Antoine DeltourBild: picture-alliance/dpa/. Warnand

Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold war beim ersten Prozess als Zeuge geladen. Im Gespräch mit der DW betont der Experte für Steuerpolitik, dass die Luxemburger Steuerdeals nach dem europäischen Beihilferecht für illegal erklärt wurden. Außerdem habe Luxemburg diese Steuerdeals den geschädigten Finanzbehörden nicht gemeldet, obwohl diese Verpflichtung nach europäischem Recht seit 1977 bestehe. Giegolds Fazit: "Die Whistleblower haben illegales Verhalten offen gelegt. Umso skandalöser ist es, dass sie immer noch von der luxemburgischen Justiz verfolgt werden." 

Sorgen macht dem Euro-Parlamentarier vor allem das Berufungsverfahren gegen den Edouard Perrin nach dessen Freispruch in erster Instanz. Für Giegold ist es selbstverständlich, dass Journalisten bei ihrer Arbeit Geheimnisse nutzen. "Wenn Journalisten dann in Gefahr geraten, wegen Anstiftung zum Geheimnisverrat belangt zu werden, dann sieht es um die Pressefreiheit schlecht bestellt aus."

Verstrickung von Staat und Wirtschaft

Die Luxleaks waren peinlich für den Staat Luxemburg. Nicht nur wegen der Steuervermeidung selbst. Im Prozess wurde auch deutlich, wie eng die Beratungsfirma PcW mit den Steuerbehörden verstrickt war. PcW setzte Dokumente mit dem Briefkopf der Steuerverwaltung selbst auf. Auf die Weise musste der zuständige Steuerbeamte Marius Kohl vom Steuerbüro 6 nur noch seine Unterschrift unter die geheimen Steuervorbescheide setzen. So konnten er an einem Spitzentag schon mal 54 Steuerbescheide abzeichnen. Der französische Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman nennt Luxemburg das "Zentrum der europäischen Steuerflucht".

Brüssel Brexit Gipfel Jean- Claude Juncker
Als Premierminister von Luxemburg hat EU-Kommissionschef Juncker die Steuerpraxis mindestens geduldetBild: picture-alliance/dpa/S. Lecocq

Weiter wie gehabt

Die peinlichen Luxleaks-Enthüllungen Ende 2014 haben allerdings nicht dazu geführt, dass das Großherzogtum seine Geschäftspraxis nachhaltig änderte. Rechtzeitig vor Prozessbeginn veröffentlichte die in Brüssel ansässige Nichtregierungsorganisation Eurodad einen Bericht über den dramatischen Anstieg von Steuerdeals in der EU: In Luxemburg stieg demnach die Zahl der geheimen Steuervorbescheide von 347 Ende 2014 auf 519 Ende 2015 - ein Zuwachs um über 50 Prozent.

Allerdings ist Luxemburg nicht das einzige Land Europas, in dem multinationale Konzerne Steuerdeals mit Behörden treffen. An der Spitze der Länder, die großen Unternehmen Steuervermeidung anbieten, stehen nach Eurodad die Niederlande und Belgien. Dort könnten 17 beziehungsweise 16 verschiedene Gesetze zur Steuervermeidung missbraucht werden. Der EU-Durchschnitt liege bei elf solcher Gesetze pro Staat. In Deutschland gebe es acht solcher Regelungen. Laut EU-Kommission entgehen den Mitgliedstaaten durch die aktive Steuervermeidung der Firmen jährlich Einnahmen in geschätzter Höhe von 50 bis 70 Milliarden Euro.

Immerhin haben die Luxleaks die Debatte um mehr Transparenz und Steuergerechtigkeit in der EU vorangebracht. Im Juni haben die EU-Staaten eine Richtlinie beschlossen, die Konzernen erschweren soll, Gewinne zu verschieben. Und künftig müssen sich die Steuerbehörden Europas gegenseitig über Steuerdeals informieren.