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Die Rache des Erfolgs

Monika Dittrich18. Februar 2003

Rote Zahlen und Rekordverluste – das sind die neusten Schlagzeilen aus dem Hause Reuters. Weltweit will der Konzern 3000 Stellen streichen. Doch für die Nachrichtenbranche ist das nicht unbedingt ein Grund zur Sorge.

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Reuters leidet unter der BörsenflauteBild: AP

Für eine Nachrichtenagentur gibt es wohl kaum etwas Unangenehmeres, als schlechte Neuigkeiten in eigener Sache berichten zu müssen. Doch nach guter journalistischer Manier hat Reuters den Rekordverlust und die desolate Lage des eigenen Unternehmens ohne Umschweife gemeldet. In gewohnt sachlicher Sprache ging die Nachricht vom geplanten Stellenabbau über den Ticker.

Zum ersten Mal seit dem Börsengang 1984 schreibt Reuters rote Zahlen. Im vergangenen Jahr machte der Konzern einen Vorsteuerverlust von fast 493 Millionen Pfund (735 Millionen Euro). Der Umsatz ging um acht Prozent auf 3,58 Milliarden Pfund (5,3 Milliarden Euro) zurück. In den vergangenen zwei Jahren hat Reuters bereits 2750 Mitarbeiter entlassen - bis 2005 sollen weitere 3000 Stellen gestrichen werden.

Die berühmteste Nachrichtenagentur der Welt

Die britische Presse spricht von der schwersten Krise des Unternehmens, das 1851 von Paul Julius Reuter in London gegründet wurde. 1865 meldete Reuters die Ermordung von US-Präsident Abraham Lincoln zwei Tage früher nach Europa als die Konkurrenz. Solche "scoops" (Knüller) begründeten den Ruf der berühmtesten Nachrichtenagentur der Welt.

Umso erschütternder wirkt die jüngste Entwicklung des Unternehmens. Ist das vielleicht die Fortsetzung der großen Medienkrise, die im vergangenen Jahr auf dem Zeitungsmarkt begann und nun auf die Agenturen übergreift? Peter Zschunke, Medienexperte und Autor des Buches "Agenturjournalismus", hält diese These für falsch: "Reuters ist ein Sonderfall."

Die Erfolgsstory entpuppt sich als Sünde

Die Krise bei Reuters habe mit dem Medienmarkt nichts zu tun, sagte Peter Zschunke im Gespräch mit DW-WORLD. Denn das Geschäft mit den Nachrichtenschlagzeilen macht bei Reuters heute nur noch einen kleinen Teil aus. Über 90 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet der Konzern mit Finanzdienstleistungen, etwa mit Software zur Abwicklung des Wertpapier- und Devisenhandels. 1999 hatten über eine halbe Million Manager, Händler und Broker in 157 Ländern direkten Zugriff auf Reuters-Dienste.

Doch was auf dem Höhepunkt des Börsenbooms eine großartige Erfolgsstory zu sein schien, entpuppt sich heute als strategische Sünde. Als der Neue Markt zusammenbrach, verloren Zehntausende von Bankern und Brokern ihre Arbeit. Die Dienste von Reuters benötigten sie plötzlich nicht mehr. Die elektronische Handelsplattform "Instinet" verzeichnete allein im vergangenen Jahr einen Handelsrückgang von 30 Prozent.

Agenturen profitieren von der Krise des Zeitungsmarktes

Andere Nachrichtenagenturen, die sich auf ihr journalistisches Kerngeschäft konzentriert haben, stehen trotz angespannter Wirtschaftslage heute besser da. "Reuters hat als Aktiengesellschaft eben auch das Problem, jedes Jahr Profit machen zu müssen", sagt Peter Zschunke. "Diese Sorge haben andere Agenturen nicht, denn sie sind üblicherweise nicht börsennotiert und müssen keine Gewinne ausschütten." Zschunke kennt noch einen Grund für die stabile Situation der Nachrichtendienste: "Es klingt vielleicht zynisch, aber die Agenturen profitieren zurzeit natürlich auch von der Krise des Zeitungsmarktes." Denn weil die Redaktionen Mitarbeiter entlassen haben und weniger freie Autoren einkaufen können, müssen sie häufiger Agenturtexte ins Blatt heben.

Reuters will jetzt mit einem radikalen Restrukturierungsprogramm unter dem Titel "Fast Forward" wieder in die schwarzen Zahlen kommen. Dabei soll das Hauptaugenmerk dem gelten, was Reuters groß gemacht hat: "Indem wir uns auf die Kernkompetenzen als Informations-Dienstleister konzentrieren, können wir unsere Marktanteile halten und sogar ausbauen", sagte Reuters-Chef Tom Glocer. Ob er damit die Renaissance des journalistischen Geschäfts bei Reuters einleiten wird?