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Mordfall Gongadse: Prozessbeginn nicht in Sicht

7. Juli 2005

Fehlt der Ukraine der politische Wille zur Aufklärung des Mordes an dem Journalisten Gongadse? Die Ermittlungen treten offenbar auf der Stelle. Der mutmaßliche Mörder soll sich in Israel aufhalten.

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Ehemaliger DW-Mitarbeiter Georgij Gongadse mit FamilieBild: AP

Erst vor kurzem hatte der Generalstaatsanwalt der Ukraine, Swjatoslaw Piskun, erklärt, im Juli werde der Mordfall Georgij Gongadse einem Gericht übergeben. Ende Juni tauchten Meldungen auf, wonach die Festnahme des Hauptverdächtigen, des verschwundenen ehemaligen Miliz-Generals Oleksij Pukatsch, fast schon sicher sei. Doch Erklärungen hochrangiger Vertreter der ukrainischen Rechtsschutzorgane vom Dienstag (5.7.) klingen jetzt pessimistisch. In ukrainischen Medien hieß es, die im Zuge der Ermittlungen festgenommenen Polizeioffiziere hätten ihre Aussagen widerrufen. Der Leiter der Pressestelle der Generalstaatsanwaltschaft, Oleksij Schewer, wollte diese Medienberichte weder bestätigen noch dementieren. Er sagte: "Solche, man kann sagen, anonyme Meldungen kommentiere ich nicht."

Staatsanwaltschaft wartet auf neues Gutachten

In einem exklusiven Interview mit der Deutschen Welle erklärte unterdessen der stellvertretende ukrainische Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin, das Tempo der Ermittlungen hänge nun von einem neuen kriminologischen Gutachten ab, das in Deutschland erstellt werde. Die Ukraine könne auf den Zeitpunkt der Fertigstellung des Gutachtens keinen Einfluss nehmen.

Aus anderen Quellen liegen der Deutschen Welle Informationen darüber vor, dass am Mittwoch (6.7.) Ermittler bei Georgij Gongadses Mutter, Lesja, eine Blutprobe entnommen haben. Noch immer ist der Kopf des Journalisten, der einer jüngsten Version zufolge nahe der Stadt Bila Zerkva getötet und enthauptet wurde, nicht gefunden worden. Mit der Expertise, die nach Angaben Schokins nun in Deutschland durchgeführt wird, sollen offenbar letzte Zweifel ausgeräumt werden, dass es sich bei dem enthaupteten Leichnam, der in einem Wald bei Kiew gefunden wurde, tatsächlich um Gongadse handelt.

Rücksichtnahme auf Kutschma?

Serhij Taran, Leiter des Instituts für Massenmedien, das in der Ukraine die internationale Organisation Reporter ohne Grenzen vertritt, sagte der Deutschen Welle, zwar zeige das inkonsequente Vorgehen und die inkonsequenten Erklärungen der offiziellen Ermittler, dass man bemüht sei, die Auftraggeber des Mordes an dem Journalisten ausfindig zu machen. Aber das bringe die Rechtsschutzorgane wie auch die gesamte ukrainische Staatsmacht in eine schwierige Lage.

Taran unterstrich: "Oft wird gesagt, wegen des Todes des ehemaligen Innenministers General Krawtschenko und wegen des Verschwindens von Pukatsch sei es unmöglich, die Auftraggeber ausfindig zu machen. Es gibt aber in Wirklichkeit viele Beamte, wie beispielsweise den ehemaligen Generalstaatsanwalt Wasyljew oder die Mitglieder der Ermittlungskommissionen, die befragt werden müssten, von wem sie im Gongadse-Fall Anweisungen erhalten hätten. Dazu braucht man politischen Willen. Dieser Wille könnte aber eingeschränkt sein, aufgrund von Zusagen der ukrainischen Staatsmacht an die internationale Gemeinschaft während der ‚orange Revolution‘ bezüglich Präsident Kutschma - falls er keine Gewalt gegen das eigene Volk anwendet, dann könnte er einer strafrechtlichen Verfolgung entgehen."

Hauptverdächtiger Pukatsch in Israel?

Inzwischen erklärte der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU), Pukatsch, der des Mordes an Gongadse verdächtigt wird, sei nicht ausfindig gemacht worden. Der Fahndungsleiter in diesem Fall, Andrij Koschemjakin, sagte, man sei den Hinweisen auf einen möglichen Aufenthalt Pukatschs in Israel nachgegangen, aber dort habe man ihn nicht gefunden.

Aus dem israelischen Außenministerium, der einzigen Stelle, die den Aufenthalt Pukatschs in Israel zunächst bestätigt hatte, verlautete nun, in dem Fall gebe es nicht den geringsten Fortschritt. Gleichzeitig wurde von der Pressestelle des Außenministeriums bekräftigt, täglich fänden Konsultationen mit der ukrainischen Seite statt, mit dem Ziel, neue Informationen zu erhalten.

Bisher ist unklar, wie Pukatsch, nach dem international gefahndet wird, nach Israel hätte gelangen können. Aus verlässlichen Quellen wurde bekannt, dass bereits seit über zwei Wochen Ermittlungsgruppen des ukrainischen Sicherheitsdienstes und des Innenministeriums verdeckt in Israel nach Pukatsch suchen - bislang erfolglos. Das ist nicht verwunderlich, denn sie fahnden nicht nach einem gewöhnlichen illegalen Einwanderer, sondern nach einem absoluten Profi aus der alten Schule des KGB, der aus Erfahrung weiß, wie und wo man sicher untertauchen kann.

Oleksandr Sawyzkyj/Kiew, Dmytro Kanewskyj/Haifa
DW-RADIO/Ukrainisch, 5.7.2005, Fokus Ost-Südost