"Es ist die Krönung meiner politischen Laufbahn" - Annemarie Renger kommentiert ihre Wahl zur Bundstagspräsidentin
Bundestagpräsidentin Annemarie Renger am 14.12.1972 im Deutschen Bundestag
Mit Politik ist sie groß geworden – und das im doppelten Sinne. Denn Annemarie Renger stammte aus einer Familie mit sozialdemokratischer Tradition und Bindungen, die bis zu Paul Löbe reichten. Insofern kann man sagen, dass ihr ein Weg in die politische Karriere mit in die Wiege gelegt worden war. Und ihre Mitarbeit beim SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher war schließlich das Sprungbrett zu einer Position im Staate, die die „Stuttgarter Zeitung“ am 7. Dezember 1972 zu folgender Überschrift eines ihrer Artikel verleitete: „Eine Frau als zweiter Mann im Staat“. Gemeint war der Vorschlag der SPD-Fraktion, Annemarie Renger zur neuen Bundestagspräsidentin zu wählen. Ein völliges Novum in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Eine Frau an der Spitze des Parlamentes, die bis dato nur den männlichen Abgeordneten vorbehalten blieb!
Eine Frau kämpft für das Selbstbewusstsein der Frauen
Annemarie Renger zusammen mit Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer im Bundeshaus in Bonn Bonn am 2. Dezember 1949
Doch der Weg in eines der höchsten Staatsämter, die die Bundesrepublik zu bieten hatte, führte sie über viele Stationen des Bonner Polit-Zirkus. In den Bundestag wurde Annemarie Renger im September 1953 gewählt – sie gehörte ihm bis 1990 an. Eine der damals wenigen Frauen, die sich in die Politik wagten, Frauen, die damals im Deutschen Bundestag in einer nicht allzu großer Anzahl vertreten waren. Renger war unter anderem Vorsitzende des Bundesfrauenausschusses der SPD. In ihren Memoiren erinnert sie sich an diese Zeit: „Unsere Konzeption im Bundes-Frauenausschuss war, den gesellschaftlichen Veränderungsprozess der Frau Männern und Frauen bewusst zu machen, das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken und sie zur politischen Mitarbeit zu gewinnen.“
Eine beispiellose Karriere
Und in der Tat: Annemarie Renger ging mit gutem Beispiel voran. So etwa 1969 – auf Vorschlag von Heinz Frehsee wurde sie als erste Frau im Kreis der vier parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion gewählt. Und das Ende der Karriereleiter war noch nicht erreicht. Als die SPD bei den Bundestagswahlen 1972 größte Fraktion wurde, sollte sie auch den Bundestagspräsidenten stellen – so ein ungeschriebenes Gesetz noch aus Weimarer Zeit. Nach dem Willen der SPD sollte es diesmal eine Frau werden. Annemarie Renger erinnert sich: „Es gab immer einen Streit, wer nun der erste war, der dies erklärt hatte. Gustav Heinemann und Herbert Wehner wollten das ‚Erstgeburtsrecht’ für sich in Anspruch nehmen.“ Zwei Kandidatinnen wurden für den Posten auserkoren: Annemarie Renger und die Wunschkandidatin von Wehner - Marie Schlei. Letztere verzichtete jedoch bald auf ihre Nominierung, so dass der Wahl Rengers nichts mehr im Wege stand. Ein typischer Kommentar von Wehner: „Dann werden wir das wohl machen müssen.“ Am 13. Dezember 1972 war es so weit: Annemarie Renger wurde als erste Frau und als erste Sozialdemokratin zur Präsidentin des Deutschen Bundestages gewählt. Die Presse kommentierte es mit Schlagzeilen wie: „Der erste weibliche zweite Mann im Staat“ („Frankfurter Rundschau“, 13.12.1972) oder „Die Wiedergutmachung des Männerparlaments“ („Süddeutsche Zeitung“, 14. 12.1972).
DW-Redakteur Hans Wendt sprach am 13. Dezember 1972 mit Annemarie Renger und befragte sie zu ihrer politischen Karriere.
Andreas Zemke
Redaktion: Diana Redlich