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Blick in die Glaskugel

23. April 2009

Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland sagen ein Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts von sechs Prozent voraus. Inzwischen ist längst eine Debatte über Sinn und Unsinn von Prognosen ausgebrochen.

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Wahrsagerin mit Kristallkugel (Foto: dpa)

Wer Prognosen wagt, begibt sich auf dünnes Eis. Denn wenn der Prognosezeitraum vorbei ist, lassen sich Prognose und Wirklichkeit vergleichen - und da werden die Forschungsinstitute regelmäßig auf dem falschen Fuß erwischt. Zum Beispiel das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen. Das sagte im März 2008 ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent voraus. Als die nächsten drei Monate besser liefen als erwartet, korrigierte es die Wachstumsprognose auf 2,2 Prozent nach oben. Heraus kam am Ende des Jahres gerade mal die Hälfte: 1,1 Prozent.

Das gilt auch für die Gemeinschaftsgutachten der Institute, die im Frühjahr und im Herbst der Regierung ihre Vorhersagen präsentieren. In den vergangenen acht Jahren lagen sie einmal richtig - und nicht mehr. Wie ernst sind dann Prognosen von Ökonomen zu nehmen, die sich zurzeit mit Negativzahlen gegenseitig überbieten? Laut Presseberichten will die Bundesregierung ihre Prognose für das laufende Jahr von minus 2,25 auf minus 4,5 Prozent nach unten korrigieren. Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, spricht von minus fünf Prozent. Und den Vogel schießt die Commerzbank ab. Sie orakelt: Die deutsche Wirtschaft wird um sechs bis sieben Prozent schrumpfen.

Zahlen sprechen für sich

Jörg Krämer (Foto: Commerzbank AG)
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank: "Ich habe mir die Zahlen angeschaut."Bild: Commerzbank AG

"Ich habe mir die Zahlen angeschaut, die wir bereits für das Jahr 2009 kennen", erläutert Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, seine Prognose. "Wir wissen, dass die Auftragseingänge der Deutschen Industrie im Januar und im Februar eingebrochen sind. Und weniger Auftrageingänge heute bedeuten weniger Produktion morgen."

Minus vier, fünf, sechs, sieben Prozent? Ja was denn nun? Klaus Zimmermann, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, hat angesichts dieser Unsicherheiten schon im Dezember einen Prognosestopp vorgeschlagen. Unter den Volkswirten hat er aber damit nur Kopfschütteln hervorgerufen.

"Gerade in unsicheren Zeiten brauchen Unternehmen und auch die Politik Prognosen. Und ein Ökonom, der glaubt, Prognosen nur in sicheren Zeiten machen zu können, der hat eigentlich seinen Job verfehlt", sagt Bert Rürup, ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Auch Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, lässt an diesem Vorschlag kein gutes Haar: "Sie würden ja auch keinem Arzt empfehlen, nicht mehr Fieber zu messen, nur weil der Patient eine Lungenentzündung hat."

Was erwartet wird, geschieht auch

DIW-Präsident Klaus F. Zimmermann (Foto: dpa)
DIW-Präsident Klaus F. Zimmermann: "Mehr Zurückhaltung."Bild: picture-alliance/ ZB

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) führt indes ein gewichtiges Argument ins Feld: Negative Prognosen können nämlich mit dem Phänomen der "sich selbst erfüllenden Prophezeiung" verbunden sein. Weil alle Branchen aufgrund der Prognosen ihre Planungen zurückschrauben, erhalten die Forscher dadurch noch negativere Indikatoren, die dann in die nächste Prognose einfließen, die natürlich noch negativer wird. Und so weiter.

"Es ist eher umgekehrt", sagt dagegen Commerzbank-Volkswirt Jörg Krämer. "Das können Sie daran erkennen, dass die Zahlen immer schlechter ausgefallen sind als die Volkswirte befürchtet haben. Darauf mussten sie reagieren und ihre Prognosen nach unten korrigieren. Die Prognostiker sind also eher Getriebene der Zahlen als Treiber der Zahlen, sprich der Konjunktur."

Man sieht: Prognosen sind ein unsicheres Geschäft. Je weiter der Zeitraum in der Zukunft liegt, desto unwahrscheinlicher werden sie. Machtlos sind die Prognostiker auch gegen unvorhergesehene externe Schocks. Wer einen Tag vor der Pleite von Lehman Brothers eine Prognose veröffentlicht hat, der hat von vornherein schlechte Karten für eine einigermaßen zutreffende Prognose gehabt. Und schließlich müssen sich die Prognostiker die Frage gefallen lassen, ob sie in den vergangenen Jahren nicht zu sehr auf den Ölpreis, die Rohstoffpreise, den Arbeitsmarkt oder auf die Konjunktur in den Nachbarländern geschielt haben.

Unzureichende Modelle

Bert Rürup (Foto: Rürup)
Bert Rürup: "Job verfehlt."Bild: Bert Rürup

Für die Rolle der Finanzmärkte und ihren Einfluss auf die Realwirtschaft gibt es dagegen herzlich wenig ökonomische Rechenmodelle. "Das ist auch schwieriger zu messen", räumt Jörg Krämer ein. "Es gibt Studien, die zeigen, dass die Unsicherheit an den Finanzmärkten sehr wohl die Konjunktur dämpft. Aber das ist empirisch schwer nachzuweisen."

Bert Rürup, ehemaliger Vorsitzender des Sachverständigenrates, macht die Politiker und die Medien für einen Teil des Desasters verantwortlich. Denn die fordern eine Zahl hinter dem Komma - was für "bedingte Wahrscheinlichkeitsaussagen", und nichts anderes sind Prognosen, schlicht unmöglich ist. "Eigentlich sollte man, das weiß jeder Ökonom, keine Punktprognosen machen. Ob 4,3 oder 4,6 Prozent - es ist immer ein gewisser Unsicherheitsbereich darum zu legen. Aber die Politik und auch die Presse wollen diese Punktprognosen. Dabei weiß jeder gute Ökonom, dass mit unserem Instrumentarium das definitiv nicht möglich ist."

Ins gleiche Horn stößt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank: "Wir haben Ende vergangenen Jahres aufgehört, eine Punktprognose zu machen. Wir wollen nicht eine Sicherheit in der Konjunkturprognose suggerieren, die es nun einmal nicht gibt. Wirtschaft ist auch sehr stark Psychologie. Daher kommt eine Unsicherheit, der man auch in der Formulierung einer Prognose Rechnung tragen muss."

Autor: Rolf Wenkel

Redaktion: Klaus Ulrich