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Die Schweiz zieht EU-Bürger an - noch

Kirstin Hausen5. Februar 2009

Viele Deutsche sind in den vergangenen Jahren in die Schweiz eingewandert - dank des Personenfreizügigkeitsabkommens. Jetzt stimmen die Schweizer darüber ab, ob dieses auch für Bürger der neuen EU-Länder gelten soll.

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Blick auf Zürich und die Limmat, sowie den Zürichsee, aufgenommen am 19.05.2007, Quelle: dpa
Zürich: Finden nicht nur die Schweizer gut, sondern auch viele andere EuropäerBild: picture-alliance/ dpa

Das Pikante: Der Schweizer Bundesrat hat diese Frage über eine Ausweitung des Personenfreizügigkeitsabkommens an die Frage gekoppelt, ob das bestehende Abkommen überhaupt weitergeführt werden soll. Sagen die Schweizer am Sonntag "nein", dann lehnen sie auch eine vereinfachte Einwanderung von Italienern, Franzosen und Deutschen ab.

Die Deutschen müssen sich anpassen

Besonders in den vergangenen zwei Jahren seien viele Deutsche gekommen, erzählt eine Kellnerin in Zürich-Stadelhofen, einem Wohngebiet mittlerer Preiskategorie. Auch sie selbst sei aus Deutschland eingewandert und fühle sich nun wohl in Zürich.

Anfangs musste sie sich an die neue Umgebung anpassen: Sie hat gelernt, dass man in der Schweiz großen Wert auf geschliffene Umgangsformen legt, dass ein "Guten Tag“ besser ankommt als ein lockeres "Hallo" und dass man sich gar nicht oft genug bedanken kann. "Das sind so unterschiedliche Formen zu kommunizieren und da eckt man dann an und da sind - glaube ich - schon einige Schweizer, die das nervt“, sagt sie. Da müssten die Deutschen sich einfach zusammennehmen.

Die Uni-Bibliothek in Zürich, Archivfoto 2004, Quelle: Arch.: Santiago Calatrava
Die Bibliothek an der Uni Zürich: "Zu viele deutsche Dozenten" lehren hierBild: picture-alliance / akg

Die Grenze des Erträglichen

Dieser Meinung ist auch Stefan Fischer. Der junge Schweizer ist Ex-Präsident des Studierendenparlaments an der ETH Zürich. Ex, weil er die steigende Zahl deutscher Professoren und Dozenten öffentlich kritisiert hatte. Anlass dafür war die Besetzung von acht ausgeschriebenen Stellen durch acht Lehrkräfte aus Deutschland. Fischer hatte das einer Zeitung gegenüber mit den Worten kommentiert: "Wir freuen uns über internationales Renommee, aber so langsam erreichen wir die Grenze des Erträglichen.“

Aber wo liegt die Grenze des Erträglichen? Für Stefan Fischer ist sie erreicht, wenn keine Integration stattfindet. "Wenn die hier vorherrschende Kultur, die Mentalität, die kleinen Unterschiede nicht mehr übertragen werden können. Wenn Deutsche beispielsweise keinen Dialekt mehr verstehen, ist die Grenze erreicht“, sagt er. Eine Germanisierung der Universität Zürich lehne er ganz klar ab.

"Deutschforsch" als gängiges Adjektiv

Aber auch in den Banken und Konzernen stammen immer mehr Mitarbeiter aus Deutschland - und besetzen Führungspositionen. Von einem "Einmarsch der Hochqualifizierten" schrieb die Neue Zürcher Zeitung im September 2008 und lieferte eindrückliche Zahlen: Drei von fünf Einwanderern haben einen Hochschulabschluss. 24.000 EU-Bürger mit einem akademischen Beruf und 10.000 Techniker und Ingenieure siedelten in den vergangenen fünf Jahren in die Schweiz über. Die meisten von ihnen sind Deutsche.

Die Schweizer Medien pflegen ein bestimmtes Bild der Deutschen, das mit dem Wort "deutschforsch" beschrieben werden kann. Als der deutsche Chef des größten Telekommunikationsunternehmens der Schweiz Werbebriefe mit einem Portraitfoto von sich verschickte, da fanden das viele Kunden unpassend, weil es zu sehr auf seine Person bezogen sei. "Die Deutschen sind überall und machen immer auf sich aufmerksam", stöhnte ein bekannter Gesellschaftsjournalist in seiner wöchentlichen Kolumne im deutschen "Handelsblatt".

Ein Mix aus Sprachen und Kulturen

Auch im täglichen Leben macht sich bemerkbar, dass viele Deutsche in die Schweiz einwandern. "Wenn man ein Haus kaufen möchte, dann sind ganz viele Deutsche da, die das auch wollen. Und da gibt es auch schon wieder dieses Klischee: Die Häuserpreise gehen nach oben, weil viele Deutsche sagen, sie möchten ein zweites Standbein in Zürich haben", sagt Marcel Bernet, Inhaber einer PR-Agentur. Dieses Thema werde von den Medien dann überproportional hochgeschaukelt.

"Jetzt gerade betrachten wir die Einwanderer aus Deutschland, vor 50 Jahren waren es die Einwanderer aus Italien: Dieses unaufhaltsame Mischen der Sprachen und Kulturen, das wird fortschreiten", sagt Bernet.

Aber bitte nicht so schnell, scheinen Schweizer wie der ehemalige Studierendenvertreter Stefan Fischer zu hoffen. Sie fühlten sich nicht bedroht: "Uns gefällt es eigentlich recht gut so, wie es ist. Es gibt diesen wunderbaren Satz von Dürrenmatt, der geschrieben hat: In der Schweiz geht alles 20 Jahre länger, selbst wenn die Welt untergeht, in der Schweiz bleibt sie noch 20 Jahre bestehen."

Die Entscheidung über das Personenfreizügigkeitsabkommen wird am Sonntag (08.02.09) in der Schweiz fallen.