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"Eine neue Form des Rechtsterrorismus"

14. November 2011

Mindestens zehn Morde, Banküberfälle und eine Bombenexplosion: Alles Taten, die einer Neonazi-Gruppe zur Last gelegt werden. Die Bundesregierung sieht eine neue Qualität und spricht erstmals von Rechtsterrorismus.

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Ein Polizist sichert in Köln die Spuren einer Explosion (Archivfoto: dpa)
Tatort Köln: Hier explodierte 2004 eine BombeBild: picture alliance/dpa

Die Vorgänge erschüttern die Republik: Die Bundesanwaltschaft und damit die oberste Strafverfolgungsbehörde Deutschlands ermittelt wegen des "dringenden Verdachts der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung". Und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich warnte vor "einer neuen Form des rechtsextremistischen Terrors". Rechter Terror in Deutschland? Davon hatte in den vergangenen Jahren niemand gesprochen. Was war geschehen?

Am Sonntagabend erließ die Behörde Haftbefehl gegen die 36 Jahre alte Beate Z. Ihr wird vorgeworfen, bereits im Jahr 1998 zusammen mit zwei Komplizen die rechtsextreme Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" gegründet zu haben. Das Trio wird beschuldigt, an zahlreichen Morden in mehreren deutschen Städten beteiligt gewesen zu sein. An diesem Montag (14.11.2011) soll zudem Haftbefehl gegen eine weitere Person beantragt werden.

Ein Geständnis auf DVD

Die Beteiligung der Gruppe an rechtsextremistischen Gewalttaten steht so gut wie fest. Denn auf einer DVD, die dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zugeschickt wurde, hinterließ die Gruppe ein Geständnis für mehrere Morde. Im Zentrum steht eine Serie zwischen 2000 und 2006, die als "Dönermorde" in die Schlagzeilen deutscher Zeitungen Eingang fand. Opfer waren acht türkische und ein griechischer Kleinunternehmer. Drei Morde ereigneten sich in Nürnberg, zwei weitere in München, jeweils ein Mord wurde in Hamburg, Rostock, Dortmund und Kassel verübt. Bei allen Taten wurde immer dieselbe Waffe benutzt.

Rätselhaft war auch der Fall einer in Heilbronn ermordeten Polizistin. Im April 2007 wurde die 22-jährige Michelle K. mitten am Tag auf einer Festwiese mit einem Kopfschuss getötet. Ihr damals 24 Jahre alter Streifen-Kollege wurde schwer verletzt und lag mehrere Wochen im Koma. Hier tappten die Ermittler rund viereinhalb Jahre lang im Dunkeln. Monatelang suchten sie nach einer "Frau ohne Gesicht", deren Gen-Spuren bei mehr als 35 Straftaten gefunden worden seien. Im März 2009 dann die Blamage: Es stellte sich heraus, dass die DNA-Spur von verunreinigten Wattestäbchen stammte.

Ein ausgebranntes Wohnmobil (Foto: dpa)
In dem ausgebrannten Wohnmobil wurden zwei Leichen und Waffen gefundenBild: picture alliance/dpa

Erhellende Waffenfunde in Thüringen

Erst Anfang November 2011 kam Licht ins Dunkel. Die Dienstwaffen der beiden Polizisten wurden in einem ausgebrannten Wohnmobil bei Eisenach in Thüringen sichergestellt. In dem Fahrzeug hatten zuvor Uwe M. und Uwe B. Selbtmord begangen. Den beiden Männern wurden auch mehrere Banküberfälle angelastet.

Währenddessen ging im sächsischen Zwickau das Haus, in dem die beiden mutmaßlichen Bankräuber mit ihrer Gefährtin Beate Z. gelebt hatten, in Flammen auf. Die 36-Jährige stellte sich wenige Tage später der Polizei in Jena. In der Ruine des Hauses wurde die Pistole gefunden, mit der die Döner-Morde verübt worden waren. In Nordrhein-Westfalen prüft die Polizei unterdessen Hinweise auf der DVD, wonach die Neonazis auch für den Rohrbomben-Anschlag auf eine zumeist von Türken bewohnte Straße in Köln 2004 verantwortlich sind. Bei dem Attentat waren 22 Menschen verletzt worden.

Politiker in heller Aufregung

Dass mitten in Deutschland eine terroristische Vereinigung von Neonazis jahrelang unentdeckt blutige Verbrechen begangen hat - diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Innenminister Friedrich sagte der "Bild"-Zeitung, es sei "sehr beunruhigend, dass zwischen der Mordserie in ganz Deutschland und der rechtsextremen Szene in Thüringen kein Zusammenhang erkannt wurde". Unklar ist in diesem Zusammenhang vor allem die Rolle des Verfassungsschutzes. Dabei geht es um die Frage, warum die Rechtsextremen, die seit mindestens 1998 unter Beobachtung standen, aus dem Blickfeld der Ermittler verschwinden konnten und bis vor wenigen Tagen unbehelligt blieben.

Die Opposition wirft der Bundesregierung Versagen vor: Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz sagte dem "Hamburger Abendblatt", der Vorgang sei "ein unfassbares Desaster für die deutschen Sicherheitsbehörden. Vertreter von Polizei und Verfassungsschutz haben uns Parlamentariern immer wieder gesagt, dass es gewaltbereite Extremisten gibt, dass aber keine Verdichtung hin zum Terrorismus drohe". Mit dem Fall soll sich am Dienstag das Kontrollgremium des Bundestags für die Geheimdienste befassen. Bundesweit rollen Ermittler derzeit zahlreiche weitere ungeklärte Anschläge neu auf. Und auch die Kanzlerin versprach Aufklärung: "Die Angehörigen dürfen darauf vertrauen, dass der Rechtsstaat alles tun wird, um herauszufinden, was dort der Hintergrund ist." Die Terrorserie sei "beschämend".

Autor: Martin Muno
Redaktion: Thomas Latschan