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Vojvodina zwischen den Fronten

29. September 2011

Multi-ethnisch ist die serbische Provinz Vojvodina. Das Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen dort ist friedlich - meistens. Denn immer wieder entfachen extremistische Gruppen ethnische Auseinandersetzungen.

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Graffiti in Temerin (Foto: DW-Korrespondent Dinko Gruhonjic)
"Die Ungarn sollen nach Ungarn", steht auf einer Wand in TemerinBild: DW

In der serbischen Provinz Vojvodina leben neben einer Mehrheit von Serben seit langer Zeit auch Ungarn, Slowaken und Kroaten als anerkannte Minderheiten. Das Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen gestaltet sich im Grunde friedlich. Alle Minderheiten sind im Parlament der Vojvodina vertreten. Sie sind Teil des politischen und kulturellen Lebens der serbischen Provinz. Doch trotzdem kam es auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.

Der aktuellste Fall ereignete sich vor wenigen Tagen in der serbischen Kleinstadt Temerin: Dort kam es zu einer Schlägerei zwischen fünf serbischen und 15 ungarischen Jugendlichen. Die betrunkenen ungarischen Schläger griffen die fünf Jugendlichen mit Metallstangen und Ketten an und verprügelten sie. Die jungen Serben waren an dem Wochenende auf dem Nachhauseweg von einer Feier. Vermutet wird, dass die Angreifer Mitglieder einer extremistischen Organisation namens "Jugendbewegung der 64 Komitate" seien. Die Wahl des Namens dieser aus Ungarn stammenden Organisation bezieht sich auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Damals war Ungarn dreimal so groß und in 64 Verwaltungsbezirke, heute "Komitate" genannt, aufgeteilt.

Nach der Schlägerei unter den Jugendlichen in Temerin berichteten die Medien Anfang der Woche über einen zweiten Vorfall. Dabei wurde das ungarische Kulturzentrum in der Stadt Novi Sad zerstört. Das an dem Gebäude befestigte Schild mit der Aufschrift der Stadt in ungarischer Sprache wurde übermalt.

Graffiti in Temerin (Foto: DW-Korrespondent Dinko Gruhonjic)
"Serbien den Serben", ist auch auf Temerins Wänden zu lesenBild: DW

Wenn die Spannung steigt

Diese Fälle erregten nicht nur die öffentliche Aufmerksamkeit, sondern entfachten auch Diskussionen über die Beziehungen der verschiedenen Volksgruppen in der Vojvodina. Die Politik-Expertin und Journalistin Zsuzsana Szerencses sieht einen Zusammenhang zwischen den Vorfällen in der serbischen Provinz, der Situation auf dem Kosovo und anstehenden Wahlen.

"Immer wenn die politische Situation in Serbien angespannt oder frustrierend ist, gibt es einen Zuwachs an diversen Vorfällen, vor allem auf nationaler Basis", sagt Szerencses. Die Situation in Serbien ist in den letzten Wochen turbulent: Gewaltausbrüche auf dem Kosovo und geplatzte Dialoge in Brüssel.

Szerencses kann nicht fassen, dass extremistische Gruppen, so wie die "Jugendbewegung der 64 Komitate" noch nicht verboten wurden. "Ich habe den Eindruck, dass es vermieden wird, einige extremistische Organisationen zu verbieten", sagt die Journalistin. Schon 2005 hat das Parlament der Provinz Vojvodina ein Verbot extremistischer Gruppierungen gefordert. Bisher ist jedoch nichts passiert.

Temerin – ein Spiegelbild der Vojvodina

Vladimir Ilić von dem Zentrum für die Entwicklung von Zivilgesellschaft behauptet, dass die Gemeinde Temerin ein Spiegelbild für die gesamte Provinz sei. "Temerin spiegelt die Situation in der ganzen Vojvodina wider. Temerin ist von den insgesamt 45 Gemeinden die heikelste. Wenn dort die interethnische Situation stabil ist, dann wird sie überall so sein", sagt er.

Die Stadt Temerin sei ein Ort der ethnischen Differenzen, der in drei Gebiete aufgeteilt sei, sagt Ilić: "Es gibt einen Teil, in dem es sehr gefährlich ist in der Öffentlichkeit ungarisch zu sprechen, ein zweiter Teil, in dem die ungarische Sprache in der Öffentlichkeit im Grunde akzeptiert wird und ein dritter, wo die ungarische Sprache ruhig in der Öffentlichkeit gesprochen werden kann." Ilić findet auch, dass die ethnischen Differenzen vor allem in den öffentlichen Verkehrsmitteln sichtbar sind. "Im Bus merkt man sofort, wer mit wem kommuniziert und nicht kommuniziert, und wie die Leute darauf achten, wenn sie kommunzieren, nur in ihrer Muttersprache zu sprechen", sagt Ilić.

Ein Straßenschild in serbischer und ungarischer Sprache in Temerin (Foto: DW-Korrespondent Dinko Gruhonjic)
Ungarisch und Serbisch im Straßenbild von TemerinBild: DW

Meist friedliches Zusammenleben

Mit 14 Prozent der Bevölkerung stellen die Ungarn die größte Minderheit in der Vojvodina dar. Sie sind größtenteils integriert, engagieren sich in Politik, Wirtschaft und Kultur. Im Parlament der Vojvodina sind die Minderheiten vertreten, Führungspositionen werden immer auch von Ungarn, Slowaken und anderen Minderheiten besetzt. Zu Hause sprechen die ungarischen Familien ihre Muttersprache und Kinder werden in ungarische Schulen angemeldet.

Per Gesetz steht jeder Minderheit in der Provinz Vojvodina Bildung in ihrer Muttersprache zu. Schließlich machen die Minderheiten ein Drittel der Bevölkerung aus. Aus diesem Grund gibt es eigene Gymnasien und Hochschulen für Ungarn, Slowaken oder andere Minderheiten. Trotzdem gibt es auch jene, die alles andere als integriert und friedlich sind. Diese Gruppierungen mit Neigungen zu neonazistischen Ideologien sind in der Vojvodina eine Seltenheit und haben nur wenige Sympathisanten. Trotzdem sind sie aktiv und sorgen für Aufruhr, so wie in den letzten Tagen.

Autor: Dinko Gruhonjić / Tanja Spanovic
Redakteur: Blagorodna Grigorova