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Fördern rechnet sich

24. März 2009

Jugendliche ohne Schulabschluss haben kaum Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Trotzdem zahlt es sich für den Staat aus, in diese "hoffnungslosen Fälle" zu investieren, wie eine Studie zeigt.

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Schüler mit Migrationshintergrund in einer Leipziger Schule (Foto: DPA)
Vor allem Schüler mit Migrantenhintergrund verlassen die Schule ohne AbschlussBild: picture-alliance / dpa

Ahmad Aman ist ein quirliger 26-jähriger, der vor Temperament und wacher Intelligenz nur so übersprudelt. Vor 18 Jahren ist er mit seiner Familie aus Afghanistan geflohen. Er kam ohne Deutschkenntnisse in die vierte Klasse einer Grundschule. Mit 78 Fehlern war das erste Diktat ein Fiasko, aber: "Ich war sehr glücklich, weil ein damaliger Schüler zwei Fehler mehr hatte und das war schon gut für mich - ich wurde dann nicht so ganz gedemütigt." Er bekam dann die Empfehlung, auf die Hauptschule zu gehen, aber seine Eltern haben sich dagegen gewandt. "Dann habe ich freiwillig die vierte Klasse wiederholt, so dass ich dann auf die Realschule gehen konnte."

Mitterweile hat Ahmad studiert und arbeitet beim IMBSE in Moers (Institut für Maßnahmen zur Förderung der beruflichen und sozialen Eingliederung). Dieser Bildungsträger qualifiziert benachteiligte Jugendliche ohne Schulabschluss, damit sie einen Ausbildungsplatz bekommen. Darunter sind Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Ahmad möchte ihnen Vorbild sein. Er vermittelt Fachwissen, aber auch die so genannten "soft skills": Hände aus den Taschen, Handy aus. Und nicht zu vergessen: ein bisschen Optimismus. Die Botschaft ist klar: "Was ich geschafft habe könnt ihr auch".

Ein bisschen mehr Optimismus bitte!

Seine Aufgabe bestehe in erster Linie darin, die Jungs zu motivieren, damit sie mit einem gestärkten Selbstwertgefühl in die Arbeitswelt hineingehen. "Sie sollen sich auch nicht immer als Außenseiter sehen und sich nicht damit abfinden, als Ausländer oder so genannte Ausländer keine Chance zu haben - weil sie Chancen und auch das Potential haben."

Kein Schulabschluss, keine Chance, kein Selbstwertgefühl - dieser Teufelskreis trifft jugendliche Ausländer, Migranten und Deutsche aus bildungsfernen Familien gleichermaßen. Dabei ist aus psychologischer und gesellschaftlicher Sicht jeder dieser Jugendlichen eine vertane Chance. Das gilt auch wirtschaftlich: So genannte "Bildungsversager" fallen nicht nur als Erwerbstätige und Steuerzahler aus, sondern verursachen sogar weitere Kosten: entweder als Sozialhilfeempfänger oder als Teilnehmer von Qualifizierungsmaßnahmen.

5,6 Milliarden für die Ausbildung

Um Jugendliche in Ausbildung zu bringen, gibt Deutschland jährlich rund 5,6 Milliarden Euro aus. Das hat das Kölner "Institut der Deutschen Wirtschaft" (IW) errechnet. Dazu zählen zum Beispiel Berufsschulen, das Berufliche Grundbildungsjahr und andere Maßnahmen. Mehr als eine halbe Millionen Jugendliche nehmen die Qualifizierung in Anspruch. Für jeden von ihnen kostet das im Jahr 10.000 Euro.

Doch diese Ausgaben sind nötig und richtig, belegt die IW-Studie. Wenn die Integration ins Berufsleben gelingt, dann rentieren sich die Investitionen schnell. Wenn nicht, entgehen der Gesellschaft pro Person bis zu 480.000 Euro, rechnet IW-Mitarbeiter Michael Neumann vor: "Jeder Jugendliche, den wir nicht in eine Ausbildung integrieren können, der keinen Berufsabschluss bekommt, kostet uns in seinem weiteren Leben in jedem folgenden Jahr etwa 12.000 Euro." Diese Summe falle über sein gesamtes restliches Erwerbsleben an - im Zweifelsfall können es 40 Jahre sein, die dieser Jugendliche Jahr für Jahr 12.000 Euro weniger zur Wertschöpfung beiträgt oder Kosten der sozialen Sicherung in Anspruch nehmen muss.

Mehr Geld für "hoffnungslose Fälle"

Jugendliche, die keinen Beruf haben, werden zudem schneller kriminell und krank. Schulexperten wie der Soziologieprofessor Rainer Geißler sprechen darum von einer "Zeitbombe". Aber möglicherweise kommt Deutschland mit einem blauen Auge davon. Weil die Gesellschaft immer älter wird, braucht sie künftig auch die Jugendlichen, die heute als "Bildungsversager" und "nicht ausbildungsreif" gelten. So lohnt es sich, Energie und Geld in Jugendliche zu investieren, die heute noch als "hoffnungslose Fälle" abgestempelt sind, sagt Ahmad Aman: "Bildung ist 'Humankapital' und ein Stück Investition in die Zukunft. Das ist nicht nur für Migranten gut, sondern in erster Linie für Deutschland. Wenn wir uns auf die Zukunft einstellen und investieren wollen, dann müssen wir in Bildung investieren."

Autorin: Ute Hempelmann

Redaktion: Jochen Vock / mag