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Boykott? Nein danke!

5. April 2003

Das Schreckensszenario deutscher Wirtschaftsverbände ist bislang nicht eingetreten: Boykottaufrufe gegen deutsche Produkte in den USA haben keine spürbaren Auswirkungen.

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Reiseziel USA: Deutsche Autos in Bremerhaven.Bild: AP

Eine anti-deutsche Stimmung spiele bei den Autokäufern in den USA offenbar keine Rolle, meinte WestLB-Analyst Arndt Ellinghorst nach der Veröffentlichung der aktuellen US-Autoabsatzahlen für März. Außer bei Volkswagen läuft das Geschäft gut. Zuwächse zwischen 1,8 Prozent bei Mercedes-Benz und 18 Prozent bei BMW lassen die deutschen Autobauer auf ein gutes Jahr in den USA hoffen.

Die Verbraucher ließen sich bei langlebigen Gütern eben weniger von Emotionen leiten, meint Analyst Ellinghorst. Das sei auch im Fall des deutsch-amerikanischen Regierungsstreits in der Irak-Frage so.

Rotwein aus Frankreich

Auch bei Konsumgütern und Lebensmitteln scheinen die Boykott-Aufrufe in den USA nur wenig Resonanz zu finden. Der befürchtete Einbruch bei französischem Rotwein ist bislang ausgeblieben. Der Absatz in den USA geht seit einiger Zeit zwar zurück, weil die US-Bürger zunehmend einheimische oder australische Sorten bevorzugen, wie das kalifornische Wein-Institut in San Francisco mitteilte. Doch trotz des heftigen Streits zwischen Washington und Paris um den Irak-Krieg und der damit verbundenen Boykottaufrufe waren die Absatz-Einbußen zu Beginn dieses Jahres niedriger als im Vorjahr.

Und das, obwohl auf Internetseiten wie "www.germanystinks.com" und "www.francestinks.com" mächtig Stimmung gemacht wird gegen die Führungsmächte des Alten Europa. Patriotische Internetsurfer werden sogar – wenn auch augenzwinkernd – dazu aufgerufen, einen amerikanischen Ausdruck für das allzu germanisch klingende Wort "Hamburger" zu kreieren.

Europas Antwort

Im Gegenzug rufen in Europa unzählige Initiativen zum Boykott amerikanischer Waren auf, um gegen den Kriegskurs von George W. Bush zu protestieren. "Schickt Briefe an amerikanische Firmen, entscheidet beim Kauf für europäische Waren", heißt es etwa auf www.amerika-boykott.com. Ein Link führt zu einer Liste mit 100 US-Firmen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) lehnt einen Boykott amerikanischer und britischer Waren in Deutschland entschieden ab. Der EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock hatte immer wieder betont, die Kritik am Kriegskurs habe mit Anti-Amerikanismus nichts zu tun. Der katholische Erzbischof in Berlin, Kardinal Georg Sterzinsky, hatte dagegen im Sender Freies Berlin Verständnis für Boykottaktionen gezeigt.

Und es gibt ihn wirlkich, den Boykott amerikanischer und britischer Produkte in Deutschland. Restaurants, die sich weigern, Coca Cola oder Whiskey auszuschenken und Köche, die bei ihren Speisen nicht einmal mehr zum Hilfsmittel Heinz Ketchup greifen wollen. Dagegen ist in vielen Szenelokalen das deutsche Afri Cola stark im Kommen.

Vereinzelt habe man bereits Reaktionen auf den Boykottaufruf bemerkt, gibt Klaus Hillebrand, Sprecher der deutschen Coca-Cola-Zentrale in Essen zu. "Wir sind ein Symbol für Amerika und müssen mit derartigen Meinungsäußerungen leben." Den Preis für einen möglichen Umsatzrückgang hätten allerdings in erster Linie die 11.000 Mitarbeiter in Deutschland zu zahlen, gibt Hillebrand zu bedenken. Schließlich wird die Koffein-Brause für den deutschen Markt an 24 inländischen Abfüllstationen produziert.

US-Handelskammer glättet Wogen

Ähnlich argumentiert auch der Präsident der amerikanischen Handelskammer in Deutschland, Fred Irwin. Sehr viele Produkte amerikanischen Ursprungs würden in Deutschland in Lizenz vertrieben. Einen Schaden erleide deshalb vor allem die deutsche Wirtschaft. Die Aufrufe in den USA, weder deutsche Autos noch französische Lebensmittel zu kaufen, hält er für "Randerscheinungen".

Eine Ausnahme ist dagegen die Entscheidung des Darmstädter Fahrradherstellers Riese und Müller, ab sofort keine Zulieferteile mehr aus den USA zu beziehen. Für etwa 300.000 Euro jährlich hat die Firma dort bisher Teile bestellt. Sollten sich die drei US-Zulieferer aber öffentlich gegen den Irak-Krieg aussprechen, will die deutsche Fahrrad-Schmiede wieder bei ihnen ordern.

Lukratives Wiederaufbau-Geschäft

Viel größer ist die Sorge deutscher und französischer Unternehmen, bei der Vergabe der Aufträge beim Wiederaufbau des Irak ausgeschlossen zu werden. Nach den Worten des US-Botschafters in Paris, Howard H. Leach, sollen diese Aufträge aber "nach den Gesetzen des freien Wettbewerbs" und "entsprechend den Interessen der Iraker" erfolgen. Es gebe "keinen Grund, dass das eine oder andere Land ausgeschlossen wird", fügte der US-Diplomat hinzu. Die Erfahrungen beim Wiederaufbau Kuwaits nach 1991 sprechen allerdings eine andere Sprache: Dort erhielten US-Unternehmen den Löwenanteil der Aufträge – obwohl damals die Deutschen die Befreiung Kuwaits maßgeblich mitfinanziert hatten. (tko)