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Hohe Hürden für den Präsidenten-Rauswurf

10. Januar 2012

Bundespräsident Christian Wulff kommt aus den Negativschlagzeilen nicht heraus. Noch weist Wulff jeden Gedanken an einen Rücktritt zurück. Und auch die Hürden für eine erzwungene Amtsenthebung liegen hoch.

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Die Standarte des Bundespräsidenten weht auf dem Dach von Schloss Bellevue (Foto: dapd)
Bild: dapd

Am ersten Januar-Wochenende (07./08.01.2012) dachte die Partei "Die Linke" laut über die Möglichkeit eines Amtsenthebungsverfahren gegen Christian Wulff nach. Man müsse überprüfen, so der rechtspolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Wolfgang Neskovic, ob der Anruf des Bundespräsidenten bei dem Chefredakteur der 'Bild'-Zeitung den Tatbestand der versuchten Nötigung erfülle.

Wulff hatte im Vorfeld der Veröffentlichungen der "Bild"-Zeitung über den von ihm aufgenommenen Privatkredit versucht, Kai Diekmann, Chefredakteur des Boulevardblattes, sowie Mathias Döpfner, Verlagschef der Springer-Gruppe, zu erreichen. Nach Wulffs Angaben, um die Publizierung um einen Tag zu verschieben, nach Aussagen von "Bild", um durch Drohungen eine Veröffentlichung ganz zu unterbinden.

Versuchte Einflussnahme oder versuchte Nötigung?

Christian Wulff (l.) und 'Bild'-Chefredakteur Kai Diekmann im Juli 2006 in Berlin (Foto: dpa)
Christian Wulff (l.) und Kai Diekmann beim 'Bild'- Sommerfest 2006Bild: picture-alliance/dpa

Hans Herbert von Arnim, Professor für Staatsrecht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, hält die Forderung der Linken nach einer Überprüfung des Sachverhalts für gerechtfertigt. Möglicherweise handele es sich tatsächlich um eine versuchte Nötigung.

Wäre dem so, hätte dies schwerwiegende Konsequenzen für Wulff: "Die Voraussetzung für die Anklage des Bundespräsidenten ist ja, dass dieser ein Bundesgesetz oder das Grundgesetz verletzt hat, und der Paragraph 240 des Strafgesetzbuchs, der die Nötigung untersagt, ist ja ein solches Bundesgesetz und auch der Versuch ist strafbar."

Rechtlich möglich – politisch unrealistisch

Doch auch für den Fall, dass Wulffs Einschüchterungs-Anruf bei Diekmann und Springer-Chef Mathias Döpfner strafrechtlich als versuchte Nötigung zu werten sei, werde es wohl kaum zu einem Amtsenthebungsverfahren kommen, glaubt von Arnim: "Für die Anklage vor dem Verfassungsgericht ist bereits eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag erforderlich. Da die Mehrheit aus Union und FDP den Präsidenten ja ins Amt gewählt hat in der Bundesversammlung, ist es unwahrscheinlich, dass nun ausgerechnet sie einen solchen Antrag stellen würde."

Rechtliche Grundlagen für die Präsidentenanklage

Hohe Hürden also für eine Abwahl oder Amtsenthebung des Bundespräsidenten: Zwei Drittel der Abgeordneten des Bundestages oder des Bundesrates müssten beschließen, eine Präsidentenanklage beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Nur wenn der Bundespräsident während seiner Amtszeit vorsätzlich ein Bundesgesetz oder das Grundgesetz verletzt, kann er seines Amtes enthoben werden.

Die ursprünglichen Vorwürfe gegen Wulff - wegen der Vermengung von dienstlichen und privaten Beziehungen mit befreundeten Unternehmern, sowie der unvollständigen Auskunft über diese Beziehungen vor dem niedersächsischen Landtag - würden ein Amtsenthebungsverfahren also nicht rechtfertigen, da sie sich auf die vorpräsidiale Zeit Wulffs beziehen.

Angela Merkel and Christian Wulff (Foto: AP)
Noch steht die Kanzlerin zu WulffBild: AP

Politischer Druck

Ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren, das sich mit den Vorwürfen aus Wulffs Zeit als Ministerpräsident von Niedersachsen beschäftigt, würde gleichwohl den politischen Druck auf ihn weiter erhöhen. "Wenn er die öffentliche Unterstützung der Parteien und Parteichefs, die ihm zum Amt verholfen haben verlieren sollte, dann wird es eng, aber rechtlich kann ihn keiner zur Aufgabe seines Amtes zwingen".

Direktwahl des Bundespräsidenten

Im Laufe der Affäre Wulff tauchte - wie schon nach dem Rücktritt von Wulffs Amtsvorgänger Horst Köhler 2010 - in der Öffentlichkeit die Frage nach einer Direktwahl des Bundespräsidenten durch das Volk auf. Bislang wird der Bundespräsident durch die Bundesversammlung, in der Abgeordnete des Bundestages und der Länderkammern sitzen, gewählt. Im Vorfeld stellen die Parteien jeweils einen Kandidaten oder eine Kandidatin auf. Zuweilen einigen sich auch mehrere Parteien auf einen gemeinsamen Kandidaten.

Viele der Bundespräsidenten, so auch Roman Herzog und Richard von Weizsäcker hatten sich für eine Direktwahl des Bundespräsidenten ausgesprochen, denn durch eine Direktwahl wäre der Präsident politisch unabhängiger und hätte eine breitere demokratische Legitimation.

Dass ein direkt gewählter Bundespräsident dadurch zu viel Macht bekäme, glaubt der Speyrer Staatsrechtler von Arnim nicht: "Eine Gefahr des Missbrauchs besteht hier nicht, weil der Bundespräsident sehr wenig Entscheidungsmacht hat. Das heißt nicht, dass er unwichtig ist, denn Reden und Repräsentieren, das sind Dinge, die Menschen integrieren und zusammenhalten." Und das sei auch wichtig in einer Demokratie.

Eine Änderung des Wahlrechts für den Bundespräsidenten hält von Arnim gleichwohl für unrealistisch:

"Dazu müsste die Verfassung geändert werden und auch dafür bedürfte es Zweidrittel-Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat und nach aller Erfahrung muss man sagen, dass die Politik nicht bereit ist, den Zugriff auf dieses Amt dem Volk zu geben."

Lehren aus der Vergangenheit

Paul von Hindenburg 1933 (Foto: AP)
Reichspräsident Paul von Hindenburg 1933Bild: AP

Dass der Bundespräsident in Deutschland indirekt gewählt wird und hauptsächlich repräsentative Aufgaben hat, liegt in den Erfahrungen der ersten demokratischen Republik von Weimar begründet. Hier hatte der Reichspräsident eine ungleich stärkere Stellung. Er war Oberbefehlshaber der Streitkräfte, konnte das Parlament auflösen und mit Notstandsgesetzen selber zum Gesetzgeber werden. Darüber hinaus durfte er auch ohne Zustimmung des Parlaments den Reichskanzler ernennen.

Der letzte Reichspräsident der Weimarer Republik, Paul von Hindenburg, berief auf diese Weise seit 1930 am Parlament vorbei die jeweiligen Reichskanzler. Den letzten benannte er am 30. Januar 1933: Adolf Hitler.

Autorin: Rachel Gessat
Redaktion: Arne Lichtenberg