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"Erinnerungen eines Davongekommenen"

20. März 2003

Der Schriftsteller und Journalist Ralph Giordano feiert seinen 80. Geburtstag. Er gilt als einer der beharrlichsten und streitbarsten Mahner gegen das Vergessen der Verbrechen des Nationalsozialismus.

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Kontrovers wie eh und je: Ralph GiordanoBild: AP

"Ich wache heute noch auf und denke: 'Giordano, lebst du wirklich?'" Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg lässt ihn nicht los. "Es ist eine Lebensphase, die alles geprägt hat, was ich danach getan habe. Das ist ein Erlebnis, von dem man sich nie wieder erholt". Ralph Giordano, Sohn einer deutschen Jüdin und eines Sizilianers, entkam nur knapp dem Holocaust. Seine Familie wurde in Hamburg im Juli1943 ausgebombt und flüchtete in ein Dorf in Mitteldeutschland.

Im Mai 1944 zurück in Hamburg, musste die Familie Zwangsarbeit leisten. Als die Mutter im Februar 1945 deportiert werden sollte, versteckte eine Hamburgerin die Giordanos in einem Kellerloch. Am 4. Mai 1945 wurden sie von der 8. Britischen Armee befreit. "Das zentrale Lebensgefühl war die Furcht vor dem jederzeit möglichen Gewalttod", erläutert er mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg.

Die eigene Geschichte aufarbeiten

Als Autor und Publizist sich Ralph Giordano vor allem mit seinen Schriften gegen Rechtsradikalismus und seine Arbeiten über den Nationalsozialismus einen Namen gemacht. Sein größter Erfolg wurde die Verfolgten-Saga "Die Bertinis" (1982), die das Schicksal seiner eigenen Familie nachzeichnet. 1987 erschien "Die zweite Schuld oder Von der Last ein Deutscher zu sein" als eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Es folgten fast 20 Bücher, darunter "Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte" (1989), "Israel, um Himmels Willen, Israel"(1991), "Ostpreußen ade" (1994), "Deutschlandreise" (1998) und "Die Traditionslüge. Vom Kriegerkult in der Bundeswehr" (2000).

Mahnende Warnung

Rechtsradikalismus und Neonazismus sind nach Ansicht des Autors noch immer in den deutschen Alltag integriert, und er fragt: "Was ist das für eine Demokratie, die gegen diese Leute nicht so vorgeht, wie sie nach allen Erfahrungen sein müsste?" Giordano, der regelmäßig Morddrohungen erhält, warnt vor allem vor rechtsintellektuellen "Rattenfängern": "Seit der Wiedervereinigung ist der Hass intellektueller geworden. Wir müssen uns klar darüber sein, wer unte runs ist - schon wieder oder noch immer."

Dennoch habe er Deutschland nie ernsthaft verlassen wollen, betont Giordano. Die deutsche Sprache liebt er. "Ich wäre mir wie ein Deserteur vorgekommen." Im vergangenen Jahr erfüllte er sich einen Traum und veröffentlichte den literarischen Reisebericht "Sizilien, Sizilien! Eine Heimkehr", mit dem er zugleich zu seinen familiären Wurzeln zurückkehrte. Derzeit schreibt Giordano an seiner Autobiografie. "Es wird mein Alterswerk und 'Erinnerungen eines Davongekommenen' heißen, denn ich bin auf mannigfache Weise davongekommen." (arn)