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Geschichte erleben

11. November 2009

Der Name Verdun steht wie kaum ein anderer für die Grauen des Ersten Weltkriegs. Zehntausende Soldaten starben hier. Heute kommen jedes Jahr zahlreiche Besucher, darunter auch viele Schulklassen, nach Verdun.

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Das Beinhaus von innen fotografiert (Foto: Karin Kails/Nina Funke-Kaiser)
Im Beinhaus in Verdun hängen an den Wänden die Namen von gefallenen oder vermissten SoldatenBild: DW/Kails/Funke-Kaiser

Dichter Nebel bedeckt die grünen Hügel rund um Verdun, als eine Schulklasse aus Paris vor dem "Memorial de Verdun" ankommt. Hier, im Museum über die Schlacht, beginnt die Reise in eine Zeit, die die 14-jährigen Schüler nur aus dem Geschichtsbuch kennen. In kleinen Grüppchen streifen sie durch das Museum, ab und zu bleiben sie vor den Vitrinen mit Orden, Uniformen und Waffen stehen. "Ich glaube nicht, dass man sich diese Hölle vorstellen kann", sagt Kevin Pace-Soler. Es gebe zwar viele Dokumentationen und auch Filme. "Aber man kann sich nicht wirklich in die Soldaten hineinversetzen, die in Verdun gekämpft haben."

Zehntausende Tote in weniger als einem Jahr

Hinter Grabkreuzen steht ein Beinhaus (Foto: Karin Kails/Nina Funke-Kaiser)
Das Beinhaus von VerdunBild: DW/Kails/Funke-Kaiser

Der Name Verdun steht für eine der grausamten Schlachten des Ersten Weltkriegs: Etwa 2,5 Millionen Soldaten waren hier im Einsatz. Von Februar bis Dezember 1916 bekämpften sich Franzosen und Deutschland auf einem Gebiet von gerade einmal 20 Quadratkilometern. In nur 300 Tagen starben hier zehntausende Soldaten.

Auch der Urgroßvater von Juliette Pichot Nusslé hat hier gekämpft. Aus fast jeder Familie in Frankreich war damals jemand in Verdun. Verbunden fühlt sich das schüchterne Mädchen mit diesem Ort aber erst einmal nicht. "Trotzdem ist es wichtig, sich zu erinnern", sagt sie leise.

Geschichten, unter die Haut gehen

Eine Frau vor einem Gräberfeld (Foto: Karin Kails/Nina Funke-Kaiser)
Ingrid Ferrand denkt weder deutsch noch französisch - sondern europäischBild: DW/Kails/Funke-Kaiser

Das findet auch Ingrid Ferrand. Die Deutsche führt seit rund 26 Jahren Besucher über das Schlachtfeld und durch die Erinnerungsstätten. Heute begleitet sie die französische Schulkasse gemeinsam mit einer Kollegin. Vom Museum geht es weiter zum Fort Douaumont. Heute sieht diese Befestigungsanlage friedlich und idyllisch aus - doch das ist das Ergebnis der Schlacht. Jede Furche in der Landschaft zeugt von den Einschlägen der Granaten.

Um das Fort selbst wurde während der elf Monate dauernden Schlacht erbittert gekämpft. Mehrfach wurde es von deutschen und dann wieder von französischen Truppen eingenommen. Fast ehrfürchtig laufen die Schüler durch die feuchten, kalten Gänge. Die beiden Fremdenführerinnen erzählen Geschichten, die unter die Haut gehen. Als bei einer Explosion im Mai 1916 rund 700 Soldaten starben, wurden die Leichen einfach eingemauert. Für eine Bestattung war keine Zeit. "Es waren 18-Jährige, die da in den Krieg gezogen sind, so jung, das schockiert mich", sagt Kevin Pace-Soler.

Eine Schülergruppe (Foto: Karin Kails/Nina Funke-Kaiser)
Schüler blicken in die VergangenheitBild: DW/Kails/Funke-Kaiser

Und auch Juliette Pichot Nusslé kann sich zum ersten Mal vorstellen, wie ihr Urgroßvater sich damals gefühlt haben muss. "Er hatte sicherlich Angst", sagt die 14-Jährige. "Der Lärm, die Geschosse, das muss wirklich schrecklich gewesen sein. Es gab nicht genug zu essen, es war dreckig und es gab viele Krankheiten."

Ein Ort für deutsch-französische Freundschaft

Dennoch ist Verdun nicht nur ein Ort des Schreckens. Für Ingrid Ferrand steht dieser Ort wie kein anderer für die deutsch-französische Versöhnung. Sie war dabei, als vor 25 Jahren das wahrscheinlich bekannteste Bild dafür entstand: der Handschlag von Helmut Kohl und François Mitterrand. "Wenn ich an diesen Moment denke, bekomme ich heute noch Gänsehaut", erinnert sie sich, als sie an genau jener Stelle steht. "Es war, wie wenn für einen Moment die Zeit still gestanden hätte."

Ingrid Ferrand ist selbst das beste Beispiel dafür, wie entspannt die deutsch-französischen Beziehungen sein können. Die Deutsche ist mit einem Franzosen verheiratet, der in der französischen Armee ist. Ihr Sohn entschied sich für eine Karriere in der deutschen Marine. "Das hat seinem Papa nicht so gepasst, aber er hat sich gefügt. Ich habe das normal gefunden, weil ich von Grund auf europäisch denke", sagt sie.

Ein Junge kniet vor einem Grab (Foto: Karin Kails/Nina Funke-Kaiser)
Der Schüler Kevin Pace-Soler ist schockiert, wie jung die Soldaten warenBild: DW/Kails/Funke-Kaiser

Die Jugendlichen aus Paris sehen keinen großen Unterschied zwischen den Beziehungen zu Deutschland oder anderen europäischen Staaten. "Der Krieg ist lange vorbei", meint Kevin, als er in den Bus steigt, der die Schüler wieder zurück nach Paris fährt. Deutsch-französische Freundschaft ist für ihn normal. Das Ziel der nächsten Klassenfahrt steht schon fest: Es geht nach Berlin.



Autorin: Nina Funke-Kaiser
Redaktion: Julia Kuckelkorn

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