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Rat- und tatlose EU

Bernd Riegert, zurzeit Maastricht4. September 2004

Entsetzen über das Geiseldrama ja, handeln nein: Die Haltung der Europäischen Union zum Tschetschenien-Konflikt ist schon lange passiv. Zu wichtig ist Russland als Partner - politisch und wirtschaftlich.

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Auch Außenminister müssen sich informierenBild: AP

Hilflos zuckte der niederländische Außenminister Bernhard Bot mit den Achseln als er die Fernsehbilder vom blutigen Ende des Geiseldramas in Russland auf dem Fernsehschirm sah. "Wir können nichts tun, wir können ja nicht Truppen schicken oder so etwas. Das ist eine russische Angelegenheit", so der Niederländer beim informellen EU-Außenministergipfel in Maastricht (3./4.9,2004). Rat- und Tatenlosigkeit prägt auch seit Jahren die Haltung der Europäischen Union (EU) zum Konflikt in Tschetschenien.

Nicht nachgeben

Die Menschenrechtsverletzungen russischer Soldaten und tschetschenischer Separatisten werden in schöner Regelmäßigkeit auf den Gipfeltreffen der Union und vom Europäischen Parlament verurteilt. Immer wieder wird gebetsmühlenartig eine "poltische Lösung" gefordert, von der aber niemand weiß, wie sie aussehen soll. Angesichts der bislang unvorstellbaren Unmenschlichkeit der Terroristen spricht Bundesaußenminister Joschka Fischer jetzt resignierend davon, dass eine politische Lösung des Tschetschenien-Problems extrem schwierig werde, denn der russische Präsident Wladimir Putin könne den Terroristen auf keinen Fall in irgendeiner Form nachgeben.


Erst Ende August hatte die EU-Kommission in Brüssel die Präsidentenwahlen in Tschetschenien als unfair und unfrei gebrandmarkt, im Gegensatz zu Bundeskanzler Gerhard Schröder, der am Tag zuvor keine größeren Unregelmäßigkeiten feststellen konnte. Das zeigt, dass die EU keine einheitliche Position hat. Auch der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte vor einem Jahr Präsident Putins harte Hand in Tschetschenien verteidigt. Für seine Äußerungen, die wohlfeilen Deklarationen der EU-Außenminister widersprachen, wurde er gerüffelt.

Persönliche Beziehungen

Ihren Worten hat die EU nie viele Taten, sprich politischen Druck auf Russland, folgen lassen. Die Beziehungen zum strategisch und wirtschaftlich wichtigen Nachbarn sollten nicht belastet werden. Russland, das mit der EU durch ein spezielles Partnerschaftsabkommen verbunden ist, wird nicht nur von der deutschen Wirtschaft als riesiger Markt betrachtet. Es ist einer der wichtigsten Energielieferanten für Europa. Bundeskanzler Schröder und Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac setzten lieber auf ihre guten persönlichen Beziehungen zum russischen Präsidenten und hofften, dass er das Tschetschenien-Problem irgendwie in den Griff bekommen würde.

Vermittlung oder Einmischung durch die Europäische Union hatte sich Putin stets verbeten. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 deklarierte Putin die Kämpfe in Tschetschenien als Kampf gegen den Terror, gegen den niemand etwas einwenden könne. In der Tat betätigen sich in Tschetschenien offenbar viele islamistische Terrorgruppen aus dem Ausland.

Moskau setzte sich durch

Einige europäische Länder haben Flüchtlinge und Asylbewerber aus Tschetschenien aufgenommen. Dies brachte ihnen den russischen Vorwurf ein, sie unterstützten indirekt die Terroristen, die sich über Verwandte und Netzwerke im Ausland mitfinanzierten. Als 2002 der Weltkongress der Auslandstschetschenen in Dänemark tagte, kam es zum Eklat. Russland weigerte sich an einem Gipfeltreffen mit der EU in Kopenhagen teilzunehmen. Das Treffen wurde nach Brüssel verlegt.

Die Europäische Union wird weiter auf eine Zusammenarbeit mit Russland setzen müssen. Klare Vorstellungen für eine politische Lösung gibt es nicht, was auf der Außenministertagung in Maastricht (3./4.9.2004) noch einmal deutlich wurde. Nach der schrecklichen Geiselkatastrophe von Beslan "ist es jetzt nicht die Zeit, sich mit den Einzelheiten zu befassen" und mit Russland über Tschetschenien zu verhandeln, so Außenminister Fischer.