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Hilfe für Angehörige der Neonazi-Mordopfer

16. Februar 2012

Als Ombudsfrau für die Angehörigen der Opfer der Zwickauer Neonazi-Terrorzelle hat Barbara John viel zu tun. Anfang Januar hat die Bundesregierung sie mit dieser Aufgabe beauftragt. Jetzt zieht sie eine erste Bilanz.

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Die frühere Berliner Ausländerbeauftragte und derzeitige Ombudsfrau für die Angehörigen der Opfer der Neonazi-Morde Barbara John (Quelle: +++(c) dpa - Bildfunk+++
Ombudsfrau Barbara JohnBild: Picture-Alliance/dpa

Deutsche Welle: Frau John, wie war die Situation der Angehörigen der Opfer, als Sie Ihre Arbeit aufgenommen haben?

Barbara John: Sie wussten inzwischen, dass ihre Familien, die verdächtigt worden waren, nichts mit diesen Taten zu tun hatten. Das war eine große Erleichterung. Doch am Anfang sind sie gar nicht informiert worden, wer nun als Beschuldigter gilt. Das haben die Angehörigen alles aus der Zeitung erfahren. Auch das war ein Punkt, wo sie die Wahrnehmung, die sie verdienen, nicht bekommen haben. Das hat sich natürlich auch geändert. Und ich hoffe, dass es auch so weiter geht. Jetzt wird es auch eine große Gedenkveranstaltung geben, wo auch öffentlich, so hoffe ich, der Bundespräsident den guten Ruf der Familien wieder herstellt.

Was haben Sie in den letzten Wochen als Ombudsfrau gemacht?

Ich habe die Familien angeschrieben, ich habe ihnen meine Handynummer gegeben. Sie rufen mich an, wir unterhalten uns oft. Sie schildern mir ihre Probleme. Sie haben Alltagsprobleme, z. B. der Pass ist verloren gegangen. Also ganz banale Probleme, die viele Menschen haben, aber die in einer solchen Situation noch sehr viel stärker zu Buche schlagen. Ich versuche zu helfen, und das gelingt mir meistens auch. Aber sie haben natürlich auch viel größere Probleme: es sind Krankheiten da, die Erziehung der Kinder ist nicht abgesichert, weil nur eine Rente von 50 Euro gezahlt wird. Es gibt bisher keinen systematischen Zugang zu den Hilfesystemen. Er muss für viele Familien erst geschaffen werden, und das braucht sehr viel Zeit. Ich habe einen Fragenbogenkatalog mit 19 Fragen verschickt und ich weiß jetzt von den einzelnen Familien viel besser als am Anfang, was die einzelnen Familienmitglieder brauchen.

Die Bundesregierung hat begonnen, die Opfer zu entschädigen. Sind die Opfer und die Angehörigen damit zufrieden?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass man damit zufrieden sein kann. Ein Menschenleben ist nicht mit Geld zu bezahlen, aber eine Entschädigung in Höhe von 10.000 Euro - das ist unverhältnismäßig wenig und ich hoffe, dass das noch geändert werden kann

Sie haben in einem Interview gesagt, dass die Opfer „Akteure“ sein sollen. Was meinten Sie damit?

Sie sollen einbezogen werden. Erst einmal sollen sie erfahren, wie weit die Ermittlungen sind. Sie können unbedingt einen Beitrag leisten, damit diese Gesellschaft erkennt, was eigentlich damals gelaufen ist, damit sie nachempfindet, wie viel Leid und wie viel Not diese Familien durchgemacht haben. Die Familien sind alle daran interessiert, dass diese Zustände aufhören, dass das nie wieder vorkommt. Und dazu können sie beitragen, indem sie einfach mitmachen, indem sie zu Veranstaltungen eingeladen werden - nicht im großen Kreis, das würden die Opfer nicht wollen - aber im kleineren Kreisen, z. B. bei den Sicherheitsbehörden. So dass sie dort wahrgenommen werden und man auf ihre Stimme hört und sich für sie interessiert. Das heißt: Ich komme aus meiner Ohnmachtsrolle heraus, ich werde wieder aktiv, ich bin nicht mehr das Opfer dieser Täter, sondern ich bin ein selbstbestimmter Mensch.

Der Untersuchungsausschuss im Bundestag und die Bund-Länder-Kommission sollen die Neonazi-Morde aufklären. Was erwarten Sie von diesen Gremien?

Vielleicht lassen sich einige Pannen aufdecken. Ich hoffe sehr, dass man genau feststellt, wo was nicht geklappt hat. Aber ich denke, man muss den gesellschaftlichen Hintergrund ausleuchten. Und das werden diese Untersuchungskommissionen wohl weniger machen, weil sie mehr auf die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Sicherheitsdiensten und der Polizei achten. Die Gesellschaft bleibt ganz außen vor. Aber wir wissen, dass genau diese auf ganze Gruppen abzielende Menschenfeindlichkeit, hier durch die Nazis vertreten, bei vielen Menschen vorhanden ist. Sicher nicht als Gewaltvorstellung, aber zumindest als etwas, was nicht hierherpasst. Damit müssen wir uns befassen, das werden die Untersuchungskommissionen nicht leisten.

Wie geht Ihre Arbeit weiter?

Ich habe mir einen Überblick verschafft. Ich werde jetzt mit hundert Institutionen und Ämter zu tun haben. Ich mache das hier ganz allein – ich habe ein Computer, einen Kugelschreiber und ein Telefon. Und ich muss sehen, wie ich da durchkomme. Also es wird sehr viel Arbeit sein.

Barbara John war zwischen 1981-2003 Berliner Ausländerbeauftragte. Sie hat sich auch nach Ihrer Pensionierung weiterhin mit Integrationsthemen beschäftigt. Für Ihr Engagement wurde sie mehrmals ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz sowie dem Moses-Mendelssohn-Preis für Toleranz und dem Verdienstorden des Landes Berlin.

Das Interview hat Jülide Danisman geführt.
Redaktion: Blagorodna Grigorova