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Tauziehen um Doha

Karl Zawadzky21. Juni 2007

Zwar hat es schon zahlreiche Grabreden auf die Doha-Runde der Welthandelsorganisation WTO gegeben, aber: Totgesagte leben länger. Ein Kompromiss im Welthandel scheint möglich. Und die Zeit drängt.

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Hand am Tau Foto: Norbert Schmidt c) Picture-Alliance / ASA
WTO-Verhandlungen sind wie TauziehenBild: Picture-Alliance / ASA

Der Versuch eines weiteren Abbaus von Zöllen und versteckten Handelshemmnissen ist noch nicht endgültig gescheitert. Im Gegenteil: Seit Dienstag (19.6.07) wird in Potsdam bei Berlin im Kreis einiger Schwergewichte im Welthandel versucht, die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit sind die Wirtschafts- beziehungsweise Handelsminister der USA, Indiens, Brasiliens sowie EU-Handelskommissar Peter Mandelson gemeinsam mit WTO-Generaldirektor Pascal Lamy auf der Suche nach einem Kompromiss.

Die Zeit drängt, was aller Erfahrung nach die Kompromissbereitschaft stärkt. Denn Ende Juni läuft das Verhandlungsmandat des amerikanischen Präsidenten für Zugeständnisse im Rahmen der Doha-Runde aus. Gelingt es in Potsdam, wenigstens ein Teilergebnis zu vereinbaren, hätte Präsident George W. Bush größere Chancen, vom Kongress in Washington ein neues Handelsmandat zu erhalten. Dann könnte die Handelsbeauftragte der amerikanischen Regierung, Susan Schwab, am weltweiten Geben und Nehmen gestärkt teilnehmen. Verfällt das Verhandlungsmandat ersatzlos, machen Verhandlungen bis nach den Wahlen in den USA im November 2008 keinen Sinn mehr.

Zuversichtlicher Glos

Es hat bei WTO-Verhandlungen Tradition, dass Vereinbarungen stets in letzter Minute erzielt werden. Insofern ist Bundeswirtschaftsminister Michael Glos durchaus verhalten optimistisch. "Der Druck auf alle Beteiligten und auch die Einsicht, dass man zu Ergebnissen kommen muss, nimmt deutlich zu", meint er.

Glos selbst sitzt im historischen Hotel Cecilienhof wie übrigens die anderen Wirtschaftsminister der EU-Staaten nicht mit am Verhandlungstisch, denn die Kompetenz für den Außenhandel der EU insgesamt liegt bei der Brüsseler Kommission. Die jedoch muss sich stets der Zustimmung der EU-Mitgliedsländer versichern. Während die deutschen Interessen eher auf einer weiteren Zollsenkung für Industriegüter liegen, legt auch die neue französische Regierung von Präsident Nicolas Sarkozy vor allem Wert darauf, die Interessen der Landwirtschaft zu wahren.

Streitpunkte

Was innerhalb Europas gilt, das gilt auch weltweit: Hauptstreitpunkt zwischen den verschiedenen Ländern und Ländergruppen sind die Subventionen der großen Industriestaaten - vor allem der EU und der USA - für ihre Bauern. Die EU verlangt von den USA eine Verringerung der Agrarsubventionen von derzeit 23 Milliarden Dollar jährlich, während die USA von der EU eine weitere Zollsenkung für Agrarprodukte über die bereits angebotenen 39 Prozent hinaus fordern. Die Entwicklungs- und Schwellenländer verlangen sowohl von den USA als auch von der EU die Öffnung der Agrarmärkte.

Im Gegenzug pochen die EU und die USA auf Zugeständnisse der Entwicklungs- und Schwellenländer bei einer weiteren Öffnung ihrer Märkte für Industriegüter und Dienstleistungen. Experten sagen im Falle einer Handelsliberalisierung einen anhaltenden Wachstumsschub der Weltwirtschaft in dreistelliger Milliardenhöhe voraus. Vorsorglich schieben alle Beteiligten die Verantwortung für ein mögliches Scheitern der WTO-Verhandlungen dem jeweils anderen zu. Bundeswirtschaftsminister Glos versichert: "Die Blockierer sitzen nicht in Europa."

China nur in Gedanken am Tisch

China, einer der großen Teilnehmer am Welthandel, sitzt in Potsdam nicht mit am Tisch, ist jedoch in den Gedanken der Teilnehmer immer dabei, meint Professor Rudolf Hickel von der Universität Bremen. "Da gibt es ganz massive Vorwürfe gegenüber China, auch von der Europäischen Union", sagt er, "nämlich: dass im Grunde genommen raubkopiert wird, dass geistiges Eigentum sich angeeignet wird ohne ordentliche Patentzahlung. Hier schwelt ein großer Konflikt und von daher ist natürlich das Verhältnis sehr, sehr belastet."

Eine Einigung ist von den Gesprächen in Potsdam nicht zu erwarten. Wohl aber kann im günstigen Fall die Basis für eine Einigung wenige Tage später am Sitz der WTO in Genf gelegt werden. Das wäre ein großer Erfolg. Dann könnte es Ende dieses Jahres tatsächlich zu einem Abschluss der Welthandelsrunde kommen.

Schuldzuweisungen

Allerdings wird für den Fall des Scheiterns vorgesorgt. Denn zwar hat der multilaterale Liberalisierungsprozess für die Bundesregierung und auch für die deutsche Wirtschaft Vorrang, aber wenn es mit der WTO keinen Fortschritt gibt, sollen bilaterale Handelsabkommen vereinbart werden. Schon wird parallel zu den laufenden WTO-Gesprächen mit wichtigen Ländern auf bilateraler Ebene verhandelt. "Wir brauchen Bausteine, die sich in das Doha-Gebäude einfügen würden", sagt Bundeswirtschaftsminister Glos, "und wir dürfen uns nicht die Chancen für unsere Industrie entgehen lassen. Deswegen freue ich mich, dass jetzt bilaterale Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und Indien oder Korea oder den ASEAN-Staaten aufgenommen werden."

Die Verhandlungen in Potsdam sind bis einschließlich Samstag angesetzt. Doch da aller Erfahrung nach erst gegen Ende die Kompromissbereitschaft wächst, ist das Hotel vorsichtshalber bis Sonntag gebucht worden. Die entscheidende Nacht für Erfolg oder Misserfolg wird voraussichtlich die von Samstag auf Sonntag sein.