1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wirtschaft auf Pump

5. August 2011

Während die ersten US- und NATO-Soldaten den Hindukusch verlassen, wächst die Sorge vor den wirtschaftlichen Folgen des Truppenabzugs. Stürzt Afghanistan in eine Wirtschaftskrise?

https://p.dw.com/p/12Bmu
Arbeiter in einer Kohlemine in Herat (Foto: dpa)
Bild: picture alliance/dpa

Masar-i-Scharif, nahe der usbekischen Grenze, gilt als eine der sichersten Städte Afghanistans. Die Taliban-Hochburgen im Süden und Osten des Landes sind weit entfernt. Auf den Basaren tummeln sich Händler, an vielen Häusern wird gebaut. Bald sollen Güterzüge auf einer neuen Bahnstrecke direkt nach Usbekistan rollen. Seit Juli sorgen nicht mehr deutsche Truppen, sondern afghanische Soldaten für die Sicherheit der Stadt. Masar-i-Scharif erlebt ein kleines Wirtschaftswunder.

Am Tropf des Auslands

Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (Foto: DW)
Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts NetworkBild: DW/Arif Fahramand

Im Rest des Landes keine Spur von Aufschwung. Jeder zweite Afghane ist arbeitslos, die Bauern auf den Feldern könnten ohne massive Wirtschaftshilfen aus dem Ausland nicht überleben. "Wir haben inoffiziell, aber sehr deutlich von vielen europäischen und westlichen Regierungen gehört: Wenn die Soldaten gehen, dann werden die Gelder mit ihnen gehen", sagt Thomas Ruttig vom renommierten Kabuler Afghanistan Analysts Network. Das vom Krieg gebeutelte Afghanistan hängt am Tropf des Auslands. Die Weltbank schätzt, dass mehr als 90 Prozent der afghanischen Wirtschaftsleistung direkt oder indirekt auf internationale Hilfsgelder zurückzuführen sind.

Seit Beginn des Militäreinsatzes vor zehn Jahren haben die USA 12,6 Milliarden Euro für den zivilen Wiederaufbau ausgegeben - mehr als für jedes andere Land, den Irak eingeschlossen. Mit bislang rund zwei Milliarden Euro Entwicklungshilfe steht Deutschland auf Platz drei der größten Geldgeber. Platz zwei belegt Japan. Doch wie viel der Westen nach 2014 zahlen wird, ist noch unklar. Die Budgetplanung der deutschen Bundesregierung etwa reicht nach Angaben des Auswärtigen Amtes nur bis 2013.

Viele Afghanen vermissen indes eine klare Strategie für den Wiederaufbau. "Die Jobs und Projekte, die durch ausländische Gelder finanziert wurden, reichen noch lange nicht aus, um die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben", kritisiert Sayfuddin Sayhoon, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Kabul.

Verlorene Millionen

Bundeswehrsoldaten gehen an einem afghanischen Jungen vorbei (Foto: Axel Schmidt/dapd)
Der Abzug westlicher Soldaten hat auch finanzielle FolgenBild: dapd

Viele Gelder werden auch einfach falsch ausgegeben. Zu dem Ergebnis kam jüngst eine brisante Studie des US-Senats. Danach fließen 80 Prozent der US-Hilfen in den von Taliban geplagten Süden und Osten des Landes und werden dort nur für kurzfristig angelegte Projekte ausgegeben. Mit schnellen Geldspritzen versuchen die Amerikaner die Sicherheitslage zu stabilisieren. Eine langfristige Entwicklung könne so jedoch nicht angeschoben werden, kritisiert der Bericht.

Tausende Entwicklungs-Euros verschwinden zudem in den Taschen korrupter Machthaber. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Transparency International zählt Afghanistan nach wie vor zu den korruptesten Ländern der Welt. "Die größten Wirtschaftsbosse haben sehr enge Kontakte in die politischen Kreise Kabuls. Diese Leute wissen genau, wie sie an die internationalen Gelder rankommen", sagt der Afghanistan-Experte Ruttig.

Vor allem die USA überlassen viele Entwicklungsprojekte inzwischen lieber privaten Firmen. Das sei ein gefährlicher Trend, denn diesen Unternehmen fehle oft jegliches Know-How, so Thomas Ruttig. Was also bewirken die westlichen Hilfsgelder am Hindukusch? Viel zu oft bleibt der Erfolg einer Maßnahme im Ungewissen.

Viele Länder, darunter auch Deutschland, erlauben keine externe Bewertung ihrer Hilfsprojekte. "Wahrscheinlich haben sie ein schlechtes Gewissen, weil viele Projekte problematisch sind oder sogar scheitern", sagt Ruttig.

Von Wirtschaftsberatern und Drogenbaronen

Nach dem Sturz der Taliban vor zehn Jahren fing das große Planen an. "Das Land lag total am Boden. Komplett von unten anzufangen, war sehr schwierig", sagt Stephan Kinnemann. Der Ökonom hat den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai zwischen 2002 und 2006 in allen wirtschaftlichen Fragen beraten. Sein Plan für den Neuanfang: Elemente der klassischen sozialen Marktwirtschaft nach deutschem Vorbild mit islamischen Prinzipien verbinden, wie zum Beispiel dem "zakat", der religiösen Pflicht an Bedürftige zu spenden. Karsai sollte einen afghanischen Mittelstand aufbauen und ausländische Investoren anlocken. Doch die meisten Ideen des Beraters sind bisher nicht realisiert worden.

Afghanische Bauern arbeiten in Feldern auf denen Schlafmohn angebaut wird. (Foto: dpa)
Die afghanische Drogenindustrie blüht - nur sporadisch brennen die Amerikaner Mohnfelder abBild: picture alliance/dpa

Die afghanische Drogenindustrie dagegen floriert wie eh und je, trotz des NATO-Einsatzes. 93 Prozent aller illegalen Drogen, vor allem Opium und Haschisch, kommen aus Afghanistan. Die Amerikaner brennen sporadisch Mohnfelder ab. Mit mäßigem Erfolg. "Die internationalen Truppen wollten den Afghanen nicht die einzige Einkommensquelle wegnehmen. Das würde die Opium-Bauern in die Arme der Taliban treiben", erklärt Analyst Ruttig.

Den Amerikanern wird sogar vorgeworfen, den Opiumhandel zu tolerieren, weil Drogenbarone wie der ermordete Präsidenten-Bruder Ahmed Wali Karsai im Gegenzug Sicherheit versprechen. "Etwa 70 Prozent aller Drogen kommen aus der Provinz Hellmand und die wird von den Amerikanern kontrolliert", kritisiert der Wirtschaftswissenschaftler Sayfuddin Sayhoon. Experten schätzen, dass es 20 bis 30 Jahre dauern würde, die afghanische Drogen-Industrie zu zerschlagen.

Reichtum unter Tage

Während die Opiumfelder blühen, trocknen andere Äcker aus. Dabei sind rund 80 Prozent der Afghanen Bauern. "Die internationale Gemeinschaft hat die Landwirtschaft nicht ausreichend gefördert. Das ist einer ihrer größten Fehler", sagt Ökonom Stephan Kinnemann. Etwa 20 bis 40 Prozent der Ernte würden verrotten, weil Transportwege, Lager- und Kühlmöglichkeiten fehlten.

Chinesische Kupfermine in Aynak (Foto: AP)
Chinesische Investition: Die Kupfermine in AynakBild: AP

Andere Wirtschaftsbereiche sind auf milliardenschwere Investitionen angewiesen. Es gibt riesige Vorkommen an Kupfer, Eisenerz und Lithium, aber bisher wurde nur ein Bruchteil der Bodenschätze gefördert. Während Meldungen von Anschlägen viele westliche Unternehmen abschrecken, pumpen die Chinesen Milliarden in den Ausbau der Kupfermine Aynak, 30 Kilometer östlich von Kabul. "Das Investitionsumfeld in Afghanistan ist eigentlich sehr gut", sagt Kinnemann.

Eine seiner Ideen hat es doch zur Umsetzung geschafft: Seit 2003 gibt es die afghanische Investitionsagentur AISA. Sie registriert neue Firmen und unterstützt Investoren. Laut Weltbank erfolgt eine Unternehmensgründung in Afghanistan heute unbürokratischer und schneller als in Deutschland. "Wenn die Sicherheitslage einigermaßen stabil ist, dann wird die Wirtschaft florieren", prophezeit Kinnemann. Doch noch ist Sicherheit ist ein äußerst seltenes Gut in Afghanistan.

Autorin: Julia Hahn
Redaktion: Daniel Scheschkewitz