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Elitetruppen statt Panzerkolonnen

Michael Knigge22. Mai 2003

Die USA, Großbritannien und Frankreich haben es vorgemacht: Jetzt baut auch Deutschland seine Verteidigungsarmee in eine Krisenreaktionstruppe um. Gezwungenermaßen – denn nur so bleibt die Bundeswehr zukunftsfähig.

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Künftig Alltag statt Ausnahme: Bundeswehr-Spezialkräfte beim Auslandseinsatz wie in MazedonienBild: AP

Bei der Bundeswehr regiert schon seit Jahren der Rotstift. Statt der dringend notwendigen Modernisierung der Truppe wurde der Militäretat immer weiter gekürzt – trotz der seit dem Ende des Kalten Krieges ständig wachsenden Aufgaben. Neben der klassischen Landesverteidigung beteiligt sich die Bundeswehr weltweit an Friedensmissionen und Krisenreaktionseinsätzen. Diese Doppelbelastung bei sinkenden Etats kann sie dauerhaft nicht bewältigen. Die Bundeswehr lebe schon seit langem von ihrer Substanz und falle im internationalen Vergleich immer weiter zurück, warnen Experten.

Jetzt hat die Politik reagiert. Durch die am Mittwoch (21.5.2003) vorgelegten neuen verteidigungspolitischen Richtlinien soll die Bundeswehr fit für die Aufgaben des 21. Jahrhunderts gemacht werden. Kern der Reform ist die Abkehr von der Landesverteidigung. Stattdessen will Verteidigungsminister Peter Struck die Truppe zu Spezialisten für Konfliktverhütung und Krisenbekämpfung umrüsten. Mit der Reform, die grundsätzlich den Empfehlungen der Weizsäcker-Kommission aus dem Jahr 2000 entspricht, schlägt Struck zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Reform ist aus finanziellen Gründen und aus der militärischen Erfahrung der vergangenen Jahre notwendig, betont Victor Mauer von der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik an der ETH Zürich.

Nachzügler Bundeswehr

Zudem verliert die Bundeswehr durch die Neuausrichtung nicht ganz den Anschluss an die Militärpolitik der NATO-Verbündeten Großbritannien, Frankreich und USA. Dennoch geht die Reform Fachleuten nicht weit genug. Die Reform komme drei Jahre zu spät und sei nicht drastisch genug ausgefallen, kritisieren Experten übereinstimmend. Großbritannien habe seine Streitkräfte schon 1997 umstrukturiert, Frankreich wenige Jahre später. "Deshalb hinkt Deutschland verteidigungspolitisch in Europa weiter hinterher und hat seit 1999 den Ruf als Trittbrettfahrer in der europäischen Sicherheitspolitik", sagt der Militärexperte Mauer. Sein Kollege Olivier Minkwitz von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) verweist darauf, dass Deutschland auch durch die Reform den großen Abstand zu Großbritannien und Frankreich nicht aufholen wird. "Und im Vergleich zu Herrn Rumsfelds Umbau der US-Armee ist die Reform von Herrn Struck sehr zaghaft", fügt Minkwitz hinzu.

Auch strategisch bleibt die Reform nach Einschätzung von Fachleuten auf halbem Wege stecken. Denn die so genannte Rekonstitution bleibe weiter Teil der Militärstrategie, sagt HSFK-Experte Minkwitz. Das bedeutet, dass die Bundeswehr sich nicht vollständig vom Konzept der Landesverteidigung verabschiedet, sondern bei veränderter Bedrohungslage wieder zur klassischen Defensivarmee umgewandelt werden kann. Damit wird Minkwitz zufolge deutlich, dass für die Militärs der Wandel Russlands vom möglichen Kriegsgegner zum Partner noch nicht abgeschlossen ist.

Schnelle Umsetzung

Trotz der Kritik an Teilen der Reform halten Fachleute die Umstrukturierung der Bundeswehr für grundsätzlich richtig. Damit die Bundeswehr für die Zukunft gerüstet ist, muss diese Reform schnell Eins-zu-Eins umgesetzt werden, fordert der Verteidigungsexperte Mauer. Nur so könne Deutschland, das von der Bundesregierung zu Recht immer als einer der größten Truppensteller zur Friedenssicherung hervorgehoben werde, diese wichtigen Einsätze auch künftig leisten. Statt aus einer Kolonne von Tausenden von schwerfälligen Panzern wird die Bundeswehr der Zukunft nach den Vorstellungen der Experten aus mobilen, gut ausgebildeten und ausgerüsteten Elitetruppen für unterschiedliche Aufgaben bestehen.

Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter und teurer Weg. Bezogen auf das Bruttosozialprodukt liegt Deutschland bei den Verteidigungsausgaben im unteren Drittel aller NATO-Staaten. Von diesem vergleichsweise geringen Budget gibt die Bundeswehr mehr als die Hälfte für Personalkosten aus – international üblich sind 30 Prozent.