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Zynisches Quiz mit abgelehnten Asylbewerbern

2. September 2011

Im Rahmen einer TV-Testwoche präsentierte der Sender Nederland 3 die Quizsendung "Weg van Nederland". Fünf Asylbewerber, denen die Abschiebung droht, traten gegeneinander an und konnten Geld für den Neustart erspielen.

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Logo Nederland 3 (Grafik: Nederland 3)
Nederland 3 provoziert mit der Quizsendung "Weg van Nederland"

Die Kurdin Gulistan ist die Gewinnerin einer äußerst zynischen und umstrittenen TV-Show mit dem Titel "Weg van Nederland" (sinngemäß "Raus aus den Niederlanden"). Am Donnerstagabend (01.09.2011) trat Gulistan, die nach Armenien abgeschoben werden soll, im öffentlich-rechtlichen Sender Nederland 3 gegen vier andere Quiz-Teilnehmer an und gewann 4000 Euro.

Realität oder Bluff?

Schon im Vorfeld der Sendung gab es in den Niederlanden, aber auch in den Nachbarstaaten Diskussionen über das ungewöhnliche Showkonzept. Zeitweise wurde spekuliert, dass die Kandidaten in Wahrheit Schauspieler sind und die ganze Quizshow nur als Bluff veranstaltet wird.

Doch dem widersprach der niederländische TV-Sender VPRO, bei dem die Sendung produziert wurde. So waren und sind alle fünf Kandidaten der ersten Sendung tatsächlich abgelehnte Asylbewerber, denen die Abschiebung nach Armenien, Tschetschenien, Sri Lanka, Kamerun und Syrien droht.

Asylanträge wurden abgelehnt

Die Quiz-Kandidaten seien keine Schauspieler, sondern Menschen, die zwischen neun und 13 Jahren in den Niederlanden gelebt hätten und sie trotzdem nach dem Willen der Behörden in Kürze verlassen müssten. Sie seien einst mit ihren Eltern nach Holland gekommen, wo ihre Asylanträge inzwischen nach langwierigen Verfahren in letzter Instanz abgelehnt worden seien. "Wir zeigen, um was für Menschen es dabei geht und was es für eine Sünde es ist, sie ziehen zu lassen", erklärte Frank Wiering, Chefredakteur von VPRO. So hat Siegerin Gulistan nach Angaben von VPRO elf Jahre in den Niederlanden gelebt und dort einen Bachelor-Abschluss in Rechtswissenschaften gemacht.

Niederländische Heimatkunde

Niederländische Holzclocks (Foto: fotolia.com)
Fragen über Land und Leute mussten beantwortet werdenBild: Fotolia/M.de Jong

Wie Chefredakteur Wiering erläuterte, wurde die Show bewusst an das Format der beliebten Heimatkunde-Quiz-Sendung "Ik hou van Holland" ("Ich liebe Holland") angelegt. In "Weg van Nederland" hätten die jungen abgelehnten Asylbewerber deutlich gemacht, "wie sehr niederländisch" sie in den letzten Jahren tatsächlich geworden seien.

Viele Zuschauer lobten das Anliegen der Sendung und äußerten sich in Twitter-Botschaften sowie E-Mails kritisch zur Abschiebepraxis ihres Landes. Auch auf deutschen Internetforen gab es Reaktionen. Meist zeigten sich die User entsetzt über das Konzept und den satirischen Ansatz. "Schändlich!", "Geschmacklos!", "Ihr müsst echt krank sein" - so lauteten die Internet-Kommentare.

Politiker in Den Haag reagierten zunächst nicht auf die Sendung, die nach Angaben der Produzenten auch bei der britischen BBC sowie bei Sendern in Frankreich, Deutschland und Belgien auf Interesse stieß.

Blumenzwiebeln und Überlebenspaket

In der bewusst mit Ironie und Sarkasmus inszenierten Quiz-Show konnten sich die jeweils ausscheidenden Kandidaten Trostpreise aussuchen - von holländischen Blumenzwiebeln "zur Verschönerung des Gartens daheim" bis zum "Survival Kit" (Überlebensausrüstung). Sie wurden dann von zwei "Flug-Stewardessen", die polizeiähnliche Uniformen trugen, in ein stilisiertes Flugzeug gen Heimat gesetzt.

Ob es weitere Folgen von "Weg van Nederland" geben werde, sei unklar, sagte Produzent Hans de Kleine. Die Quiz-Sendung war als einmalige Show angelegt, die in einem speziellen Format für Fernseh-Experimente läuft - im Rahmen der einwöchigen Aktion "TV Lab" (TV-Laboratorium). "Bei 'TV Lab' geht es natürlich darum, Grenzen auszuloten", erklärte de Kleine weiter.

Die Debatten um die Sendung erinnern viele an die Aufregung um eine Organspende-Show beim kommerziellen Sender BNN vor vier Jahren. Der hatte angekündigt, dass in "De Grote Donorshow" Kandidaten, die eine neue Niere brauchen, um das Spenderorgan einer jungen unheilbar kranken Frau kämpfen würden. Am Ende wurde die "Show" als Bluff entlarvt. Man habe nur auf das Problem des Mangels an Spenderorganen aufmerksam machen wollen, erklärte BNN. Immerhin ließen sich seinerzeit viele Niederländer daraufhin als potenzielle Organspender registrieren. Wie die Reaktionen nach der Ausstrahlung von "Weg van Nederland" ausfallen, ist ungewiss.

Erinnerung an Schlingensiefs Asyl-Big-Brother-Haus

Container mit der Aufschrift 'Ausländer raus' von Christoph Schlingensief (Foto: dpa)
Den Schlingensief-Container "Ausländer raus!" gab es schon 2000Bild: picture-alliance/dpa

Völlig neu ist die Idee freilich ohnehin nicht. So mancher, der auf die VPRO-Ankündigung reagierte, verwies auf den vor einem Jahr gestorbenen deutschen Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief. Er hatte im Jahr 2000 bei den Wiener Festwochen mit seinem Filmprojekt "Ausländer raus! Schlingensiefs Container" für Aufsehen gesorgt. Um auf die weit verbreitete Fremdenfeindlichkeit im Westen hinzuweisen, wählte er das Modell der Voyeur-Show "Big Brother". In seinem Container agierten Asylbewerber als Kandidaten, die vom Publikum rausgewählt werden konnten - und zwar nicht bloß aus dem "Big Brother"-Haus, sondern gleich aus dem Land.

Autorin: Marion Linnenbrink (dpa)
Redaktion: Julia Elvers-Guyot