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Casablanca auf zwei Rädern

Claus Hecking27. Juli 2003

Mit der Schlussetappe der Tour de France ist es wie mit dem legendären Hollywood-Melodram: Man hat dieses Schauspiel mindestens zehnmal gesehen und weiß genau, wie es ausgeht. Trotzdem ist seine Faszination ungebrochen.

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Alle Jahre wieder: die Tour-Karawane auf der Champs-ElyséesBild: AP

"Wir werden immer Paris haben", sagt Humphrey Bogart zu Ingrid Bergman am Ende von 'Casablanca'. Den weltbesten Radprofis geht es ebenso. Seit 1903 radeln sie nun schon bei der Tour de France um die Wette. Doch egal, ob sie Alpen- oder Pyrenäen-Pässe hochkraxeln, mit ihren Zeitfahren defizitäre Freizeitparks wie Futuruscope und Eurodisney bewerben oder bei den Flachetappen dafür sorgen, dass jedes noch so kleine französische Provinznest auch einmal im Fernsehen ist - am Ende kommt immer dasselbe: Paris.

As time goes by

Warum sich Jahr für Jahr rund eine Million Zuschauer freiwillig auf die überfüllten Champs-Elysées quetschen, um sich die Tour-Schlussetappe anzutun, ist ihnen wohl selbst ein Rätsel. Was hat sie in Gottes Namen nach Paris gebracht? As time goes by - dieser Sonntag folgt noch immer dem gleichen Drehbuch. Der übliche Verdächtige fürs Gelbe Trikot ist ausgemacht. Auch in diesem Jahr heißt es wohl wieder "Gewinn's noch einmal, Lance". Denn der hat sich schon am vergangenen Montag (21.7.) auf einer Bergetappe umgedreht und Jan Ullrich in die Augen geschaut, um anschließend mit ein paar kräftigen Pedaltritten Abschied von seinem Konkurrenten zu nehmen.

Tour de France Sieger Lance Armstrong in Paris 2002
Serien-Sieger Lance ArmstrongBild: AP

Die Schlussetappe der Tour de France ist wirklich das Letzte; mit Sport hat das Ganze nur wenig zu tun. Zuerst müssen die Zuschauer eine 250 Autos starke Werbekolonne erdulden, die ihnen zweifelhafte "Geschenke" wie grüne Plastikhände zum Aufblasen oder bunte Fähnchen mit Sponsorenlogos aufnötigt. Erst Stunden später folgen die menschlichen Versuchskaninchen der Pharmaindustrie (wir hatten doch ausgemacht: keine Fragen?), außerhalb von Paris oft in gemütlichem Tempo. Denn auf der letzten Etappe entpuppt sich das ansonsten härteste Rennen der Welt zumeist als stinknormale Rad-Tour.

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft

"Course d´Honneur", Ehrenrennen, nennen die Radprofis ihren Nichtangriffspakt - und der wird für gewöhnlich erst beim Passieren des Ortsschildes von Paris aufgelöst, in gegenseitigem Einvernehmen. Dann aber geht es richtig zur Sache. Schließlich ist der Sieg beim traditionellen Zielspurt so begehrt, dass einige Sprinter unliebsame Konkurrenten immer mal gerne in die Absperrgitter auf den Champs-Elysées drängen. Nicht selten sind Stürze bei Tempo 70 die Folge.

Wenn dieses "Rennen" endlich vorbei ist, streifen wichtige Herren in dunklen Anzügen sichtbar angeekelt den verschwitzten Sportlern gelbe, lindgrüne oder an Masern erinnernde rot gepunktete Leibchen über. Zum Abschluss des Ganzen erklingt dann auch noch melodramatisch die Marseillaise, genauso wie in "Casablanca". Also: Kommen Sie nie nach Paris, um sich die Schlussetappe der Tour de France anzuschauen. Denn dies wäre der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.