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Politik

Zwischen Spionage und Anfeindungen

Naomi Conrad
29. März 2017

Ein Riss geht durch die deutsch-türkische Gemeinde: Die Politik von Erdogan hat die Community gespalten. Seine Gegner fürchten sogar bespitzelt zu werden. Auch Politiker sind betroffen. Naomi Conrad aus Berlin.

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Symbolbild Deutschland - Türkei
Bild: picture-alliance/dpa/W. Steinberg

Nein, Deutsch-Türke zu sein, das sei heute sicherlich "kein Zuckerschlecken": Der adrette, junge Abgeordnete erzählt von Anfeindungen aus "der Community": Menschen, die ihm vorwerfen, nicht genug Kritik an der Türkei zu üben, zum Beispiel an den Verhaftungswellen in dem Land, aus dem seine Eltern stammen und den Repressionen für Gegner von Präsident Tayyip Erdogan. Und dann gibt es noch die anderen, die ihn dafür beschimpfen, genau das zu tun und ihn wegen seiner Kritik einen "blöden Politiker" nennen - und wohl auch viel mehr. Aber er ist zu höflich, die genaue Wortwahl der Hass-Tiraden, die sich auf seiner Facebook-Seite entladen, zu wiederholen.

Doch jetzt, sagt er, herrsche in der Community, also bei den Menschen, die selber oder deren Eltern aus der Türkei stammen, "ein Klima der Angst." Natürlich, sagt er - und bittet darum, nicht namentlich zitiert zu werden - kenne er Leute, die fürchten, auf "der Liste" zu stehen. "Die machen sich große Sorgen."

Die Liste: Er meint damit ein Dokument mit 300 Namen und rund 200 Vereinen und Schulen, die der türkische Geheimdienst im Februar an den Chef des Bundesnachrichtendienstes übergeben haben soll.Das Dokument soll außerdem Adressen, Handy- und Festnetznummern, sogar Fotos vieler Betroffenen enthalten. Sie alle hat der türkische Geheimdienst wegen angeblicher Nähe zur islamischen Gülen-Bewegung im Visier. Nun wurden auch erste Namen bekannt: Laut dem Recherchenetzwerk von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR soll auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering bespitzelt worden sein. Ihr werden von türkischer Seite "gute Beziehungen" zur Gülen-Bewegung vorgeworfen. 

Deutschland | Türken stehen für Referendum an
Türken stehen in Deutschland vor einem Wahllokal für das ReferendumBild: Getty Images/S. Gallup

"Das ist einfach Irrsinn"

In dem hierarchischen Netzwerk, dessen Strukturen undurchsichtig bleiben, und dessen Mitglieder sich selten offen als solche zu erkennen geben, engagieren sich nach eigenen Angaben vielleicht 150.000 Menschen in Deutschland. Kritiker werfen der Bewegung um den türkischen Prediger Fethullah Gülen, der heute im amerikanischen Exil lebt, eine schleichende "Islamisierung" durch Bildung vor. Denn die Bewegung - die sich selber "Hizmet" (Dienst) nennt - betreibt ein weltweites Netzwerk von Schulen und kostenlosen Nachhilfezentren, Gülen-Anhänger arbeiten in Afghanistan, Tansania oder eben Deutschland. Ihr Ziel: Bildung in die Welt tragen und Eliten fördern, egal ob sie Muslime, Christen oder Atheisten sind. Ehemalige Schüler und Sympathisanten der Bewegung arbeiten vor allem in der Türkei, wo das Netzwerk entstand. Dort besetzen sie hohe Positionen in den Medien, der Justiz und der Polizei.

Und das macht sie Erdogan, der einst mit der Bewegung zusammen arbeitete, suspekt: Er macht Gülen für den gescheiterten Putsch im Juli 2016 verantwortlich. Seitdem werden echte und vermeintliche Anhänger, die heute als "Terroristen" gelten, verfolgt und drangsaliert. Ihr Cousin, erzählt eine Frau aus Hamburg, sei aus dem Polizeidienst entlassen worden, weil seine Schwiegereltern vor Jahren ein Konto bei einer angeblich Gülen-nahen Bank eröffnet hatten. "Das ist einfach Irrsinn."

Und die deutschen Behörden, so wohl die Hoffnung der Türken, sollten bei der Verfolgung der hier lebenden Sympathisanten und Anhänger helfen. Eine Fehleinschätzung: Stattdessen hat der Bundesnachrichtendienst die Liste an die Sicherheitsbehörden in den jeweiligen Bundesländern weitergegeben. Diese haben einige der Betroffenen bereits gewarnt - aus Sorge, dass diese bei einer Einreise in die Türkei möglicherweise verhaftet werden könnten.

Fethullah Gülen
Der Prediger Fetullah Gülen predigt einen konservativen Islam. Bild: picture alliance/dpa/M.Smith

Harsche Kritik an Spionage-Vorwürfen

Denn deutsche Behörden sehen keinerlei Belege für die von der Türkei erhobenen Vorwürfe hinsichtlich des Putsches. Der Chef des BND, Bruno Kahl, nannte kürzlich die Gülen-Bewegung eine "zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung". Und der baden-württembergische Verfassungsschutz urteilte bereits 2014, dass es keinen Grund für eine Überwachung gäbe. Die Bewegung, so die Auffassung, vertrete zwar durchaus ein konservatives Islam- und Weltbild, aber dieses stehe nicht im Widerspruch mit deutschen Gesetzen. Eine Einschätzung, die Kristina Dohrn von der Freien Universität Berlin, teilt. Sie beschäftigt sich schon seit fast zehn Jahren mit der Bewegung - und sieht keinerlei Anhaltspunkte für einen groß angelegten "Masterplan".

Trotzdem hoffte Ankara offenbar auf Unterstützung von den Deutschen - und löste stattdessen einen öffentlichen Aufschrei aus: Sollten sich die Vorwürfe der Spionage gegen Gülen-Mitglieder bestätigen, erklärte Justizminister Heiko Maas, sei ganz klar gesagt: "Spionage ist strafbar, dem werden wir nicht tatenlos zusehen." Außenminister Sigmar Gabriel sprach von einem "schwerwiegenden Vorgang". Der Generalbundesanwalt hat bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

DITIB-Moschee in Köln
Auch Imame sollen für Ankara spioniert haben. Bild: picture alliance/dpa/O.Berg

Gülen-Anhänger: "Ich halte alles für möglich"

Und die Kritiker von Erdogan in Deutschland? Sie sehen ihre Ängste bestätigt: Nein, wundern würde ihn das nicht, "rein gar nicht", sagt etwa Ercan Karakoyun, der als Sprecher der Gülen-Bewegung in Deutschland fungiert. Dass der türkische Geheimdienst die Mitglieder seiner Bewegung ausspioniert, das weiß er schon seit Längerem. Er kennt Mitglieder, die in der Vergangenheit bereits von den deutschen Behörden gewarnt worden sind. "Natürlich werden wir beobachtet." So ermittelt der Generalbundesanwalt derzeit bereits wegen des Verdachts, dass Imame des Dachverbands der türkischen Moschee-Gemeinden, Ditib für Ankara spioniert haben sollen. Aber dass der Geheimdienst jetzt diese auch heimlich filmt und fotografiert haben soll? "Das wäre unerträglich." Aber, fügt Karakoyung nach einer kurzen Pause hinzu, wohl auch nicht allzu unwahrscheinlich: "Ich halte alles für möglich."

Ähnlich wie der Abgeordnete, beschreibt auch Karakoyun ein Klima der Angst in der Gemeinde: Gülen-Anhänger, aber auch Kurden und Linke, das betont er immer wieder - kurz: alle, die Erdogan zu echten oder vermeidlichen Gegnern deklariert hat - würden Moscheen meiden, die der Regierungspartei AKP nahe stehen. Viele hätten Angst, ihre Stimme beim Referendum abzugeben, bei dem Türken in Deutschland darüber entscheiden können, ob Präsident Erdogans Macht weiter ausgebaut werden soll. 

Das bestätigen auch andere Gülen-Anhänger: Wer als solcher bekannt ist, werde oft als "Terrorist" beschimpft, erzählt eine junge Frau, die in einem Wohnhaus der Bewegung in Berlin lebt und aufgrund der aktuellen Situation lieber anonym bleiben will. Weil in vielen Moscheen Gülen-Anhänger so angefeindet werden, würden viele ihrer Freunde für das Freitagsgebet oft weite Wege durch Berlin fahren, um in Moscheen zu beten, in denen sie niemand kenne. Sie seufzt: "Es ist alles ziemlich schwierig im Moment."