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Durch das Rechtsextremisten-Trio geriet die Stadt ins Zwielicht

Karin Jäger12. April 2012

Als in Zwickau Rechtsextremisten enttarnt wurden, die zehn Morde begangen hatten, prägten Medien den Begriff "Zwickauer Terror-Zelle". Nun müssen sich die Zwickauer gegen ihr schlechtes Image wehren.

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"Nazis raus"-Graffiti auf einer Skaterbahn im Zwickauer Stadtteil Eckersbach. Copyright: DW/Karin Jäger 23.03.2012
"Nazis raus" Graffiti auf Skaterbahn in ZwickauBild: DW

Die Häuser in der Frühlingsstraße erstrahlen im Sonnenlicht. Die Fassaden in diesem bürgerlichen Viertel weisen einen makellosen Anstrich auf, und beim Herausputzen der Vorgärten scheint es, als wollten sich die Bewohner geradezu überbieten. Überall zwischen den gelb blühenden Forsythien und bunten Tulpen wird gejätet, geschnitten, gehackt. Auffällig: die Hausgärtner werkeln mit dem Rücken zur Straße, so als wollten sie nichts anderes sehen als ihr eigenes Grundstück. Reden will auch keiner über die ehemaligen Nachbarn: "Jetzt muss aber mal genug sein", ruft einer aus sicherer Entfernung.

Ruine der Zwickauer Terrorzelle in der Frühlingsstr.26., hier haben die drei untergetauchten Neonazis der NSU jahrelang gelebt. Copyright: DW/Karin Jäger 23.03.2012
Frühlingsstraße 26 - vor dem AbrissBild: DW

Gras soll über die Sache mit den Terroristen in ihrer Straße wachsen. Vor Haus Nr.26 wächst das erste Unkraut aus den Trümmern heraus. Das obere Stockwerk der rechten Doppelhaushälfte ist komplett abgetragen. Vor den Fensterdurchbrüchen des Erdgeschosses verhindern fest vernagelte Spanplatten Einblicke ins Hausinnere. Die Ruine wird durch einen Bauzaun vor Eindringlingen geschützt. Das Haus wurde am 4. November durch eine Explosion in Schutt und Trümmer gelegt.

Zwei der Bewohner wurden damals tot in einem Wohnmobil in einem Eisenacher Vorort gefunden. Die Fahnder entdeckten dort auch die Dienstwaffe einer Polizistin, die vor viereinhalb Jahren in Heilbronn von Unbekannten erschossen wurde. Die Toten und ihre Mitbewohnerin Beate Zschäpe, die sich der Polizei stellte, gehörten zum Rechtsextremisten-Trio des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), das in den vergangenen zehn Jahren zehn Morde begangen hatte, bevorzugt an Ausländern, die in Deutschland lebten. Von Zwickau aus hatten sie ihre Verbrechen geplant.

Was Zwickau zu bieten hat

Seit der Aufdeckung klingelt das Telefon von Mathias Merz im Zwickauer Rathaus. "Aus der ganzen Welt waren Reporter da, sogar aus Finnland und Kanada", seufzt der Sprecher der Oberbürgermeisterin: "Alle wollen wissen, wie rechtsextrem die Zwickauer sind".

Mathias Merz gibt sich alle Mühe. Er vermittelt kompetente Gesprächspartner und bietet sich als Fremdenführer an. Der gebürtige Erlanger lebt seit 14 Jahren in der sächsischen Stadt am Fluss Mulde und das auch "gern", wie er betont. Als Merz aus dem historischen Rathaus, einem der schönsten Deutschlands, hinaustritt auf den roten, tadellos sauberen Teppich, ruft ausgerechnet in diesem Moment ein Schuljunge von höchsten sieben Jahren laut "Nazi" über den Platz. Der angesprochene Gleichaltrige, der ein paar Meter vorausgeht, dreht sich um und antwortet: "selber Nazi." Mathias Merz versucht die Frotzelei zu ignorieren, greift seinen Vortrag über die Stadtgeschichte wieder auf, redet von Silberfunden, den Steinkohlevorkommen, erzählt vom Reformator Martin Luther, der hier predigte, vom Komponisten Robert Schumann, der 1810 in der Stadt geboren wurde und von Autopionier August Horch, der ab 1904 in Zwickau PKW produzierte. Auf dem Weg  zum Dom und dem historischen Stadtkern, vorbei an zahlreichen Skulpturen und Brunnen, berichtet Rathaussprecher Merz von den DDR-Einheits-Autos "Trabant", die hier gefertigt wurden und dem VW-Konzern, der seit der Wende hier Autos baut. Altkanzler Helmut Kohl könnte Zwickau als Beispiel für "blühende Landschaften" anführen.

Trotz des sauberen, makellosen Erscheinungsbildes ist da diese Wunde, die drei Verbrecher der Stadt zufügten. "Viele Zwickauer sind betroffen, weil sie, wie ich auch, immer wieder mit dem Namen 'Zwickauer Terrorzelle' konfrontiert werden und sich dann rechtfertigen müssen, obwohl sie weder etwas mit den Verbrechern zu tun hatten noch rechtsextreme Ansichten vertreten."

Dr.Mathias Merz, Sprecher der Stadt Zwickau sitzt vor dem Robert Schumann-Denkmal. Der Komponist wurde in Zwickau geboren. Copyright: DW/Karin Jäger 23.03.2012
Rathaussprecher Mathias MerzBild: DW

Und dann erzählt Merz noch, dass er kürzlich einen Pfarrer aus Hoyerswerda getroffen habe, der unmissverständlich erklärt habe, die Stadt sei den Ruf ,"ausländerfeindlich" eingestellt zu sein, bis heute nicht los geworden, seit im September 1991 Neonazis unter anderem ein Flüchtlingswohnheim angriffen und die Polizei die Situation nicht in den Griff bekam.

Es gebe fremdenfeindliche Tendenzen, gibt Mathias Merz zu, "das sollte man nicht wegdiskutieren, aber Zwickau ist nicht fremdenfeindlicher als andere Städte auch", fügt er hinzu. Und die Polizeistatistiken geben ihm recht. Demnach ist Zwickau eine der sichersten Städte Deutschlands.

Die wahren Probleme

Viel gravierender sei der demografische Wandel. Pro Jahr verliert die Stadt 500 bis 600 Einwohner. Es sterben viel mehr Zwickauer, als Kinder in der Stadt geboren werden. Beim Zusammenbruch der DDR lebten noch 122.000 Menschen in der Stadt, jetzt zählt sie noch 93.000. Und wo einst die DDR-typischen Einheits-Plattenbauten in den Himmel ragten, wächst nun Gras. Viele Hochhäuser wurden abgerissen, weil sie unbewohnt waren.

Christoph Ullmann, Streetworker des Blauen Kreuzes in Zwickau vor seinem Arbeitsplatz im Wohngebiet Neuplanitz. Copyright: DW/Karin Jäger 23.03.2012
Streetworker Christoph UllmannBild: DW

Im Zwickauer Stadtteil Neuplanitz reihen sich solche Mehrfamilienbauten noch aneinander, allesamt renoviert, mit reinlichem Anstrich. Keine Schmuddelecken, nirgends Graffiti-Schmiereien, aber auch nur wenige Menschen, die sich draußen in Parks und auf Spielplätzen aufhalten.

Arbeit mit Jugendlichen an der Basis

"Die Jugendlichen ziehen sich alle zurück in private Räume, kommunizieren über Handy oder Computer", erklärt Christoph Ullmann die Lage. Der Sozialarbeiter, angestellt beim Blauen Kreuz, blickt von seinem Büro direkt auf den verwaisten Spielplatz und auf die Hochhäuser. Die Wände sind unterschiedlich gestrichen in rot, gelb und weiß, und so differenziert sieht Ullmann auch die Menschen, mit denen er zu tun hat. Das Image, das die Stadt seit der Enttarnung der drei rechtsextremen Verbrecher habe, mache ihn wütend. Damit tue man den Zwickauern unrecht.

Und dann legt er los, erzählt ohne Punkt und Komma von Aufmärschen, die die NPD vor Jahren organisiert habe. Obwohl der Ausländeranteil bei unter zwei Prozent liege, habe es fremdenfeindliche Tendenzen gegeben. Beate Zschäpe habe er auch einmal dort gesehen. Und ihn habe fast der Schlag getroffen als ihm bewusst wurde, dass die junge Frau sich so radikalisiert habe und kriminell wurde.

Der lange Schatten der DDR-Vergangenheit

Die Ursache sieht Christoph Ullmann in der DDR-Vergangenheit. "Die Bürger waren damals über vier Jahrzehnte entmündigt. Wir hatten keine Freiheit und somit keine Herausforderungen zum eigenständigen Denken und selbstständigen Handeln."

Die Geister der mörderischen Diktatur seien auch 20 Jahre nach dem Ende der DDR noch unterwegs: "Wir tun uns schwer mit der Freiheit und anderen Kulturen, wir tun uns schwer, Menschen mit anderem Aussehen in unserer Umgebung zu akzeptieren."

Schatten rechtsaußen auf einer Tartanlaufbahn, die ins Nichts führt. Symbolbild für: wie sieht rechter Terror aus? Copyright: DW/Karin Jäger 23.03.2012
Jugendlichen Gesicht und Stimme gebenBild: DW

"Auf Grund unserer Geschichte fällt es uns schwer, uns als Deutsche zu repräsentieren. Patriotismus ist bei uns Deutschen doch immer noch etwas Verdächtiges. Dabei gibt es doch so viele Ereignisse, so viele Persönlichkeiten in unserer Geschichte, auf die wir Sachsen, wir Deutsche stolz sein können", mahnt Ullmann. Ihm sei nach Vorträgen sogar vorgeworfen worden, den Begriff Heimat zu verwenden. Das sei verdächtig. Für Ullmann sind Nazis dagegen Entwurzelte, gefährdete junge Menschen. Gefährdet seien die Heranwachsenden, die Unter-20-Jährigen. Und besonders groß war die Zahl der Orientierungslosen Anfang bis Mitte der 1990er Jahre.

Nachdem aber das Potential an Sympathisanten in der Stadt so geschrumpft sei, hätte man Neonazis von auswärts mit Bussen hergeschafft, und das sei nur noch peinlich gewesen. Und wenn man die Neonazis angesprochen habe, seien ihnen schnell die Argumente ausgegangen. Die Mitglieder der rechtsextremen Szene sagten schon, dass sie das Wohngebiet an ihn, Ullmann, verloren hätten. Das macht den Streetworker stolz. Große Aufmerksamkeit widmet er Vorträgen in Behörden und Schulen über Aufklärung und Prävention, und dann sind da ja noch die Jugendlichen, die er draußen anspricht oder die ihn anrufen und um ein Gespräch bitten.

"Hysterie hilft nicht weiter"

"Man muss die Jugendlichen ernst nehmen, muss ihnen zuhören mit ihren Problemen und Nöten. Man muss ihr Verhalten hinterfragen. Und man muss  Demokratie einüben. Irgendwann ist es ihnen peinlich, irgendwelche Parolen zu brüllen wie 'Ausländer raus'. Und irgendwann bewegten sie sich nicht mehr wie Nazis, sondern wie Bürger. Es ist nicht sehr dienlich, wenn man die jungen Leute als Idioten abstempelt." Wenig hilfreich sei es auch, wenn es von der anderen Seite schalle "Nazis raus."

Die jungen Leute wollten halt einfach nur irgendwo dazugehören, aber wenn sie von der Gesellschaft geächtet würden, verhielten sie sich auch so, hat Christoph Ullmann erfahren, der zum Leidwesen seiner Familie, keinen Feierabend kennt.

Radfahrer auf dem Radweg an der Mulde. Dahinter: Plattenbauten und historische Türme der Innenstadt von Zwickau. Aufnahme: Karin Jäger, 23.03.2012, Rechte an DW abgetreten.
Radweg an der MuldeBild: DW

Erreichbar sein, wenn Bedarf besteht, das will Ullmann. Als draußen vor dem Bürofenster ein etwa 30 Jahre alter Mann mit Bodybuilder-Figur und sehr kurzen Haaren entlang läuft, sagt Ullmann: "Den habe ich auch gerettet." Der sei ein Sympathisant der Rechten gewesen. Er habe sich gekümmert, für den jungen Mann eine Lehrstelle bekommen, der habe jetzt einen Sinn im Leben entdeckt. Lehrstellen gebe es genug. Auch ist die Arbeitslosenquote von über 20 Prozent nach der Wende auf 9,5 Prozent zurückgegangen.

"Wir brauchen eine Zukunfts- und Hoffnungsdynamik"

Heranwachsende auf ihrem Weg zu begleiten, sei nicht allein Aufgabe der Eltern und Lehrer, sondern der Zivilgesellschaft. "Es ist der Egoismus unserer Gesellschaft, der die Kinder in radikale Milieus treibt", glaubt Ullmann. "Der Druck vieler Eltern, wirtschaftlich unabhängig zu sein, ist so groß, dass die Kinder oft sich selbst überlassen sind." Oft bliebe nicht einmal Zeit, in der Familie eine gemeinsame Mahlzeit einzunehmen. Und auch die Jugendlichen stünden unter enormen Druck zu scheitern. Das empfänden sie als Belastung.

Geradezu erschüttert sei er, wenn Heranwachsende ihm offenbarten, wie isoliert sie sich insgesamt fühlten: "Herr Ullmann, mit mir spricht niemand." Am Ende würde er dem Hilfesuchenden dann mitunter einfach mal die Hand auf die Schulter legen. "Tut das gut, ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann mich mal jemand mal in den Arm genommen hat." Nach solchen Hilferufen sei er selbst oft tagelang sehr niedergeschlagen, gesteht der Sozialarbeiter. Zeit, Zuneigung, Zukunft, Zivilcourage - das sind wichtige Vokalen von Ullmann. "Im Grunde genommen werde ich fürs Zeithaben bezahlt", sagt er.

Engagement gegen Extremismus, Rassismus, Antisemitismus

Sabine Hietzke wird für ihr Werben für Toleranz und Menschenwürde bezahlt. Die Friedens- und Konfliktforscherin arbeitet beim Zwickauer "Bündnis für Demokratie und Toleranz". Seit 1995 engagieren sich darin Parteien, Gewerkschaften und Organisationen gegen Rechts, die das Problem der Ausländerfeindlichkeit erkannten.

Sabine Hietzke, Bündnis für Demokratie und Toleranz Zwickau Copyright: DW/ Karin Jäger
Friedensforscherin Sabine HietzkeBild: DW

Ihre Aufgabe verstehen sie in der Prävention. "Wir schicken Fachkräfte in Schulen, um Schüler fit zu machen, damit sie erst gar nicht auf ausländerfeindliche Hetze ansprechen". So machen Schüler Bekanntschaft mit gleichaltrigen Asylbewerbern, die erzählen, warum sie ihre Heimat verlassen haben. "Die Schüler waren doch berührt, dass es in den Lagern so trist und grau war. Und sie haben gemerkt, dass sie Gemeinsamkeiten haben", erzählt Sabine Hietzke.

Durch Rollenspiele sollen die Bürger zu Zivilcourage animiert werden oder Jugendliche aus verschiedenen Kulturen werden zum gemeinsamen Kochen angeleitet. Höhepunkt sind die Zwickauer "Tage der Demokratie und Toleranz", die in diesem Jahr zum zehnten Mal vom 16. bis zum 27. April stattfinden. Dort wird bei Kino- und Theatervorstellungen, Ausstellungen, Diskussionen und Vorträgen für Toleranz geworben.

Dr. Pia Findeiß (SPD), Oberbürgermeisterin der Stadt Zwickau, sitzt in ihrem Arbeitszimmer. Aufnahme: Karin Jäger, 23.03.2012, Rechte an DW abgetreten.
Pia Findeiß, OberbürgermeisterinBild: DW

Die rechte Gefahr erkannt

"Dieses Jubiläum belegt, dass wir uns in Zwickau mit Belangen der pluralen Kultur beschäftigen", erklärt Dr. Pia Findeiß. Um so schlimmer sei für sie der Zusammenhang zwischen den Neonazis und ihrer Stadt: "Ich zucke jedes Mal zusammen, wenn in den Nachrichten von der Zwickauer Terrorzelle die Rede ist", sagt die Oberbürgermeisterin, "denn wir haben nicht mehr Probleme mit Rechtsradikalen wie jede andere Stadt in Deutschland auch." Trotzdem muss sich die SPD-Politikerin seit November immer wieder rechtfertigen. "Erzählen sie doch nicht, dass Zwickau eine normale Stadt sei, sonst hätten die Terroristen sich doch hier nicht wohlgefühlt." Solche verbalen Angriffe bekomme sie oft zu hören. Das trifft die engagierte Sozialdemokratin schwer. Wichtig seien Chancengleichkeit und Recht auf Arbeit. Menschen dürften nicht das Gefühl vermittelt bekommen, sie würden ungerecht behandelt innerhalb der Gesellschaft. "In der Unzufriedenheit finden radikale Gruppen ihren Nährboden", beschreibt Pia Findeiß das Grundübel.

Allerdings spüre sie eine deutliche Distanz zur rechtsextremen NPD seit der Enttarnung der Terror-Zelle. "Viele Bürger werden künftig davor zurückschrecken, die NPD zu wählen, um ihrem Frust und Protest Ausdruck zu verleihen", glaubt die SPD-Frau.

Um zu verhindern, dass Anhänger der rechten Szene künftig zur Frühlingsstraße 26 pilgern, wird das Haus noch in diesem Frühjahr abgerissen. Das Gelände wird dem Park angeschlossen, der sich hinter der Ruine anschließt, bestätigt Pia Findeiß. Der Freistaat Sachsen trägt den Hauptanteil der Kosten. Die Landesregierung hat Zwickau auch angeboten, auf Tourismusmessen im Ausland für die Stadt zu werben. "Damit bieten sich Möglichkeiten, die Zwickau vorher nicht hatte", freut sich die Oberbürgermeisterin. Und beim Hinausgehen schließt die Hausherrin spontan die historische Jakobskapelle auf, die 1473 gebaut wurde, und in der heute Empfänge und Sitzungen stattfinden. Pia Findeiß ist fest entschlossen zu zeigen, wieviel Schönes Zwickau zu bieten hat.