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Droht nun das Ende des Sozialstaates?

Tilo Wagner9. April 2013

Es wird eng um Portugal. Das Land braucht dringend Finanzhilfen. Dafür hat sich die Regierung in Lissabon zu harten Sparzielen verpflichtet. Die Menschen sind besorgt - die Wut gegen das Spardiktat wächst.

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Proteste in Lissabon gegen das Sparprogramm der Regierung (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Vor dem Krankenhaus "Santa Maria" in Lissabon herrscht reges Treiben. Bis zu 800 Patienten finden sich tagtäglich in der größten Notaufnahme des Landes ein. In dem achtstöckigen Gebäude aus den 1950er Jahren arbeiten fast 7000 Beschäftigte, darunter auch Beatriz Días. Die angehende Ärztin befürchtet, dass neue Einschnitte im portugiesischen Gesundheitssystem schwerwiegende Folgen für die Patienten haben könnten: "Unser Land steckt schon seit einigen Jahren in der Krise und das wird jetzt noch schlimmer. Es fehlt sogar schon an der Grundausstattung. In der Onkologie können wir nicht mehr jedem Krebskranken garantieren, dass wir ihn behandeln können", sagt Días.

Premierminister Pedro Passos Coelho hat vergangenen Sonntag (07.04.2013) zusätzliche Budgetkürzungen im Gesundheitsbereich und im Sozialwesen angekündigt. Die konservative Regierung muss 1,2 Milliarden Euro auftreiben, um ein neues Haushaltsloch zu stopfen. Denn das portugiesische Verfassungsgericht hatte am Wochenende entschieden, dass die von der Regierung angestrebten Gehaltskürzungen bei Rentnern und öffentlichen Angestellten nicht verfassungskonform seien.

Das Krankenhaus Santa Maria in Lissabon Portugal (Foto: DW/Tilo Wagner)
Das Krankenhaus "Santa Maria" in Lissabon: Wenn Krise krank machtBild: DW/T.Wagner

Portugal spart sich tot

Im Auftrag der portugiesischen Regierung hat die Troika aus Europäischer Union, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank einen Vorschlag erarbeitet, wie die Staatsausgaben jährlich um rund vier Milliarden Euro gesenkt werden können. Auch der Bildungssektor muss sich auf neue Einschnitte einstellen. Das Jahresbudget der Hochschulen ist bereits um zehn Prozent gesenkt worden.

Auf dem Campus der Universität Lissabon steht Daniel Bonga und schüttelt mit dem Kopf: "Wenn weiter so an den Universitäten gekürzt wird, leidet die Qualität der Studiengänge", sagt der Student. "Wenn wir aber ein schlechtes Bildungssystem haben, dann gibt es bald gar keinen Ausweg aus der Krise." Führende Interessensverbände haben bereits angekündigt, die Bevölkerung zu Massenprotesten gegen den Abbau des Sozialstaates zu mobilisieren.

Daniel Bonga ist Masterstudent an der Uni Lissabon (Foto: DW/Tilo Wagner)
Daniel Bonga: "Bildung ist der Ausweg aus der Krise"Bild: DW/T.Wagner

Über eine umfassende Staatsreform diskutiert Portugal seit mehreren Monaten. João César das Neves, Wirtschaftsprofessor an der Katholischen Universität Lissabon, glaubt, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichtes der Regierung sogar helfen könnte: "Anstatt der kurzfristigen Gehaltskürzungen, die sich relativ leicht umsetzen lassen, muss die Regierung jetzt ans Eingemachte. Sie muss sich gegen die mächtigen Interessensverbände durchsetzen, um das System zu erneuern." Glücklicherweise wolle die Regierung keine Steuern erhöhen, denn das wäre zum jetzigen Zeitpunkt fatal. "Und wenn sie wirklich anfängt, an den richtigen Stellen zu kürzen, kann Portugal davon nur profitieren", sagt der Wirtschaftsprofessor.

Sozialisten fordern Neuwahlen

Der Zeitpunkt für eine kräftezehrende Staatsreform ist jedoch denkbar schlecht. Zwar verfügt die Mitte-Rechts-Koalition über eine komfortable Mehrheit im Parlament und hat in den vergangenen Tagen wiederholt die Rückendeckung von Staatspräsident Cavaco Silva erhalten. Doch neben dem Widerstand der Gewerkschaften, linksradikalen Parteien und den Interessensverbänden muss die Regierung die Staatsreform auch gegen den Willen der gemäßigten Sozialisten durchsetzen. Die größte Oppositionspartei im Parlament fordert nämlich Neuwahlen. Damit zerbricht auch das unausgesprochene Bündnis der gemäßigten politischen Parteien in Portugal, die sich bisher dem Spar- und Reformprogramm der Troika verpflichtet gefühlt haben. Schuld daran sei vor allem die Mitte-Rechts-Koalition, sagt der Politologe Pedro Adão e Silva: "Die Regierung hat die Sozialisten von Beginn an auf Distanz gehalten. Das war ein Fehler. Denn sie hätte die Sozialisten miteinbeziehen müssen, vor allem bei den Nachverhandlungen über das Programm der Troika."

Wirtschaftsprofessor Neves von der Katholischen Universität Lissabon (Foto: DW/Tilo Wagner)
Wirtschaftsprofessor Joao Cesar das NevesBild: DW/T.Wagner

Massiver Stellenabbau

Die EU-Kommission und die deutsche Bundesregierung haben betont, dass Portugal das fehlende Geld in den Staatskassen unbedingt auftreiben muss. Erst dann würde die nächste Tranche aus dem 78 Milliarden Euro schweren Rettungspaket, das Portugal vor zwei Jahren ausgehandelt hatte, fließen. In den kommenden Tagen wird die Troika in Lissabon erwartet. Das Ziel ist, gemeinsam mit der portugiesischen Regierung Lösungen für die schwierige Lage auszuarbeiten.

Pedro Passos Coelho am rednerpult (Foto: REUTERS)
Pedro Passos Coelho unter DruckBild: Reuters

Im Zuge der bevorstehenden Staatsreform könnten über 100.000 Angestellte der öffentlichen Verwaltung ihren Arbeitsplatz verlieren. Ob die Reform gelingt, hängt aber auch von den Verfassungsrichtern ab, die gerade gegen das Budget der Regierung entschieden haben. "Sobald die Staatsreform auf den Weg gebracht wird, werden wieder Klagen beim Verfassungsgericht eingereicht werden", sagt Wirtschaftsfachmann Neves. "Und wenn das Verfassungsgericht auch die Reform in Teilen ablehnt, dann wird sich die Krise sehr verschärfen. Ich hoffe, die Richter begreifen, dass wir wirklich eine tiefgreifende Veränderung brauchen, damit wir endlich wieder frei leben können."