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Kirschblüte in Tokio

8. April 2011

Die Kirschbäume blühen in Tokio. Der Alltag kehrt zurück, trotz aller Sorgen über gefährliche Strahlung. Bei ihren Recherchen hat DW Reporterin Silke Ballweg erkannt, warum die Japaner so ruhig und besonnen reagieren.

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Menschen sitzen im Park unter blühenden Kirschbäumen (Foto: DW)
Suche nach Entspannung: Die Menschen genießen die Kirschblüten-Zeit im ParkBild: DW

Es ist ein warmer Nachmittag in Tokio. Viele Japaner gehen im Yoyigi Park spazieren. Denn die Kirschblüte ist vor einigen Tagen nach Tokio gekommen. An Straßen, auf Plätzen, vor den Bahnhöfen zeigen die Bäume derzeit ihre weiße Pracht.

Die Sakura, wie die Zeit der Kirschblüte genannt wird, ist für Japaner etwas ganz Besonderes. Wenn die vielen Kirschbäume blühen, bilden sie in den Parks ein bezauberndes weißes Blätterdach. "Ich bin 45 Jahre alt und man sieht natürlich die Kirschblüte nur einmal im Jahr. Ach, das ist schön, aber man fühlt, dass man wieder ein Jahr älter geworden ist", seufzt Tak Kohyama.

Der Journalist Tak hat mir während der vergangenen Tage bei meinen Recherchen geholfen. Er hat an der Universität Kyoto Deutsch studiert und ist, anders als die meisten Japaner, den Umgang mit Ausländern gewohnt. Tak ist unkompliziert. Immer wieder hat er während der vergangenen Tage mein radebrechendes Japanisch korrigiert.

Der Journalist Tak Kohyama ist zuversichtlich steht unter einem blühenden Kirschbaum (Foto: DW)
Der Journalist Tak Kohyama ist zuversichtlichBild: DW

Mit ihm sitze ich jetzt unter einem Kirschbaum, obwohl die Tokioter Stadtregierung die Bevölkerung vor wenigen Tagen erst gebeten hat, in diesem Jahr die traditionellen Partys unter den Kirschblüten abzusagen. Angesichts der vielen Menschen, die bei Erdbeben und Tsunami ums Leben kamen, sollten die Menschen in Tokio nicht laut feiern, singen und trinken, meint der Bürgermeister der Stadt. Doch viel Gehöhr hat er nicht gefunden, denn wie jedes Jahr sitzen überall Japaner auf blauen Planen unter den Kirschbäumen, trinken Bier, Reisschnaps oder Wein und essen, was sie mitgebracht haben.

Besorgte Anrufe aus dem Ausland

Während der vergangenen Tage bimmelte bei uns beiden fast permanent das Telefon. Beruflich, aber auch privat. Vor allem Tak erhielt viele Anrufe aus den USA, aus England und aus Deutschland: Seine Freunde wollten wissen, wie es ihm geht. Die Deutschen waren immer besorgt und warnten ihn eindringlich vor der Strahlung aus Fukushima. Mit der Zeit sei ihm das fast schon ein bisschen auf die Nerven gegangen, meint Tak: "Ich glaube, in Deutschland haben die Menschen Strahlenallergie, sie sind so sensitiv."

Natürlich habe auch ich mir Sorgen über die Strahlenbelastung gemacht, als ich vor knapp zwei Wochen in Japan ankam. Doch der erste, eigentliche Schock für mich war, dass vieles in Tokio so aussah wie immer. Zwar sind Straßen und Plätze, die vor dem 11. März abends taghell erleuchtet waren, wesentlich dunkler als sonst. Und in vielen Geschäften Wasser nach wie vor Mangelware. Trotzdem gehen die Japaner ihrem Alltag nach: Sie fahren zur Arbeit, gehen ins Kino und ins Restaurant. "Unser Leben ist ganz normal", erklärt Tak. "Ich habe im Fernsehen gesehen, dass ein bisschen Strahlung aus Fukushima kommt. Aber es ist nicht viel, ich glaube nicht, dass man davon sterben kann."

Keine akute Gefahr für die Menschen in Tokio

Als ich Aussagen wie diese bis vor anderthalb Wochen in Deutschland hörte, vermutete ich, dass die Japaner nicht richtig informiert seien. Aber hier vor Ort habe ich einen anderen Eindruck gewonnen. Jedes Mal, wenn ich mich fragte, ob die Strahlung vielleicht doch gefährlich ist, las ich bei verschiedenen Nachrichtenagenturen die Messdaten nach. Meine japanischen Freunde haben mich zusätzlich aus ihren unterschiedlichen Quellen informiert. Und ich habe regelmäßig auf der Homepage japanischer Atomkraftgegner nachgeschaut, die ihre Messwerte aus Tokio im Internet veröffentlichen. Alle Werte zeigen, dass für die Bevölkerung in Tokio keine akute Gefahr besteht.

Essensverkäufer im Yoyogi Park (Foto: DW)
Für das leibliche Wohl ist gesorgt: Essensverkäufer im Yoyigi ParkBild: DW

Abgesehen von den reinen Fakten habe ich auch kulturell verstanden, warum Japaner eher ruhig bleiben. Sie sind von klein auf die ständigen Bedrohungen durch Erdbeben, Taifune, Vulkanausbrüche und Tsunamis gewohnt und sie wissen: mit besonnenem Verhalten überstehen sie die Krise am Besten. Das hat mir fast jeder Gesprächspartner erzählt, und auch Tak empfindet es so: "Natürlich haben alle Angst und sind schockiert, aber solch ein Gefühl zu haben oder in Panik auszubrechen, sind zwei verschiedene Dinge. Panisch zu werden macht keinen Sinn, das hilft gar nicht.“

"Wir machen weiter, irgendwie"

Ein Papierherz hängt an einem Kirschblütenbaum, darauf steht: "Don't worry Japan, luck will come". (Foto: DW)
"Keine Sorge, das Glück kommt zurück" - Botschaft auf einem PapierherzBild: DW

Wie viele Japaner ist Tak zuversichtlich, dass die Regierung und die Betreibergesellschaft Tepco das Atomkraftwerk in Fukushima bald in den Griff bekommen werden. Aber die horrenden Kosten für den Wiederaufbau der zerstörten Region, die geben ihm durchaus zu denken: "Die sind größer als unser jährliches Staatsbudget. Vor dem Erdbeben hat unsere Regierung immer davon gesprochen, dass wir kein Geld haben. Dann ist diese Erdbebengeschichte gekommen. Ich weiß wirklich nicht wie, aber ich glaube, wir schaffen es irgendwie."

'Wir machen weiter, irgendwie', das ist die Einstellung, die viele Japaner haben. Sie hoffen inständig, dass Tepco die Reaktoren endlich wieder kontrollieren kann. Aber unterkriegen lassen sich die Menschen nicht. Alle werden ihren Beitrag leisten, um den Nordosten Japans wieder aufzubauen. Das Land hat eine schwere Zeit vor sich, doch tödlich getroffen ist Japan nicht. 24 Stunden bleiben mir noch in Tokio vor meinem Rückflug nach Deutschland - Zeit, die Stadt noch einmal auf mich wirken zu lassen.

Autorin: Silke Ballweg
Redaktion: Ana Lehmann