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Wachstum mit Nebenwirkungen

Steffen Leidel19. August 2004

Die Welt wird 2050 kaum wiederzuerkennen sein. Die Bevölkerungsentwicklung sorgt für tiefgreifende Umwälzungen in armen wie reichen Ländern, prophezeit eine neue Studie. Politische und wirtschaftliche Konflikte drohen.

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Indien wird bevölkerungsreichstes Land der ErdeBild: AP

Nach Prognosen des unabhängigen Forschungsinstituts Population Reference Bureau (PBR) in Washington wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 um fast die Hälfte auf 9,3 Milliarden Menschen anwachsen. Zurzeit bevölkern etwa 6,3 Milliarden Menschen den Planeten. Die Prognose des PBR liegt damit etwas höher als die der Vereinten Nationen (8,9 Milliarden).

Für dieses starke Wachstum werden fast ausschließlich die armen Länder verantwortlich sein. Denn in den meisten reichen Industrieländer schrumpft die Einwohnerzahl. Besonders betroffen ist Japan, das laut Studie 20 Prozent seiner Bevölkerung einbüßen wird. Für Deutschland wird ein Rückgang von neun Prozent vorhergesagt. "Dieser Zahl liegt die Hypothese zugrunde, dass sich die Geburtenrate und die Zuwanderung künftig leicht erhöhen werden", sagt Stefanie Ettelt von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW) zu DW-WORLD. Das bedeutet, dass die deutsche Bevölkerung noch viel stärker zurückgehen könnte, sollten die Bedingungen so bleiben, wie sie aktuell sind.

Politische Einflussmöglichkeiten beschränkt

Eine schrumpfende Bevölkerung habe sehr negative Auswirkungen auf die Wirtschaft, warnt Ettelt. Bereits ab 2010 würden sich diese verstärkt im Renten-, Pensions und Gesundheitssystem bemerkbar machen. Ettelt spricht sich deshalb für eine familienfreundlichere Politik aus, die es Eltern erlaubt, Beruf und Kinder einfacher unter einen Hut zu bringen. Für mehr Einwanderung gebe es derzeit keinen politischen Konsens, glaubt die Demographin.

Allerdings räumt Ettelt ein, dass die politischen Gestaltungsmöglichkeiten begrenzt sind. Die Schweden gelten mit ihrer Familienpolitik als Vorbild, doch mit 1,7 ist ihre Gesamtfruchtbarkeitsrate (Anzahl der Kinder pro Frau zwischen 15 und 49 Jahre) immer noch gering und liegt unter der Rate der USA (2,0), wo es so gut wie keine Unterstützung für Familien gibt.

Familienplanung hänge auch von den wirtschaftlichen Verhältnissen oder der Mentalität ab. In Italien oder Spanien leben viele junge Menschen noch mit Ende 20 bei den Eltern, entweder weil ihnen das Geld für eine eigene Wohnung fehlt oder weil das Zusammenleben mit dem Partner ohne Trauschein gesellschaftlich noch nicht voll akzeptiert ist.

Auch radikale Umbrüche können sich negativ auswirken. "Nach dem Fall der Mauer brach die Geburtenrate in Osteuropa drastisch ein. Davon haben sich die Länder bis heute nicht erholt", so Ettelt. Extrembeispiel ist Bulgarien, dessen Bevölkerung bis 2050 von acht auf fünf Millionen schrumpfen soll.

Großbritannien auf der Überholspur

Optimal sei ein stabiles Bevölkerungsniveau. Frankreich kommt mit einer Gesamtfruchtbarkeitsrate von 1,9 diesem Ideal nahe. Ausnahmen vom generellen Trend in den Industrieländern sind Großbritannien und die USA: Die britische Bevölkerung wird bis 2030 auf 65 Millionen Menschen ansteigen und damit Frankreich überholen. Für die USA rechnen die Forscher mit einem drastischen Bevölkerungswachstum von 43 Prozent auf 420 Millionen US-Bürger. Der Bevölkerungszuwachs bedeute jedoch nicht automatisch, dass das Land davon wirtschaftlich profitieren wird. "Er bietet zusätzliches Potential, der erst durch weitergehende Maßnahmen genutzt werden kann", sagt Ettelt. Dazu gehörten zum Beispiel geeignete Qualifizierungsangebote für Arbeitskräfte.

Sozialer Sprengstoff

Besonders dramatisch nimmt die Bevölkerung in den ärmsten Ländern dieser Erde zu. Am schnellsten wächst die Bevölkerung im Niger. Dort wird sie laut PRB-Studie von 12 auf 53 Millionen im Jahr 2050 schnellen. In Nigeria rechnen die Forscher mit einer Verdreifachung, in Bangladesch mit einer Verdopplung der Einwohnerzahl. "Die Ressourcenkonflikte und die Migrationsproblematik werden so zusätzlich verschärft", prophezeit die DSW-Expertin Ettelt.

Prblematisch sei der hohe Anteil von Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung. Der liegt in Afrika bei durchschnittlich 42 Prozent (Deutschland: 15 Prozent). Spitzenwerte von über 50 Prozent erreichen Länder wie Niger, Nigeria oder Uganda. "Das bietet viel sozialen Sprengstoff, da diese Jugendlichen in diese Gesellschaften kaum integriert werden können", sagt Ettelt.

Das bevölkerungsreichste Land wird laut PRB-Prognose 2050 nicht mehr China sein, wo derzeit mit 1,3 Milliarden die meisten Menschen leben. China soll seinen Höchststand bereits 2025 erreichen, danach wird die Bevölkerung wohl wieder schrumpfen. Neuer Spitzenreiter wird dann Indien mit 1,6 Milliarden Menschen sein.