Ernüchternder „Blick nach Westen“ | Veranstaltungen | DW | 22.08.2006
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Veranstaltungen

Ernüchternder „Blick nach Westen“

Bonn – Rund 180 Gäste, darunter zahlreiche Medienvertreter, verfolgten am Donnerstag, 17. August, im DW-Funkhaus eine Diskussion über die Situation der arabischen Medienlandschaft fünf Jahre nach 9/11.

Gegenseitige Wahrnehmung erhöhen: Intendant Erik Bettermann begrüßt die Gäste auf dem Podium und im Gremiensaal des Funkhauses

Gegenseitige Wahrnehmung erhöhen: Intendant Erik Bettermann begrüßt die Gäste auf dem Podium und im Gremiensaal des Funkhauses

Eher ernüchternd – so könnte ein Fazit des arabisch-deutschen Gedankenaustausches im Rahmen der DW-Reihe „Dialog der Welt“ lauten. Ernüchternd im Hinblick auf die Etablierung einer nachhaltigen Medienfreiheit in den arabischen Ländern, ernüchternd auch im Hinblick auf einen ernsthaften und auf Austausch und gegenseitiges Verstehen gerichteten westlich-arabischen Dialog.

Dieser Dialog werde zwar viel beschworen, aber „nur im Salon und nicht an der Front“ praktiziert, wie Aktham Suliman meint. Für den Berlin-Korrespondenten von Al Jazeera ist der Begriff Dialog in der arabischen Welt schlicht unbekannt, die „Dialog-Industrie“ Sache eines sehr kleinen Zirkels. „Man spricht, weil man sich versteht, nicht, damit man sich versteht“, so Suliman.

DW Dialog der Welt Blick nach Westen

Aktham Suliman, Al Jazeera, und Peter Philipp, DW-Chefkorrespondent und Moderator der Runde

Der frühere Mitarbeiter des Arabischen Programms von DW-RADIO, der für sich in Anspruch nehmen darf, beide Perspektiven hinreichend zu kennen, stieß nicht nur durch pointierte Einlassungen in der Sache, sondern auch durch seine humorvolle Art auf viel Gegenliebe im Saal.

Wenig Zugang zur Perspektive des anderen

Der Blick nach Westen gleiche eher „ungläubigem Staunen“, hatte der Berliner Publizist und Nahost-Experte Michael Lüders in seiner Einführung angemerkt. Es fehle in den arabischen Medien in den wenigen Berichten über Deutschland und Europa zumeist an „Inside-Professionalität“.

Michael Lüders

Michael Lüders, Nahost-Experte, bei seiner Einführung

Es sei gut, dass etwa Al Jazeera bald ein englischsprachiges Programm biete. Das werde den Zugang zu arabischen Perspektiven im Westen leichter machen. Nach innen hätten die arabischen Medien in ihren Gesellschaften vor allem einen immensen Bildungsauftrag.

Wobei der Begriff „arabische Presse“ natürlich viel zu allgemein sei, wie Khaled Hroub, Publizist und Leiter des Cambridge Arab Media Projects, festhielt. Und die mehr als 20 arabischen Länder seien nur in sehr wenigen – „aber wichtigen Punkten“, wie Suliman ergänzte – auf einer Linie. Hroub machte vor allem deutlich, dass sich zwar „in Ansätzen eine vierte Gewalt“ etabliere, in den meisten Staaten die übrigen Gewalten aber nicht funktionierten. Somit gingen „Sender wie Al Jazeera ein wenig ins Leere“. Dem Einfluss der Medien und freier Berichterstattung seien enge Grenzen gesetzt. Suliman skizzierte für sich in dieser Frage einen Balanceakt, wie ihn ähnlich wohl viele andere Journalisten erleben: „die Synthese aus einer persönlichen und einer arabischen Sichtweise, aus den Interessen Al Jazeeras und den Erwartungen des Publikums“.

DW Dialog der Welt Blick nach Westen

Kahled Hroub, Aktham Suliman, Peter Philipp und (im Vordergrund) Nakhle El-Hage (v.l.)

Nach Auffassung von Klaus-Dieter Seelig seien die Erwartungen an die Medien gleichwohl sehr groß: Weil demokratische Strukturen fehlten, müssten die Medien Aufgaben mit übernehmen, die anderorts Gewerkschaften oder politische Parteien wahrnähmen. „Die Medien müssen den Diskus über viele wichtige Themen alleine führen“, so der Leiter der Fremdsprachenprogramme bei DW-TV. Seelig sieht dabei das Problem einseitiger Berichterstattung schlicht als „technisch überholt“ an. Insbesondere durch das Internet könne letztlich „jeder alles erfahren, aus allen Perspektiven“.

Die gegenseitige Nicht-Wahrnehmung

Die von DW-Chefkorrespondent Peter Philipp moderierte Runde tat sich schwer, Einfluss und Rolle – auch mögliche Defizite – der arabischen Medienlandschaft im Fokus zu behalten. Immer wieder wurde die Debatte von Aspekten der gegenseitigen Wahrnehmung – besser: Nicht-Wahrnehmung – überlagert. Der Westen sehe die arabischen Gesellschaften noch immer „durch die Brille Osama Bin Ladens“, wie der aus Dubai angereiste Nakhle El-Hage von Al Arabiya meint. Arabische Medien hätten in den ersten Jahren nach 9/11das Ihre dazu beigetragen, die Kluft zu vergrößern – ein Seitenhieb auf Al Jazeera, dem El-Hage Populismus bei der „unkritischen Ausstrahlung von Bin-Laden-Videos“ vorhielt. Auch deshalb sei es sehr wichtig, „in die Ausbildung von Journalisten zu investieren“.

DW Dialog der Welt Blick nach Westen

Nur sehr bedingt frei und zu wenig auf den Diskurs innerhalb der arabischen Gesellschaften gerichtet: so die Situation vieler arabischer Medien fünf Jahre nach 9/11

Nach Überzeugung von El-Hage ist das gegenseitige Interesse auf arabischer wie europäischer Seite nicht umfassend. „Wir mögen uns nur aus bestimmter Perspektive“, meint er. Und Hroub präzisierte, vor allem die arabische Jugend wisse sehr wohl zu unterscheiden zwischen westlicher Lebensart, der man weiter zugetan sei, und westlicher Kultur und Politik, die man skeptisch sehe.

Weiterhin Angebote machen

Welche Seite nun mehr oder weniger von der anderen Seite weiß, darüber blieben die Beteiligten höchst uneins. Das Ergebnis des bisherigen Dialogs jedenfalls sei „bescheiden“, meint Klaus-Dieter Seelig, und für die Zukunft sei er „wenig optimistisch“. Gleichwohl müsse man Angebote machen. Das arabische Fenster von DW-TV sei ein solches. Khaled Hroub sähe gern „Euro News/Arabisch“, für ihn eine „gute Grundlage, den Dialog zu beleben“. Denn die Menschen wendeten sich immer noch eher Europa als den USA zu.

Schenkt man Aktham Suliman Glauben, so hat es seit 9/11 in den arabische Ländern sehr wohl eine Entwicklung gegeben, „allerdings eine wachsende Abkehr vom Westen, nicht im Sinne von Feindschaft, aber von Desinteresse“, so der Al Jazeera-Vertreter. Er könne „viele Themen einfach nicht verkaufen“ und Vergleiche zum Westen heranzuziehen, „damit mache ich mich derzeit lächerlich“. Eher ernüchternd auch das.

Berthold Stevens

Die Veranstaltung wurde für die Sendung „Klartext“ im Deutschen Programm von DW-RADIO aufgezeichnet und wird zudem in Kürze als Podcast zur Verfügung stehen – wie künftig alle Veranstaltungen der Reihe „Dialog der Welt“. Mehr Informationen bei veranstaltungen@dw-world.de

Audio und Video zum Thema

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