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Direkte Demokratie

29. Dezember 2006

Angesichts von Politikverdrossenheit auf Rekordniveau spricht sich der SPD-Bundestagsvizepräsident für mehr direkte Mitbestimmung aus. Die Union lehnt ab und fordert stattdessen eine längere Legislaturperiode.

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Bundstagsvizepräsident Wolfgang Thierse
Thierse fordert mehr direkte DemokratieBild: picture-alliance/ ZB

SPD und Union sind weiter uneins über die Einführung von Elementen direkter Demokratie auf Bundesebene. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) sprach sich am Freitag im Bayerischen Rundfunk für mehr direkte Demokratie in Deutschland aus. Volksbegehren und Volksentscheide seien zwar kein Ersatz für die repräsentative Demokratie, aber eine Ergänzung, sagte der SPD-Politiker am Freitag (29.12.206) im Bayerischen Rundfunk. "Ich bin sehr entschieden dafür", betonte er. "Wir sollten diesen Schritt endlich tun." Bislang sei eine entsprechende Verfassungsänderung jedoch immer an der Union gescheitert.

Norbert Lammert im Bundestag
Traut den Bürgern keinen verantwortungsvollen Volksentscheid zu: Bundestagspräsident Norbert Lammert (Archivbilder)Bild: AP

Bundestagspräsident Norbert Lammert lehnte dagegen Plebiszite auf Bundesebene ab. "Wohl keine der großen politischen Richtungsentscheidungen beim Aufbau der Bundesrepublik Deutschland wäre so zu Stande gekommen", sagte der CDU-Politiker dem Nachrichtenmagazin "Focus" laut Vorabmeldung. Dies gelte beispielsweise für die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft, die Gründung der Bundeswehr, die Ostverträge und den NATO-Doppelbeschluss. Ähnlich sei es bei der Gesundheitsreform: "Würde man fragen, ob das Gesundheitssystem verändert werden oder so bleiben soll wie es ist, muss man am Ausgang eines solchen Plebiszits wohl keinen Zweifel haben."

"Mehr Nähe zum Bürger"

Stattdessen sprach sich Lammert für eine Verlängerung der Legislaturperiode des Bundestages von vier auf fünf Jahre aus. Die SPD hat diesen Schritt jedoch vom Ausbau plebiszitärer Elemente auf Bundesebene abhängig gemacht.

Thierse betonte, Politiker müssten versuchen, nah an den Bürgern zu sein und in ihren Wahlkreisen zeigen, dass sie einer von ihnen seien. Die Politik- und Demokratiemüdigkeit der Bevölkerung sei auch eine Folge des Streits über die Gesundheitsreform und des Widerstands der CSU. "Wer soll das verstehen, dass jemand, der den Kompromiss feierlich mitverkündet hat, jetzt plötzlich ganz heftig sagt: alles ganz schlecht."

Vier von fünf Deutschen für Plebiszite

Nach einer Forsa-Umfrage tritt eine überwältigende Mehrheit von 80 Prozent der Deutschen für die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden auch in der Bundespolitik ein. Die Forderung nach direkter Demokratie wird von den Anhängern aller Parteien mit großer Mehrheit geteilt. Dieser Wunsch reflektiert offenbar auch die Kluft zwischen Politik und Bevölkerung, die Ende dieses Jahres so groß wie nie zuvor war.

Der Forsa-Umfrage zufolge glauben 82 Prozent der Bundesbürger, dass die Politiker "auf die Interessen des Volkes keine Rücksicht" nehmen. In Ostdeutschland beträgt dieser Anteil sogar 90 Prozent. Mit dem politischen System, wie es im Grundgesetz festgelegt ist, sind 36 Prozent der Deutschen unzufrieden, mit dem tatsächlichen Funktionieren des Systems 61 Prozent, heißt es in der am Mittwoch veröffentlichten Umfrage im Auftrag des Magazins "Stern". (rri)