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Die Dschungeldiva

18. März 2009

"Jeanne d’Arc" wird die ehemalige FARC-Geisel Ingrid Betancourt von ihren Fans genannt, zumindest in Europa. Nun häufen sich Geschichten, die ihr Ansehen trüben. Leidensgenossen bezeichnen sie als berechnende Egoistin

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Ingrid Betancourt nach Ihrer Befreiung mit um den Kopf geflochtenen Haaren und in Camouflage-Anzug. (Foto: AP)
Für viele ist Ingrid Betancourt nicht mehr die strahlende HeldinBild: AP

Die Bilder bleiben im Gedächtnis: Eine überglückliche Ingrid Betancourt umarmt am Militärflughafen von Bogotá ihre Kinder Mélanie und Lorenzo. Sechs Jahre lang hielten Rebellen der "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" (FARC) die ehemalige Präsidentschaftskandidatin im kolumbianischen Dschungel gefangen.

Ihrem Mann Juan Carlos Lecompte fiel Ingrid Betancourt damals nicht um den Hals. Stattdessen tätschelte sie ihm mit einem kleinen Lächeln die Wange. Die Distanz zwischen den Beiden war unübersehbar. Erstaunlich ist das nicht: Wer sechs Jahre lang unter primitivsten Bedingungen gefangen im Dschungel verbringen muss, der verändert sich.

Das Warten auf Betancourt war umsonst

Betancourt umarmt ihre Kinder Mélanie und Lorenzo (Foto: AP)
Ihre Kinder Mélanie und Lorenzo begrüßte Betancourt überschwänglich...Bild: AP

Von Lecompte will sich Betancourt jetzt scheiden lassen. Ihre Rechtsanwälte argumentieren, die Trennung von Tisch und Bett bestehe seit vielen Jahren. Lecomptes Anwälte weisen den Antrag zurück, da die Trennung nicht freiwillig gewesen sei. Gleichzeitig kontert Lecompte jedoch selbst mit einem Scheidungsantrag. Seine Begründung: Ingrid Betancourt sei ihm während der Geiselzeit untreu gewesen. Er wolle nun seine Würde wieder herstellen, sagte Lecompte. Das lange Warten auf seine Frau sei umsonst gewesen.

Juan Carlos Lecompte hatte in den sechs Jahren alles versucht, um seine Frau frei zu bekommen, mit zum Teil spektakuläre Aktionen. So warf der Werbefachmann aus einem Flugzeug tausende Bilder von Betancourts Kindern über dem Dschungel ab, in der Hoffnung, sie möge wenigstens eins davon finden. 2003 kippte Lecompte zwei große Eimer mit Pferdeäpfeln auf die Stufen des Parlaments in Bogotá. Präsident Álvaro Uribes Regierung wollte Betancourts Partei auflösen und tat Lecomptes Meinung zufolge nicht genug, um die Geiseln zu befreien. Wegen der Aktion wurde er vorübergehend festgenommen.

Betancourt mit Mutter Yolanda. Sie berührt Lecompte am Hals (Foto: AP)
...ihrem Mann Juan Carlos Lecompte begegnete sie deutlich kühlerBild: AP

Auch Berühmtheiten wie Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy setzten sich für Betancourts Freilassung ein. Sie ist die wohl berühmteste Entführte der Neuzeit, Fans gaben ihr den Beinamen "Jeanne d’Arc Kolumbiens" und bewunderten sie für ihren Mut und ihr Engagement gegen Korruption und Bürgerkrieg. Vor allem in Frankreich wird Ingrid Betancourt als Heldin bejubelt.

Die "Burguesita"

In Kolumbien selbst sieht das anders aus. Vor ihrer Festnahme war die Grünen-Politikerin in ihrem Land eher mäßig bekannt. Sie stand eher am Rand des politischen Geschehens, fiel aber durch ungewöhnliche Aktionen im Wahlkampf auf. So verteilte sie beispielsweise Kondome und ging korrupte Politiker heftig und offen an.

Mittlerweile hat Ingrid Betancourt jedoch einen schlechten Stand in der kolumbianischen Bevölkerung. Ihre Gegner sehen sie als "Burguesita", als Töchterchen aus gutem Hause. Tatsächlich ist die Halb-Französin keine aus dem Volk, sondern entstammt einer einflussreichen Familie. Sie hat eine Elite-Ausbildung genossen und war mit einem französischen Diplomaten verheiratet. Ihre Familie besitzt gute Beziehungen und hat während der Gefangenschaft Ingrids viel Lobbyarbeit geleistet, um sie wieder frei zu bekommen. Viele Kolumbianer kritisieren, dass die Familie das Schicksal ihrer Tochter zur absoluten Priorität erhoben und darüber das Wohl des Landes und der anderen Geiseln gefährdet habe. So war die Familie gegen ein striktes Vorgehen der Regierung gegen die Guerilla aus Angst, Ingrid Betancourt könnte Schaden nehmen.

Lecompte vor dem Parlament, umringt von Journalisten. Er trägt einen Pullover mit der Aufschrift 'Ingrid Libre' (Foto: dpa)
Lecompte kippte zwei Eimer Pferdeäpfel auf die Stufen des Kolumbianischen ParlamentsBild: picture-alliance

Betancourts Gegner glauben außerdem, die Politikerin habe ihre Entführung durch die FARC regelrecht provoziert. Tatsächlich hatte die Präsidentschaftskandidatin während des Wahlkampf bewusst auf Personenschutz verzichtet. Hierin sehen ihre Kritiker eine gewisse Arroganz. Sie mutmaßen, Ingrid habe nicht geglaubt, dass die Guerillas ihr als einer linken Politikerin ernsthaft schaden wollten. Sie habe erwartet, dass sie im Falle einer Entführung nach kurzer Zeit wieder freigelassen würde. Dies hätte dann wiederum ihren Wahlkampf befeuert. Beweise für die Annahmen gibt es nicht.

Amerikaner werfen Betancourt Egoismus vor

Nach Betancourts spektakulärer Befreiung durch einen Coup des kolumbianischen Militärs legen sich nun aber auch in den USA und in Europa mehr und mehr Schatten auf das strahlende Bild von Ingrid Betancourt.

In ihrem vor kurzem veröffentlichen Buch "Out of Captivity" (Aus der Gefangenschaft) greifen drei ihrer früheren Leidensgenossen Betancourt scharf an. Die Amerikaner Marc Conalves, Keith Stansell und Tom Howes werfen ihr vor, sich während der gemeinsamen Gefangenschaft egoistisch und arrogant verhalten zu haben. Sie beschreiben Betancourt als Frau, die sich ständig in den Vordergrund spiele und anderen ihre Regeln aufdrängen wolle.

Tom Howes, Marc Gonsalves, Keith Stansell (Foto: AP)
Ehemalige FARC-Geiseln werfen Betancourt Egoismus vorBild: AP

Sie habe Kleider und Schreibmaterial anderer Geiseln gehamstert. Informationen, die sie aus einem heimlich stibitzten Transistorradio bekommen habe, habe sie den anderen nicht verraten. Keith Stansell beschuldigte Betancourt am schwersten. Die FARC hatte die drei Amerikaner 2003 gefangen genommen, nachdem deren Flugzeug abgestürzt war. Laut Stansell habe Ingrid Betancourt die drei bei den Bewachern als "CIA-Agenten" angeschwärzt, was sie in große Gefahr gebracht habe.

Stoff für Gerüchte bleibt nicht aus

In dem Buch erwähnen die drei Amerikaner außerdem eine Liebesaffäre zwischen Betancourt und dem Ex-Senator Luis Eladio Peres, der vor gut einem Jahr aus der Gefangenschaft frei kam.

Auch Betancourts frühere Assistentin und Mitgefangene Clara Rojas hat sich von ihr abgewandt. Sie hatte während der Gefangenschaft zusammen mit einem Rebellen ein Kind gezeugt. Ihre Memoiren sollen nun verfilmt werden. Betancourt selbst hat sich noch nicht zu den Gerüchten und Angriffen auf ihre Person geäußert. Sie schreibt derzeit an einem Buch über ihre Geiselzeit.

Autorin: Sola Hülsewig

Redaktion: Steffen Leidel