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Milzbrand - eine vorbildliche Biowaffe

15. Oktober 2001
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FBI fahndet nach MilzbrandBild: AP

Die Insel Gruinard nordwestlich von Schottland ist auf den ersten Blick ein Kleinod der Natur. An manchen Tagen leuchtet sie von fern in allen Farben von blau über hellgrün bis dunkelbraun. Doch die Idylle trügt. Schwarze Kaninchen und jede Menge Ratten scheinen die einzigen Bewohner zu sein. Seit über 50 Jahren lebt keine Menschenseele mehr auf der 200 Hektar großen Insel. Bis zum Ende des zweiten Weltkriegs forschten hier britische Militärs mit Milzbrand. An einem schönen, windstillen Tag brachte ein Schiff Schafe auf die Insel, dann flog ein Flugzeug heran und warf einen Kanister voller Milzbrandsporen ab. Innerhalb von drei Tagen waren alle Schafe tot. Auf der "Basis X", so der geheime Name für die Insel, bastelten die Briten mit Hochdruck an einer Anthrax-Bombe. Nach dem Krieg zogen die Männer in ihren Schutzanzügen wieder ab, zurück blieben die Milzbrand-Bakterien.

Erst 1990 wurde die Insel wieder freigegeben, nachdem der Boden mit 280 Tonnen in Meerwasser aufgelösten Formaldehyd desinfiziert worden war. Das Beispiel der Insel Gruinard zeigt, weshalb Milzbrand als eine der gefährlichsten Biowaffen gilt. Der Erreger, das Bacilus anthracis, ist äußerst widerstandsfähig. Es kann nämlich Sporen bilden, die jahrelang im Boden überleben können. Kommen diese dann wieder mit Blut oder Gewebe in Berührung, erwachen sie zu neuem Leben und entfalten ihre tödliche Wirkung. Milzbrand ist auch im Gegensatz zu anderen B-Waffen leicht handhabbar. Die Erreger müssen nicht in Flüssigkeiten transportiert werden. Mit Hilfe der Sporen lässt sich ein Pulver herstellen, das sogar in Raketen-Sprengköpfen untergebracht werden kann.

Drei Übertragungswege

In natürlicher Form tritt die Krankeit bei Rindern, Schweinen, Schafen und Pferden auf. Erst im Juli waren nach einem Ausbruch des Milzbrand-Bazillus in Kanada Hunderte von Bisons bedroht. Die Mensch kann sich auf drei Wegen infizieren. Die harmloseste und mit Abstand häufigste Form von Milzbrand bricht aus, wenn sich der Mensch über direkten Hautkontakt mit kranken Tieren ansteckt. Dabei wird der Erreger über kleine Verletzungen in der Haut oder im Gesicht aufgenommen. Diese Form trifft vor allem Tierärzte oder Schlachter. An der Infektionsstelle bildet sich ein schwärzlicher, eitriger Milzbrand-Karbunckel. Der Kranke hat Fieber und geschwollene Lymphknoten. Die Heilungschancen sind relativ gut, die Todesrate liegt bei rund 20 Prozent.

Schlimmer ist es, wenn Milzbrand-Erreger über die Lunge eingeatmet oder über verseuchtes Fleisch aufgenommen werden. Dann ist eine Heilung nur möglich, wenn spätestens mit Eintreten der Symptome starke Antibiotika verabreicht werden. Doch es ist nicht leicht Milzbrand im frühen Stadium zu diagnostizieren. Er äußert sich zunächst nur wie eine normale Grippe. Innerhalb weniger Tage verschlechtert sich der Krankheitszustand dramatisch. Blutige Durchfälle und Erbrechen sind die Folge, in diesem Stadium kommt es auch zu einer Schwellung und Verfärbung der Milz (deshalb auch der Name Milzbrand). Nur jede zehnte überlebt.

Effektive Biowaffe

Milzbrand tritt in seiner natürlichen Form äußerst selten auf. In den vergangenen hundert Jahren gab es in den USA lediglich 18 Milzbrandinfektionen bei Menschen, der letzte Fall vor 25 Jahren. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes treten in Deutschland seit den 80er Jahren im Durchschnitt maximal zwei Milzbrand-Fälle pro Jahr auf. Eine Mensch zu Mensch Übertragung kommt so gut wie nie vor.
Dennoch kann sich Milzbrand als effektive Biowaffe nutzen lassen, besonders wenn es als Aerosol versprüht wird und so tief in die Lungen der Opfer gelangt. Schätzungen des amerikanischen Seuchenkontrollzentrums CDC gehen davon aus, dass 100 Kilogramm Milzbrand, versprüht als Aerosol, bis zu drei Millionen Tote verursachen könnte.

Viele Fragezeichen

Dennoch sind diese Zahlen nur Schätzungen, die auf wenigen, direkten Erfahrungen mit Milzbrand beruhen. 1979 kam es in einer Biowaffen-Fabrik in Russland zu einem Unfall. Von den 79 Mitarbeiter, die die Anthrax-Sporen eingeatmet hatten, überlebten nur 68. Unbekannt ist auch die genaue Zahl der Länder, die mit Milzbrand arbeiten. Laut CDC sollen es 1995 siebzehn gewesen sein, darunter Irak, Libyen, Nord- und Südkorea, China und Russland.

Ein Schutz vor Milzbrand durch Frühwarnsysteme ist derzeit sehr unwahrscheinlich. Impfstoffe sind auch nur begrenzt vorhanden. Allein die USA hat ihre Soldaten gegen Milzbrand impfen lassen. Für die Zivilbevölkerung wurde eine solche Impfung bislang noch nicht in Betracht gezogen.

Ob Terroristen im Besitz von Milzbrand sind, darüber kann bislang nur spekuliert werden. Der einzige Terroranschlag mit Anthrax wurde Anfang der neunziger Jahre bekannt. Der Übeltäter damals war die Aum-Sekte. Mit einem Lastwagen fuhren Sektenmitglieder durch Tokio und bliesen über den Auspuff Milzbrand-Erreger in die Luft. Opfer gab es keine. Die Sekte hatte einen falschen Milzbrandstamm verwendet, der zur Herstellung eines Impfstoffes bestimmt war und deshalb harmlos blieb.