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Nächster Problemfall ICx

Jeanette Seiffert22. Februar 2014

Der neue ICE 3 rollte erst mit jahrelanger Verspätung: peinlich für den Hersteller Siemens. Nachfolger ICx wird langsamer fahren - und kommt ebenfalls später als geplant. Droht ein neuer Problemfall "Made in Germany"?

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Foto: Robert Schlesinger, dpa.
Bild: picture-alliance/dpa

Technische Meisterleistung, weltweites Vorbild, prestigeträchtiger Exportschlager: Seit der erste ICE vor bald 25 Jahren in Betrieb genommen wurde, ist der deutsche Hochgeschwindigkeitszug eine Erfolgsgeschichte. Aber er steht auch für Pleiten, Pech und Pannen: Die neue Baureihe "Velaro" des ICE 3 sollte eigentlich der Stolz der neuen Fahrzeugflotte sein, stattdessen war er zwei Jahre lang vor allem Anlass für Hohn und Spott. Eigentlich sollten schon 2011 16 Züge des neuen Typs geliefert werden: Doch immer neue Querelen zwischen der Deutschen Bahn, dem Zughersteller Siemens und dem Eisenbahn-Bundesamt (EBA) als Kontrollinstanz führten dazu, dass der ICE 3 erst im Dezember 2013 zugelassen wurde. Verspätung im Bahnverkehr sind Kunden der Deutschen Bahn ja gewohnt - nun auch noch Verzögerungen bei der Lieferung? Eine "Mega-Peinlichkeit", wie selbst Siemens-Chef Joe Kaeser zugeben musste.

So lange es dauerte, bis der ICE 3 endlich rollte, so schnell war die Bahn bei der Planung des Nachfolgers: ICx heißt das künftige Prestigeobjekt der Bahn-Flotte. Bis zu 300 Züge soll Siemens bis 2030 liefern, 130 sind bestellt, 90 fest vereinbart. Es ist der umfangreichste Auftrag, den die Deutsche Bahn je vergeben hat - und zugleich der größte in der über 160-jährigen Siemens-Geschichte. Es ist aber auch eine Bewährungsprobe für den pannengeplagten Technikkonzern.

Sicher ist: Ein weiteres Auslieferungs-Debakel wie beim ICE kann sich Siemens nicht leisten. Doch schon jetzt zeichnen sich ähnliche Schwierigkeiten ab: Die Bahn wünschte sich längere Züge und ein anderes Design. Und so hat sich der Starttermin für den ICx schon jetzt nach hinten verschoben: Erst 2017 sollen die ersten Züge in Betrieb gehen.

Der ICE 3 der Baureihe Velaro. Foto: Julian Stratenschulte dpa/lni
Seit Februar rollt er endlich: Der ICE 3 der Baureihe VelaroBild: picture-alliance/dpa

Züge "Made in Germany" nicht später dran als andere

Keine deutsche Spezialität, meint Maria Leenen von der Consultingfirma SCI Verkehr: Lieferverzögerungen bei Zügen seien eher die Regel als die Ausnahme. "Wir sehen das europaweit als ein großes Problem", sagte die Volkswirtschaftlerin im DW-Interview. Um durchschnittlich ein Jahr, so hat die SCI Verkehr errechnet, verspätet sich die Lieferung eines Fernverkehrszuges. Mit elf Monaten Verzögerung liege Deutschland sogar leicht unter dem europäischen Schnitt: "Gerade einmal 40 Prozent der Züge, die seit dem Jahr 2000 in Europa bestellt worden sind, sind wie geplant in Betrieb gegangen." Und auch peinliche Langzeitpannen wie beim ICE 3 sind gar nicht so selten: Bei insgesamt neun Projekten in den vergangenen 15 Jahren wurde mehr als zwei Jahre zu spät geliefert. Trauriger Spitzenreiter: der italienische Schienenfahrzeughersteller AnsaldoBreda, der 120 Züge erst mit über dreijähriger Verspätung aufs Gleis brachte.

Geteilte Verantwortungslosigkeit?

Schuld sind nach Ansicht von Maria Leenen aber keineswegs nur die Hersteller: Auch die anderen Beteiligten trügen ihren Teil zu den Lieferpannen bei: "Beispielsweise die Verkehrsunternehmen selbst, die einen Vertrag mit dem Hersteller abschließen, aber erst später feststellen, welchen Anforderungen sie ausgesetzt sind. Es stellt sich zum Beispiel heraus, dass sie Wünsche der Fahrgastverbände nicht ausreichend berücksichtigt haben." Beide Parteien, Verkehrunternehmen und Hersteller, können dann wiederum auf den dritten Beteiligten zeigen, der oft für weitere Verzögerungen sorgt: die Zulassungsbehörde. In Deutschland muss das Eisenbahn-Bundesamt seine Zustimmung geben, bevor ein Zug auf die Schiene darf. "Das ist dann häufig auch noch mit europäischen Vorschriften konfrontiert. Oft ändern sich auch nach der Vertragsunterzeichnung noch die rechtlichen Rahmenbedingungen, das bringt dann alle Seiten in Schwierigkeiten", erklärt Maria Leenen. Siemens will beim neuen ICx aber aus vergangenen Fehlern lernen. Ein eigenes Team von Mitarbeitern soll frühzeitig Alarm schlagen, wenn sich Probleme abzeichnen.

Für das Unternehmen geht es um viel. Denn auch ohne Verzögerungen wird es immer schwieriger, mit Zügen Geld zu verdienen: Die Entwicklungskosten sind hoch und rentieren sich wegen der niedrigen Stückzahlen nicht immer. Es ist also kein Zufall, dass die Sparte für Transport und Logistik bei Siemens alleine im Geschäftsjahr 2012/13 448 Millionen Euro Verlust gemacht hat.

Reisende warten auf verspäteten Zug. Foto: Matthias Balk/dpa
Lieber pünktlich und bequem als superschnell?Bild: picture-alliance/dpa

Abschied von Spitzengeschwindigkeiten

Ohnehin fällt es Herstellern wie Siemens schwer, ihre neuen Fahrzeuge als große technische Innovationen anzupreisen. War der erste ICE noch eine wahre Revolution im Schienenverkehr, stecken in den neuen Modellen vor allem kleinere Verbesserungen wie mehr Beinfreiheit oder Monitore am Platz. Größere technische Neuentwicklungen, etwa im Bereich der Energieeffizienz, sind weniger offensichtlich und führen in der Öffentlichkeit auch kaum zu Begeisterungsstürmen.

Und auch bei der Höchstgeschwindigkeit geht der Trend eher rückwärts: Während der ICE 3 mit bis zu 300 Stundenkilometern durch Deutschland rast, wird der neue ICx nur noch höchstens 250 Kilometer pro Stunde schaffen. Ein stiller Mentalitätswechsel: Im Fernverkehr habe man lange Zeit einseitig auf höhere Geschwindigkeiten gesetzt, meint Verkehrsexpertin Maria Leenen. "Man stellt jetzt aber fest, dass die Fahrgäste gar nicht unbedingt das Bedürfnis haben, 300 oder 350 Stundenkilometer zu fahren - sondern sie wollen einfach möglichst pünktlich, bequem und auch zu einem guten Preis von A nach B reisen."

Das Ende des Exportschlagers ICE?

Zugunglück in Santiago de Compostela, Spanien. Foto: Reuters.
Der Preis des Geschwindigkeitsrauschs: Zugunglück in NordspanienBild: Reuters

Man werde sich auch der Risiken des Geschwindigkeitswahns stärker bewusst, meint Leenen - etwa durch verheerende Unfälle auf Hochgeschwindigkeitsstrecken, wie 2013 nahe dem nordspanischen Santiago de Compostela. Es hat sich aber auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich Spitzengeschwindigkeiten oft nicht lohnen - wegen höherer Sicherheitsanforderungen, aber auch wegen hoher Energiekosten. Fraglich ist allerdings, ob sich eher mäßig schnelle Züge dann später in weniger dicht besiedelte Länder wie China, Russland oder Frankreich exportieren lassen.