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Gegenseitige Aufrechnung

27. September 2004

Polens Parlament hat eine Resolution zu Kriegs-Reparationsleistungen erlassen – und für heftigen Wirbel in Deutschland gesorgt. Die Polen sagen, sie hätten nur auf die Anspruchshaltung deutscher Vertriebener reagiert.

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Die Grenzen des Landes sind nicht immer identisch mit den Grenzen des AnspruchsBild: AP


Der Beschluss des polnischen Parlaments sei "eine Reaktion auf die Aktionen der Preußischen Treuhand", sagte der polnische Botschafter in Deutschland, Andrzej Byrt. Die Vertriebenenorganisation unter ihrem Vorsitzenden Rudi Pawelka will auf Rückgabe von früherem Besitz vor polnischen und internationalen Gerichten klagen. "Die Ursache für die Debatte kam von Herrn Pawelka und Konsorten, die in Polen dramatische Ängste ausgelöst haben", so der Botschafter in einem Zeitungsinterview. Trotz des Parlamentsbeschlusses vom Freitag (10.9.) erwarte er keine offiziellen Entschädigungsforderungen Polens an Deutschland. "Die polnische Regierung hält die Frage von Reparationen für erledigt", sagte Byrt.

Alte Ängste brechen auf

Das polnische Parlament hat die Regierung einstimmig aufgefordert, die Kriegsschäden zu beziffern und dazu Gespräche mit Deutschland zu führen. In dem Text der Resolution heißt es: "Das Parlament erklärt, dass Polen bisher keine ausreichenden Kriegsreparationen und Entschädigungen für das enorme Ausmaß an Zerstörung und materiellen sowie nicht-materiellen Verlusten erhalten hat, die durch deutsche Aggression, Besatzung und Völkermord entstanden sind." Zugleich wies das Parlament alle Ansprüche von deutschen Vertriebenen zurück. Deren Forderungen haben in jüngster Zeit großen Unmut in Polen ausgelöst. Viele Bürger des Landes sehen darin den untauglichen Versuch, die polnischen Opfer im Zweiten Weltkrieg mit den deutschen gleichzusetzen.

Gefühle spielen hier eine große Rolle, alte Ängste, leidvolle historische Erfahrungen und die Spätfolgen einer Propaganda, die jahrzehntelang die Angst vor den Deutschen schürte. Es ist eine bittere Erkenntnis für all jene, die sich seit Jahrzehnten für Aussöhnung und Verständigung einsetzten, dass in einer Zeit engster Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland eine Spirale gegenseitiger Aufrechnungen das im deutsch-polnischen Verhältnis bisher Erreichte belastet. Neben den finanziellen Auswirkungen eventuell erfolgreicher Klagen und der in den alten deutschen Ostgebieten vorhandenen Angst vor einer Rückkehr der deutschen Besitzer geht es den geschichtsbewussten Polen auch um die klare Feststellung, wer Täter und wer Opfer im Zweiten Weltkrieg war.

Alles geregelt?

Die Rechtslage ist eigentlich klar. Im deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag ist die Oder-Neiße-Grenze endgültig als polnische Westgrenze anerkannt. Deutschland ist der wichtigste Wirtschaftspartner Polens, beide Länder sind Partner in NATO und EU, Deutschland galt als wichtigster Sachwalter polnischer Interessen bei der Vorbereitung der EU-Erweiterung. Polen wiederum verzichtete schon in den 1950er Jahren auf alle Reparationsforderungen an Deutschland.

Deutsche Politiker haben sich bestürzt über die Forderung des polnischen Parlaments nach Reparationen für die von Deutschland im Zweiten Weltkrieg angerichteten Schäden gezeigt. Die polnische Regierung sprach sich für eine diplomatische Lösung der beiden Regierungen aus. Der SPD-Außenpolitiker Markus Meckel sprach in einem Zeitungsinterview von einem "Rückfall in den Geist der gegenseitigen Aufrechnungen", den er mit großer Enttäuschung zur Kenntnis nehme. Die Bundesregierung verwies auf die Aussagen von Kanzler Gerhard Schröder, wonach die Regierungen beider Länder Reparationsforderungen als erledigt betrachteten.

Debatte im Parlament

Die vom polnischen Parlament verabschiedete Entschließung ist eine politische Erklärung - rechtlich bindende Wirkung für Ministerpräsident Marek Belka und seine Regierung hat sie nicht. "Wir versuchen im Dialog mit den Regierungen Deutschlands und Polens eine Lösung zu finden, die die Angelegenheit der Entschädigungen ein für alle Mal, auch im rechtlichen Sinn, abschließt", sagte Belka. Doch auch um diesen Text wurde lange verhandelt, bis kurz vor der Abstimmung. Die konservativen und nationalistischen Parteien hatten ursprünglich eine wesentlich schärfere Version formuliert, die Linksparteien dagegen wollten keine ausdrückliche Forderung nach Reparationen akzeptieren. Herausgekommen ist die etwas vage formulierte Aufforderung an die Regierung, "in dieser Angelegenheit entsprechende Maßnahmen zu ergreifen". (arn)