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Merkel antwortet nicht

Heiner Kiesel1. August 2013

2000 Kandidaten bewerben sich für einen Platz im deutschen Parlament. Das Webportal "Abgeordnetenwatch" will helfen, sie kritisch unter die Lupe zu nehmen. Nicht immer zeigen die Politiker aber die nötige Transparenz.

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Internet-Seite abgeordnetenwatch.de
Screenshot abgeordnetenwatch.de

Der Überblick ist nicht einfach, wenn es um die Direktkandidaten für die Wahl zum Deutschen Bundestag im kommenden September geht. In den 299 Wahlkreisen zwischen Flensburg und Konstanz kämpfen etwa 2000 Bewerber um einen Platz im Parlament. Um sie kennenzulernen, gibt es für die Wähler zunächst den ganz klassischen Weg: Sie können die Politiker am Info-Stand in der Fußgängerzone oder einer ähnlichen Wahlkampfaktion treffen. Das ist ziemlich aufwendig - zumal es rein rechnerisch fast sieben Kandidaten pro Wahlkreis gibt und neben den Vertretern der 38 Parteien, die sich für die Wahl angemeldet haben, auch viele Einzelkandidaten ins Rennen gehen. Aber es geht auch einfacher: Auf dem Web-Portal von "Abgeordnetenwatch" sind die Bewerber alle nur wenige Klicks entfernt. "Wir bieten die Möglichkeit, diejenigen Politiker ausfindig zu machen, die sich kompetent und authentisch um die Belange der Menschen kümmern", meint Abgeordnetenwatch-Mitbegründer Boris Hekele bei der Freischaltung des Projekts für die Wahl 2013.

Die Website hat für jeden Kandidaten eine Profilseite eingerichtet. Knapp aufgelistet sieht der User die Parteizugehörigkeit, Geburtsdatum und berufliche Qualifikation des Politikers, wo er wohnt und wo er kandidiert. Ein prominenter orangefarbener Button "Befragen" führt zu einem Formular, über das dem Kandidaten konkrete Fragen zu seinen politischen Positionen gestellt werden können. "Wir rechnen in den nächsten zwei Monaten bis zur Wahl mit 7000 bis 10.000 Fragen, die wir an die Kandidaten weiterleiten werden", schätzt Hekele. Er sieht Abgeordnetenwatch auch als vorteilhaft für die Politiker. Die Fragen werden von Moderatoren der Internetplattform gesichtet und dann freigeschaltet. So würden herabwürdigende, rassistische oder unsachliche Beiträge gefiltert und den Befragten eine Menge Arbeit abgenommen. Die Antworten wiederum seien öffentlich und könnten die Zahl von Fragen zum gleichen Thema reduzieren. "Bei der letzten Bundestagswahl lag die Antwortquote bei 80 Prozent", sagt Hekele und deutet das als Zeichen für die hohe Akzeptanz bei den Politikern.

Boris Hekele, Geschäftsführer und Mitbegründer von Abgeordnetenwatch (Foto: Heiner Kiesel)
Boris Hekele will bessere Gesetze gegen Bestechung von AbgeordnetenBild: Heiner Kiesel

Nur Angela Merkel antwortet nicht

Wer eine Frage beantwortet, steht oben auf der Seite und zeigt sich bürgernah und offen. Jürgen Trittin, Kanzlerkandidat der Grünen, macht da offenbar ganz gerne mit. Seine letzte Antwort gibt Auskunft über seine Haltung zu einem früheren Renteneintritt: "Wir haben da einen etwas differenzierenderen Ansatz." Man erfährt, dass Trittins Büro schon 398 von 505 Fragen beantwortet hat. Der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Peter Münstermann aus Düren kommt auf eine Beantwortungsquote von 100 Prozent - allerdings sind dem SPD-Mann auch nur vier Fragen gestellt worden. Ganz anders Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hat noch nie geantwortet - weder auf die 404 Fragen während der letzten Legislaturperiode, noch auf eine der 63 Fragen bei der letzten Bundestagswahl. "Das passt ja auch eher zu Frau Merkel, die Diskussionen eher abwartet, als frühzeitig Position zu beziehen", meint Gregor Hackmack, Mitbegründer und Geschäftsführer von Abgeordnetenwatch. Ihr Büro begründe das damit, dass es schwierig sei, die Antworten bei Frau Merkel zwischen ihren Positionen als Wahlkreisabgeordnete, Bundeskanzlerin und Unionsvorsitzender zu trennen. "Aber bei Finanzminister Schäuble geht das doch auch", wundert sich Hackmack.

Transparenz und Vertrauen schaffen

Die Kandidaten für den Bundestag werden aber auch von Abgeordnetenwatch selbst befragt - und zwar zu ihrer Haltung zur Korruption. Die Betreiber wollten von ihnen wissen, ob sie für ein Gesetz gegen Abgeordnetenbestechung sind, die komplette Veröffentlichung von Nebeneinkünften befürworten und ob sie dafür sind, dass alle Parteispenden über 10.000 Euro sofort veröffentlicht werden müssen. 653 der Kandidaten erklärten, dass sie sich für alle drei Punkte einsetzen wollen, wenn sie gewählt würden. "Ich wünsche mir, dass wir in dieser Frage etwas bewegen, denn es ist eigentlich untragbar, dass es in Deutschland keine strengeren Gesetze gegen Abgeordnetenbestechung gibt", sagt Abgeordnetenwatch-Geschäftsführer Hekele. "Mit der Selbstverpflichtung schaffen die Kandidaten Transparenz und Vertrauen", fügt sein Kollege Hackmack hinzu.

Gregor Hackmack, Geschäftsführer und Mitbegründer von Abgeordnetenwatch (Foto: Heiner Kiesel)
Gregor Hackmack pocht auf eine unabhängige InformationsplattformBild: Heiner Kiesel

Es gibt einige unter den Kandidaten, für die die Seite von Abgeordnetenwatch eine aktiv wahrgenommene Plattform für den eigenen Wahlkampf ist. Für 179 Euro kann sich ein Politiker sogar noch einige Extrafunktionen beifügen lassen - ein Foto und die Verlinkung auf weitere Auftritte im Netz zum Beispiel. "Langfristig wollen wir das aber auch über Spenden finanzieren, damit wir unabhängig bleiben", betont Hackmack. Der Großteil der Finanzierung erfolgt nach Angaben der Macher Hackmack und Hekele über einen Förderverein und eine gemeinnützig orientierte GmbH. Seit der Bundestagswahl 2005 engagiert sich Abgeordnetenwatch für mehr Transparenz im deutschen Politikbetrieb. Auch die Länder des Arabischen Frühlings profitieren inzwischen von der Expertise der Plattform-Betreiber. 2012 reiste Hackmack nach Tunesien und half beim Aufbau des tunesischen Gegenstücks von Abgeordnetenwatch mit.