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Vom Musterknaben zum Sorgenkind

Susanne Steffen

Japan galt lange als Musterbeispiel für eine erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik. Doch die Zeiten lebenslanger Jobs und niedriger Arbeitslosenraten sind auch in der zweitgrößten Wirtschaftsnation der Welt vorbei.

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Per PC zum neuen JobBild: AP

Nach zehn Jahren Rezession schreibt das einstige Wirtschaftswunderland Japan einen Negativrekord nach dem anderen in Sachen Arbeitslosigkeit. Im vergangenen Dezember hatte die Arbeitslosenrate 5,6 Prozent erreicht – den höchsten Stand seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Mehr als 3,3 Millionen Menschen sind derzeit ohne Arbeit. Experten rechnen auch in Zukunft mit neuen Hiobsbotschaften vom Arbeitsmarkt, da tausende Unternehmen kurz vor dem Bankrott stehen. Die Regierung schätzt, dass nur rund ein Prozent der Arbeitslosenrate auf die gegenwärtig düstere Konjukturlage zurückzuführen ist, der Rest ist strukturell bedingt.

Problemfall "Firmensamurai"

Vor allem das lebenslange Anstellungssystem, das einst in der westlichen Welt wegen der unbedingten Loyalität der Mitarbeiter, der "Firmensamurai", bewundert wurde, wird nun zunehmend zum strukturellen Hemmnis. Gehälter werden in Japan nicht in erster Linie nach Leistung bezahlt, sondern nach Alter und Dauer der Betriebszugehörigkeit, weshalb viele Unternehmen davor zurückscheuen, ältere Menschen einzustellen. Gleichzeitig verzichten die Unternehmen auf Neueinstellungen junger Schul- oder Universitätsabsolventen, um ihre langgedienten, aber teuren Mitarbeiter zu halten. Schließlich sind Entlassungen noch immer ein weit verbreitetes Tabu. Auch für die Mitarbeiter sind Jobwechsel eher unattraktiv, da sie unter dem gegenwärtigen Pensionssystem einen Großteil ihrer Rentenansprüche verlieren würden.

Jugendliche arbeiten als Freeter

Besonders die mit etwa acht Prozent für japanische Verhältnisse erschreckend hohe Jugendarbeitslosigkeit bereitet der Regierung Kopfzerbrechen. In dieser Zahl ist noch nicht das riesige Heer der sogenannten Freeter (zusammengesetzt aus dem englischen "free" und dem deutschen "Arbeiter") enthalten, die sich von einem Nebenjob zum nächsten hangeln und von ihrem Monatseinkommen nicht einmal ihre Miete zahlen können (weshalb viele bei ihren Eltern wohnen). Freeter sind zur Zeit das am schnellsten wachsende Arbeitnehmersegment. Zwischen 1985 und 1997 ist die Zahl der Freeter von knapp 500.000 auf mehr als 1,5 Millionen gestiegen. Schätzungen zufolge arbeitet nur etwa ein Drittel der jugendlichen Freeter aus eigenem Willen ohne soziale Absicherung. Die große Mehrheit hätte gerne einen festen Job.

Doch eine Festanstellung auf Vollzeitbasis ist schon ein Privileg gewesen, als das lebenslange Anstellungssystem noch funktionierte und die Wirtschaft boomte. Vor allem Frauen und Angestellte in den wenig prestigeträchtigen Klein- und Mittelbetrieben müssen mit schlecht bezahlten, leicht kündbaren Teilzeit-Jobs leben. Part-Timer bekommen für die gleiche Arbeit nur zwischen 60 und 70 Prozent des Gehalts eines Festangestellten. In vergangenen Wirtschaftskrisen entließen die Unternehmen Teilzeitkräfte, um sich anzupassen; in der jetzigen Dauerkrise verzichten die Firmen lieber auf Festangestellte und rekrutieren billige Teilzeitkräfte.