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"O sprich, mein Lieb, warum?"

11. April 2004

Im Frühling, da erwacht das Leben - und die Liebe. Aber es ist nicht immer ganz einfach, wenn ER mit IHR und SIE mit IHM ... Lesen Sie ausgewählte Lieblingsgedichte von DW-WORLD-Usern.

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Bild: AP



Von Horst Kurz:

Ich bin im Mai idiotisch erotisch

Ich bin im Mai idiotisch erotisch,

da leg ich mich immer gleich hin.

Da wirkt alles Männliche auf mich hypnotisch,

wenn ich so erotisch bin.

Da sind meine Sinne total von Sinnen,

da bin ich am ganzen Leib Weib.

Da bringt mich der Anblick von Linnen zum Spinnen,

o Trieb, du mein Zeitvertreib.

Um alle Hüften da schwingt sich ein Bändchen,

mein Herz übt den Überschlag.

Auf jede Rundung da legt sich ein Händchen

bei Nacht und am hellichten Tag.

Die alte Erde trägt junges Gemüse,

ein Früchtchen wird frühreif gepflückt.

Es wiederbelebt sich die Hirnanhangdrüse,

vom Zucken des Frühlings entzückt.

(Miriam Frances)

Von Callie:

Das Frühjahr kommt

1

Das Frühjahr kommt.

Das Spiel der Geschlechter erneuert sich

Die Liebenden finden sich zusammen.

Schon die sacht umfassende Hand des Geliebten

Macht die Brust des Mädchens erschauern.

Ihr flüchtiger Blick verführt ihn.

2

Im neuen Lichte

Erscheint die Landschaft den Liebenden im Frühjahr.

In großer Höhe werden die ersten

Schwärme der Vögel gesichtet.

Die Luft ist schon warm.

Die Tage werden lang und die

Wiesen bleiben lang hell.

3

Maßlos ist das Wachstum der Bäume und Gräser

Im Frühjahr.

Ohne Unterlaß fruchtbar

Ist der Wald, sind die Wiesen, die Felder.

Und es gebiert die Erde das Neue

Ohne Vorsicht.

(Bertolt Brecht)

Von Otto Bröchler:

Fünf Frühlingslieder

I

Gekommen ist der Maie,

Die Blumen und Bäume blühn,

Und durch die Himmelsbläue

Die rosigen Wolken ziehn.

Die Nachtigallen singen

Herab aus der laubigen Höh,

Die weißen Lämmer springen

Im weichen grünen Klee.

Ich kann nicht singen und springen,

Ich liege krank im Gras;

Ich höre fernes Klingen,

Mir träumt, ich weiß nicht was.

II

Ich will meine Seele tauchen

In den Kelch der Lilje hinein,

Die Lilje soll klingend hauchen

Ein Lied von der Liebsten mein.

Das Lied soll schauern und beben

Wie der Kuß von ihrem Mund,

Den sie mir einst gegeben

In wunderbar süßer Stund.

III

Sie haben dir viel erzählet,

Und haben viel geklagt;

Doch was meine Seele gequälet,

Das haben sie nicht gesagt.

Sie machten ein großes Wesen

Und schüttelten kläglich das Haupt;

Sie nannten mich den Bösen,

Und du hast alles geglaubt.

Jedoch das Allerschlimmste,

Das haben sie nicht gewußt;

Das Schlimmste und das Dümmste,

Das trug ich geheim in der Brust.

IV

Die Erde war so lange geizig,

Da kam der Mai, und sie ward spendabel,

Und alles lacht, und jauchzt, und freut sich,

Ich aber bin nicht zu lachen kapabel.

Die Blumen sprießen, die Glöcklein schallen,

Die Vögel sprechen wie in der Fabel;

Mir aber will das Gespräch nicht gefallen,

Ich finde alles miserabel.

Das Menschenvolk mich ennuyieret,

Sogar der Freund, der sonst passabel; -

Das kömmt, weil man Madame titulieret

Mein süßes Liebchen, so süß und aimabel.

V

Warum sind denn die Rosen so blaß,

O sprich, mein Lieb, warum?

Warum sind denn im grünen Gras

Die blauen Veilchen so stumm?

Warum singt denn mit so kläglichem Laut

Die Lerche in der Luft?

Warum steigt denn aus dem Balsamkraut

Hervor ein Leichenduft?

Warum scheint denn die Sonn auf die Au

So kalt und verdrießlich herab?

Warum ist denn die Erde so grau

Und öde wie ein Grab?

Warum bin ich selbst so krank und so trüb,

Mein liebes Liebchen, sprich?

O sprich, mein herzallerliebstes Lieb,

Warum verließest du mich?

(Heinrich Heine)

Die Liedtexte aus der Feder von Miriam Frances (*1943) waren es, die 1972 die deutsche Schlagersängerin Mary Roos bekannt machten. Ihr Album "Woraus meine Lieder sind" gilt als sehr erfolgreich.

Bertolt Brecht (1898 bis 1956) wird oft nachgesagt, er sei Kommunist gewesen: Schließlich lebte er nach der Rückkehr aus der Emigration ab 1949 in Ost-Berlin in der DDR. Er selbst verstand sich eher als "marxistischer Gesellschaftskritiker". Zu seinen bekanntesten Werken zählt die "Dreigroschenoper", für die Kurt Weill die Musik komponiert hat.

Heinrich Heine (1797 bis 1856) schrieb nicht nur Gedichte, sondern auch politisch-zeitkritische Schriften. Er gilt als Wegbereiter des modernen Feuilletons. Seine letzten acht Lebensjahre fristete er in seiner berühmt-berüchigten "Matratzengruft".