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Villepin kämpft um seine Zukunft

Andreas Noll21. März 2006

Der Druck auf die französische Regierung nimmt weiter zu. Gewerkschaften und Studentenverbände einigten sich auf einen vierten Protesttag. Einen Generalstreik wird es allerdings vorerst nicht geben.

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Schulbesetzung in MarseilleBild: AP
Studentenstreik in Frankeich Abstimmung Studenten
Studenten in Toulouse stimmen für den StreikBild: AP

Angespornt durch die Mobilisierung von Hunderttausenden Franzosen am vergangenen Wochenende suchen die Gewerkschaften mit einem vierten nationalen Aktionstag, der am kommenden Dienstag (28.3.2006) stattfinden soll, die Konfrontation mit der Regierung. Doch die von den Studenten und ihren Unterstützern ultimativ geforderte Rücknahme des Arbeitsvertrages zur Erstanstellung lehnt Premierminister Dominique de Villepin weiterhin ab. Staatspräsident Jacques Chirac fordert Verhandlungen: "Die Aufgabe, die in den kommenden Tagen auf uns wartet, ist, einen vertrauensvollen und konstruktiven Dialog zu beginnen", sagte Chirac. "Auf diesem Weg kann der Arbeitsvertrag für Berufseinsteiger verbessert werden."

Gefahr für Villepin

Der Arbeitsvertrag für Berufseinsteiger ist der sichtbare Anlass für die schon vor Wochen angelaufenen Proteste. Er bietet Unternehmern unter anderem die Möglichkeit, unter 26-Jährige mit einer zweijährigen Probezeit einzustellen und sie jederzeit ohne Angabe von Gründen zu feuern. Premierminister Villepin spricht von einer notwendigen Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und hat dabei vor allem die schlecht ausgebildeten Jugendlichen in den Banlieues im Blick. Doch nicht in diesen Vierteln mit zum Teil mehr als 40 Prozent Arbeitslosigkeit wurde das Gesetz als Kriegserklärung aufgenommen, sondern bei der Studentenschaft. "Unser Protest ist eine Kampfansage an eine aggressive Politik. Wir kämpfen gegen eine Politik in Frankreich, die den sozialen Frieden zerstören will", sagt etwa die 18-jährige Pariser Psychologie-Studentin Barbara. "Wir wenden uns gegen einen zügellosen Kapitalismus, der uns kaputt macht."

Frankreichs Premier Dominique de Villepin mit Studenten Studentenstreik
Villepin bei einem Treffen mit StudentenBild: AP

Für Villepin, der im kommenden Jahr gerne Staatspräsident Chirac beerben würde, ist der Protest gefährlich. Er muss um sein politisches Überleben bangen, spätestens seit die linke Opposition und die Gewerkschaften die Studenten unterstützen. Dem Premierminister bleiben dabei wenige Optionen: Folgt er dem Vorbild seiner Vorgänger und gibt dem Druck der Straße nach, riskiert er den Gesichtsverlust. Ein stures Festhalten an der Reform würde dagegen einen tiefen Keil zwischen Regierung und Volk treiben und der Opposition weiter Auftrieb verleihen. Fast zwei Drittel der Franzosen sprechen sich für die schnelle Rücknahme des bereits vom Parlament beschlossenen Gesetzes aus.

Eilverfahren ohne Diskussionen

Villepin ist innerhalb weniger Wochen in ein Popularitätstief gestürzt. Dass es soweit gekommen ist, habe er sich aber selbst zuzuschreiben, sagt der Pariser Politikwissenschaftler Michel Wieviorka. Ohne Konsultation der Sozialpartner habe Villepin sein Projekt im Eilverfahren durchs Parlament geschleust und dabei die Stimmung in der Bevölkerung völlig unterschätzt. "Wir sehen eine in allen Bereichen völlig verunsicherte Gesellschaft: verunsichert über sich selbst, das Land und die Rolle in der Welt, ihre Fähigkeit Perspektiven zu entwickeln und Beschäftigung zu schaffen", sagt Wieviorka. "Und bei den Studenten gibt es das weit verbreitete Gefühl: man studiert ohne Garantie auf einen adäquaten Job." Da das Gesetz nur für junge Arbeitnehmer gelte, sagten sich viele: "Wir als junge Generation werden schlechter behandelt als die Alten? Das ist völlig ungerecht!"

Anders als die Bilder der Massendemonstrationen vermitteln, herrscht unter den Studenten indes keinesfalls Einigkeit darüber, wie weit der Kampf gegen die Reform gehen soll. Je näher die Prüfungstermine rücken, desto lauter wird auch der Protest gegen die Besetzung der Fakultäten. In den Generalversammlungen mehren sich die kritischen Stimmen. "Seit einem Monat haben wir keine Veranstaltungen mehr und da haben sich schon zu viele Kurs-Ausfälle angehäuft", klagt eine Studentin. "Das Jahr ist praktisch futsch und wir werden gegenüber den nicht streikenden Unis heruntergestuft. Diesen Nachteil können wir auch dann nicht mehr ausgleichen, wenn wir die ausgefallenen Kurse selbst im Sommer nachholen."

Hoffen auf eine Spaltung der Studenten

Auf diesen Effekt könnte auch die Regierung hoffen, zunächst setzt der angeschlagene Premierminister aber auf Verhandlungen. Mit kleinen Korrekturen versucht er Luft aus den Protesten zu nehmen. Nach einem Gespräch mit Villepin am Montag sprachen sich Wirtschaftsvertreter dafür aus, die im Gesetz vorgesehene zweijährige Probezeit freiwillig auf ein Jahr zu reduzieren. Den Gewerkschaften reicht dieses Angebot aber nicht, am 28. März wollen sie wieder zusammen mit den Studenten auf die Straße gehen.

Mehr als die Hälfte 84 Universitäten im Land ist mittlerweile von Streikmaßnahmen betroffen. Unterrichtsausfälle wegen der Proteste melden auch mehr als 300 Gymnasien. Der Blick in die Geschichtsbücher gibt Villepin zudem keine gute Prognose für die kommenden Auseinandersetzungen. In den letzten 20 Jahren scheiterten sämtliche Versuche von Regierungen, gleich welcher Couleur, den Staat gegen den Widerstand von Lehrern, Studenten und Schülern zu reformieren. In der Folge des Mai 1968 fegte der Protest der Straße sogar Republikgründer General de Gaulle aus dem Elysée-Palast.

Doch historische Vergleiche haben ihre Grenzen. "Etwas übertrieben kann man formulieren, dass die Mobilisierung der Studenten heute genau aus dem Gegenteil vom Mai 68 geschieht", sagt der Politikwissenschaftler Wieviorka. "Heute wollen die jungen Menschen um jeden Preis das bestehende Sozialsystem und seinen Schutz erhalten - vor 40 Jahren wollte man die Gesellschaft von Grund auf verändern."