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Wiederentdeckt

Jochen Kürten21. März 2013

Der Regisseur Gerhard Lamprecht hat in allen politischen Systemen inszeniert: Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Nachkriegsdeutschland. Und er sammelte: Filme, Apparate und Texte des deutschen Kinos.

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Szene aus dem Film Irgendwo in Berlin von Gerhard Lamprecht (Foto: Studio Hamburg Enterprises)
Bild: Studio Hamburg Enterprises

Es gibt wohl kaum einen anderen deutschen Regisseur, der so ins Vergessen geraten ist, über den es aber gleichzeitig so viel zu erzählen gäbe wie Gerhard Lamprecht. Bis jetzt. Denn dieses Jahr ist das Jahr des Gerhard Lamprecht. Im Januar erinnerte die "Deutsche Kinemathek" in Berlin, zentrale Einrichtung für die  deutsche Filmgeschichte, anlässlich ihres 50-jährigen Jubiläums an deren Gründungsdirektor. Lamprecht war nicht nur ein bekannter und erfolgreicher Regisseur, er war auch ein begeisterter und akribischer Sammler historischen Filmmaterials. Aus diesem Anlass sind in den letzten Wochen Publikationen von und über Lamprecht erschienen, mehrere seiner Filme wurden restauriert und auf DVD einem breiteren Publikum zugänglich gemacht.

Regieführen über alle politischen Brüche hinweg

Warum interessiert uns Lamprecht heute? Und warum ist er inzwischen nur noch Kennern der deutschen Filmgeschichte bekannt? Lamprecht ist immerhin ein Regisseur, der über mehrere Jahrzehnte kontinuierlich Filme inszenieren konnte und dabei über alle politischen Brüche hinweg gearbeitet hat. Schon zu Stummfilmzeiten, in der Weimarer Republik (1918 - 1933), dreht er Filme. Dann setzte er seine Karriere während des Nationalsozialismus fort und konnte auch nach dem Krieg in Deutschland drehen, zunächst für die ostdeutsche Filmproduktionsfirma DEFA, später für westdeutsche Produktionen.

Szene aus dem Gerhard Lamprecht-Film "Die Verrufenen" (Foto: DVD Anbieter "Edition Filmmuseum")
Soziales und sozialkritisches Kino: "Die Verrufenen" aus dem Jahre 1925Bild: Edition Filmmuseum

"Er ist deshalb von so großem Interesse, weil das Oeuvre, das er geschaffen hat, so reich an Themen und Motiven ist und weil man in diesen Filmen auch viel erfährt über den Alltag in diesen Zeiten", erzählt Wolfgang Jacobsen im Gespräch mit der Deutschen Welle. Jacobsen arbeitet seit vielen Jahren für die Deutsche Kinemathek und kennt wie kaum ein anderer das Werk dieses Regisseurs: "Lamprecht hat alle diese Perioden begleitet und in diesen Filmen ist, egal in welchem Genre er sich gerade bewegt, unglaublich viel von Alltagsgeschichte enthalten und damit Zeitgeschichte."

Kein Genie auf dem Regiestuhl

Doch Lamprecht war nie ein filmästhetisch innovativer Regisseur wie Fritz Lang oder Friedrich Wilhelm Murnau. Er hat kein herausragendes Werk der Filmgeschichte geschaffen wie "Metropolis" oder "Der letzte Mann". Er war kein Star auf dem Regiestuhl, dessen Ruf sich mit den Jahren verselbstständigt hat. Und doch - oder vielleicht sogar gerade deshalb: an seinem Werk und seinen Filmen lässt sich deutsche (Film-)Geschichte bestens studieren. Gerade weil er sich über all die Jahre halten konnte. "Vielleicht ein Klassiker in spe", vermutet Wolfgang Jacobsen.

In den 1920er Jahren war Lamprecht im Ausland, auch in Hollywood, ein Aushängeschild des deutschen Kinos. Seine frühen Stummfilme, die den Alltag unterer sozialer Schichten in der deutschen Hauptstadt schilderten, gelten als Klassiker des sozialkritischen Films. Sein bis heute bekanntestes Werk, die Erich Kästner-Adaption "Emil und die Detektive", zeigte seine besondere Begabung im Umgang mit Kindern. Nach der Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933 konnte Lamprecht seine Karriere fortsetzen. Er hatte nie den Ruf - wie etwa Veit Harlan oder Leni Riefenstahl - ein Propagandaregisseur zu sein, wiewohl er sich auch auf Konzessionen an die NS-Machthaber einließ.

Der Regisseur und Filmhistoriker Gerhard Lamprecht (Foto: Ullstein/Binder)
Gerhard Lamprecht (1897 - 1974)Bild: Ullstein/Binder

Anpassung im NS-Staat

"Ich würde das als eine in den Filmen vorhandene politische Ambivalenz beschreiben", so Jacobsen, "Es sind keine eindeutigen propagandistische Filme, vielleicht mit Ausnahme von 'Diesel', einem Heroenporträt, in das verwoben eine ganz eigene Sicht Lamprechts auf diese Figur vorhanden ist." In "Diesel" erzählt Lamprecht die Geschichte des legendären Ingenieurs und Erfinders des gleichnamigen Motors Gustav Diesel. In den Subtexten dieser Filme, so Wolfgang Jacobsen, gebe es durchaus "nationalsozialistische Energie". Heute sei es schwer, herauszufinden, ob das Lamprechts Handschrift gewesen ist oder ob das jeweils Vorgaben der Drehbücher waren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg dreht Lamprecht seinen ersten, noch heute sehr sehenswerten Film in den Ruinen der deutschen Hauptstadt: "Irgendwo in Berlin" (unser Bild oben). Das Werk entstand im Auftrag der ostdeutschen DEFA. Später konnte der Regisseur, wenn auch nur kurz, im bundesdeutschen Film Fuß fassen. "Das ist ein kontinuierliches Schaffen", sagt Jacobsen: "Er kommt 1945 aus dem Keller seiner Friedenauer Wohnung heraus, setzt sich an den Küchentisch und beginnt ein Drehbuch zu schreiben. Das Leben von Lamprecht war in jeder Hinsicht verwirkt mit dem Medium Film".

Historisches Filmplakat des Lamprecht-Films "Die Unehelichen" (Foto: DVD-Anbieter "Edition Filmmuseum")
Historisches Filmplakat zu "Die Unehelichen" (1926)Bild: Edition Filmmuseum

Ein leidenschaftlicher Sammler

Die Leidenschaft für das Kino und das Medium Film, weit über das Inszenieren hinaus, war das zweite Standbein des Gerhard Lamprecht. "Er ist eine ganz einzigartige Gestalt", sagt der Leiter der Deutschen Kinemathek Rainer Rother: "Ich kenne nur wenige Filmregisseure, eigentlich keinen anderen, der sich so stark für sein Medium engagiert hat." Schon in seiner Jugend hatte Lamprecht begonnen zu sammeln: alles, was mit Film und Kino zu tun hatte. Das sollte Jahrzehnte später Grundstock der Sammlung der Deutschen Kinemathek in Berlin werden. "Er war lange Zeit der herausragende Sammler hierzulande, der schon mit jungen Jahren begriffen hatte, dass es, um dem Vergessen entgegenzuarbeiten, ganz wichtig ist, filmgeschichtliche Artefakte aufzubewahren" erzählt Rolf Aurich von der Deutschen Kinemathek: "Lamprecht war interessiert am Film im Ganzen, er war jemand, der den Film eingeatmet hat mit allen Sinnen."

Szene aus dem Gerhard Lamprecht-Film "Diesel" (Foto: Studio Hamburg Enterprises)
Heroenporträt eines deutschen Erfinders: "Diesel" aus dem Jahre 1942Bild: Studio Hamburg Enterprises

Für die deutsche Kinemathek ist das Werk Lamprechts heute ein Glücksfall: Weil in dieser Person vieles sichtbar wird, was deutsche (Kultur-)Geschichte ausmacht: Lamprechts Oeuvre erzählt immens viel über die Zeit, in der es entstanden ist, über die Menschen, das Leben auf den Straßen und in den Städten. "Wir plädieren sehr dafür, sich mit den Filmen des Gerhard Lamprecht auseinanderzusetzen und sie wieder ins Kino zu bringen", sagt Jacobsen. Als Filmhistoriker dürfe man nicht immer nur auf der Autobahn fahren. "Es sind gerade die Nebenstrecken, die unentschlossenen Wege, die unerschlossenen Karrieren und Filme, die neu zu entdecken sind, um ein Gesamtbild des deutschen Films neu zu erschließen, das Panorama zu erweitern."

Im Verlag "Edition Text und Kritik" sind drei Bücher über Gerhard Lamprecht erschienen, herausgegeben von Wolfgang Jacobsen, Rolf Aurich und Eva Orbanz, in der "Edition Filmmuseum" liegen die frühen Lamprecht-Filme "Die Verrufenen" und "Die Unehelichen" auf DVD vor und das gemeinsames DVD-Projekt der DEFA und der Friedrich Wilhelm Murnau-Stiftung "Brüche und Kontinuitäten" enthält unter anderem die Lamprecht-Filme "Diesel" und "Irgendwo in Berlin". Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Deutschen Kinemathek findet vom 2. bis 14. April im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums eine Werkschau zu Lamprecht statt.