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Palme in Sicht

20. Mai 2010

Endspurt beim Filmfestival. Für die Highlights der letzten Tage braucht man Sitzfleisch und starke Nerven. Ein deutscher Film ist diesmal nicht im Wettbewerb, aber deutsche Finger stecken in vielen Produktionen drin.

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Zaun beim Filmfestival in Cannes mit Palmenlogo 2009 (Foto: AP)
Bild: AP

Bis jetzt waren sich die Kritiker einig: Mike Leigh staubt diesmal in Cannes die "Goldene Palme" ab. Der britische Regisseur ist mit "Another Year" im Rennen um den besten Film, ein intensiver ruhiger Film über ein verheiratetes Paar in London. Am Mittwoch hat Leigh dann aber starke Konkurrenz bekommen, den französischen Film "Des hommes et des dieux" von Xavier Beauvois. Es geht um algerische Mönche, die von muslimischen Islamisten getötet werden, der Film basiert auf einem wahren Fall von 1996.

Intensive Arbeit aus Frankreich

Szenenfoto 'Des hommes et des dieux' von Xavier Beauvois (Foto: Why not Productions/ Armada Films)
Die Mönche des algerischen Bergdorfes...Bild: Why Not Productions, Armada Films, France 3 Cinéma

Die genauen Umstände und politischen Hintergründe werden allerdings ausgeblendet. Er habe sich vor allem dafür interessiert, wer diese Männer waren, sagte Regisseur Beauvois auf der Pressekonferenz zur Premiere in Cannes. Das gelingt ihm und zwar besonders ergreifend. Er zeigt den bescheidenen Alltag der Mönche im nordafrikanischen Atlas-Gebirge und wie sie in ihrem Bergdorf in Harmonie mit den Muslimen leben. Und er zeigt, dass die Mönche keine Helden waren, sich aber entscheiden mussten, ob sie bleiben oder gehen, als es um sie herum immer öfter zu islamistischen Anschlägen kommt. Sie bleiben. Ein berührender Film.

Terroristischer Medienstar

Auch der Film "Carlos" beruht auf einer wahren Geschichte. Er lief allerdings außer Konkurrenz, vielleicht weil man der Jury nicht so viel platt gesessene Popos zumuten kann. "Carlos" ist ein fünf Stunden dauernder Film über den Mann, den man 20 Jahre lang gesucht hat: den venezolanischen Terroristen Ilich Ramírez Sánchez, besser bekannt als "Carlos, der Schakal". Eine Geschichte aus der Steinzeit des internationalen Terrorismus. Der Film beginnt 1973, als Carlos eine Serie von Anschlägen in London verübt und endet 1994 mit seiner Verhaftung in Khartum. Der französische Regisseur Olivier Assayas rekonstruierte Carlos Leben anhand von Artikeln und Büchern über den Terroristen, der so etwas wie der erste Medienstar seiner Branche war. So authentisch wie möglich noch bis in die letzte Einstellung. Die Presse urteilt: wenig reißerisch, ganz gut, nicht romantisierend.

Filmstill aus Life Above All, von Oliver Schmitz. Titel auf Französisch: Le secret de Chanda (Foto: ARP Selection)
...Chanda in Südafrika...Bild: ARP Selection

Koproduziert wurde der Film übrigens von einer deutschen Firma, gedreht wurde dafür unter anderem in Halle, Leipzig und Naumburg und deutsche Schauspieler sind in tragenden Rollen zu sehen. Tragende Filme haben die Deutschen diesmal allerdings nicht im Wettbewerb um die Goldene Palme, aber in 18 Produktionen haben sie ihre Finger drin. Am Dienstag wurde zum Beispiel ein deutscher Film bejubelt, der in Cannes in der Nebenreihe "Un certain regard" antritt: "Life, Above All". Regisseur Oliver Schmitz erzählt darin die Geschichte der zwölfjährigen Chanda, die nach dem Tod ihrer Schwester in einem Dorf in Südafrika gegen böse Gerüchte, Aberglauben und Vorurteile kämpfen muss.

Trostloses Roadmovie

Schastye Moe von Sergei Loznitsa (Foto: FORTISSIMO FILMS)
...und Georgy aus der Ukraine...sie alle waren in Cannes zu sehenBild: Fortissimo Films

Deutsche Fördermittel stecken auch in dem Wettbewerbsbeitrag "Mein Glück" von Sergei Loznitsa, ein Ukrainer, der seit Jahren in Deutschland lebt. Der Film beginnt als Roadmovie, entwickelt sich dann aber zu einem Sozialdrama mit extrem grotesken Elementen. Der Lastwagenfahrer Georgy verfährt sich auf einer seiner Touren und strandet im russischen Nirgendwo. Die Dorfbewohner spielen ihm übel mit und plötzlich ist er mitten in das Leben der Gemeinschaft verstrickt. Jede der Geschichten, in die er verwickelt ist, nimmt die schlimmste denkbare Wendung. Spaß ist das nicht, da brauchen Zuschauer entweder schwarzen Humor oder ein starkes Gemüt. "Mein Glück" wird allerdings zu den Favoritenfilmen gezählt.

Verzwicktes mit Juliette

Ein bisschen Starglanz gab es dann noch durch die französische Schauspielerin Juliette Binoche und den Film "Beglaubigte Kopie". Ein Werk des iranischen Regisseurs Abbas Kiarostami. Er hat in Cannes vor über zehn Jahren schon mal eine Goldene Palme für einen seiner Filme gewonnen, diesmal tritt er mit einer Geschichte über eine Kunstsammlerin in der Toskana an, die auf einen englischen Schriftsteller trifft, mit dem sie sich durch den Tag treiben lässt. Sie reden viel, philosophieren über das Leben und tun nach einer Weile so, als seien sie ein Paar. "Verzwickt und ermüdend" urteilten Kritiker.

Überhaupt seien die meisten Filme des Festivals bis jetzt sehr deprimierend. Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb "Die Beiträge des Wettbewerbs sind weiterhin von einem Pessimismus durchzogen, den man kaum noch beschreiben kann, ohne in tägliche Redundanz zu verfallen." Aber einer wird gewinnen. Am Samstag. Auch Pessimisten gewinnen nämlich Preise.

Autorin: Marlis Schaum (dpa/epd)

Redaktion: Cornelia Rabitz